– Bundesstart 03.08.2023
Wenigstens ein paar Kinobetreiber zeigen sich noch gnädig, und zeigen Filme, wenngleich in nur sehr wenigen Vorstellungen, aber dennoch in der Original Sprachfassung. Mangels örtlicher Pressevorführungen, hatte der Schreiber auf eines dieser Angebote ausweichen müssen, auch wenn dazu noch immer über die Stadtgrenzen gewechselt werden mußte. Das ist im zweifachen Sinne ärgerlich. Zum einen zeigen die besetzen Plätze in den Säle immer wieder den ignorierten Bedarf nach dem Original. Und zum zweiten stellt Seth Rogens Neuinterpretation der mutierten Schildkröten einen größeren Aufwand für den Besuch einer Vorstellung in Frage. Zu sagen, MUTANT MAYHEM wäre ein schlechter Film, wäre ein schlechter Stil. Doch der Co-Autor und -Regisseur von MITCHELLS vs MACHINES steht sich hier immer selbst im Weg. Immer wieder wechselt der Ton zwischen den Szenen, ohne diese Stimmungen organisch zusammen zu bringen.
Es ist wieder einmal eine Ursprungsgeschichte. Das ermöglicht immerhin gewisse Teile des Kanons aus vorangegangenen sechs Kinofilmen bei Bedarf fallen zu lassen. Der verrückte Wissenschaftler Baxter Stockman, sonst Antagonist in der Serie, segnet hier bei einer Razzia das Zeitliche. Doch währenddessen entwischt eine Laborfliege, und das berühmte Ooze fällt in die Kanalisation. Aus dem Ooze mutiert Master Splinter zur lebensgroßen Ratte, der aus Mitleid vier ebenfalls Ooze-getränkte Schildkröten großzieht. Dann springt die Handlung 15 Jahre vor, zu vier ungehorsamen Pubertierenden.
Komödiant und Kiffer Seth Rogen wird immer gerne als Initiator und Macher dieser filmischen Inkarnation angeführt, der hier produzierte, eine kleine Rolle spricht und als einer von sechs Autoren tätig war. Das macht neugierig und lässt hoffen. Doch MUTANT MAYHEM entpuppt sich weder als versaute SAUSAGE PARTY mit seinem obszönen Humor, noch als sensibler GOOD BOYS mit der präzisen Betrachtung von pubertierenden. Doch Produzent Rogen beteuert stets, dass der Aspekt des Erwachsenwerdens von anthropomorphischen Ninja-Schildkröten das vorrangige Interesse war.
Tatsächlich sind die Momente jugendlicher Unbefangenheit auch die besten Szenen von Leonardo, Donatello, Raphael und Michelangelo. Wenn die ungehorsamen Bengel ab und an Kampf und Verantwortung hinter sich lassen, brechen in stilleren Augenblicken ihre Hoffnungen und Wünsche durch. Oder sie albern herum und provozieren sich spielerisch. Die phantastischen Jungdarsteller Nicolas Cantu, Micah Abbey, Brady Noon und Shamon Brown haben, entgegen der üblichen Praxis, ihre Rollen gemeinsam aufgenommen. Das Ergebnis sind natürlich klingende Dialoge und authentische Interaktionen.
Die mehr relativ unverbrauchten und bisher wenig auffälligen Schauspieler sind ein starkes Plädoyer für die Originalfassung. Über den Rest könnte man wunderbar streiten. Die Zeichnung von MUTANT MAYHEM sind Skizzen und Entwürfen entlehnt. Manchmal mit unschönenen, unbeholfen wirkenden Linien, und einer Farbtextur von, tatsächlich, Freskenmalerei (Michelangelo, irgendjemand). Die Animation selbst ist nicht fliessend, eher abgehackt mit einer leichten Anmutung von Daumenkino. Verstärkt wird dieser gewöhnungsbedürftige Effekt durch ganz und gar inkohärente Schnittfolgen.
Entsprechend nehmen sich die Kampfszenen aus, bei denen man kaum nachverfolgen kann wo sich die Figuren befinden und was sie anrichten. Es sind meist lose Bilder von ausdrucksstarken Kampfposen mit Comic-Heft-Charakter. Eine spannungssteigernde Entwicklung innerhalb der einzelnen Sequenzen bleibt die Regie schuldig. Und das ist besonders im viel zu ausgiebig inszenierten Showdown gegen den monströsen Superfly (man erinnert sich an die Laborfliege des Anfangs) bemerkenswert unspektakulär. Beide Regisseure treiben den Film viel zu schnell voran, mit Tumult aber ohne Dramatik.
Das MUTANT MAYHEM nicht mehr der klassischen Animation folgen würde, war mit dem künstlerischen Erfolg von INTO THE SPIDER-VERSE eine absehbare Entscheidung. Doch außer sich klugerweise auf einen Stil in der Bildgestaltung zu beschränken, machen die kreativen Köpfe hinter dem Projekt sehr wenig aus dem Material, dass eigentlich soviel mehr an innovativen Einfällen herausfordert. Produzent Seth Rogen hätte vielleicht doch mehr Seth Rogen sein können. Es ist ein Film der explizit auf ein jugendliches Publikum ausgerichtet wurde, und auf dem inhaltlichen Niveau eines Kinderfilms umgesetzt ist.
Die düsteren, fast schmutzig aber real anmutenden Settings schaffen Atmosphäre, kein Zweifel. Aber der hier gezeigte Weg, von abschreckenden Außenseitern aus dem Untergrund, zu bejubelten und akzeptierten Helden, ist mit allen erdenklichen Versatzstücken erzählt, und macht die TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES: MUTANT MAYHEM alles andere als originell.
Stimmen:
Donatello: Micah Abbey
Michelangelo: Shamon Brown
Leonardo: Nicolas Cantu
Raphael: Brady Noon
Splinter: Jackie Chan
Leatherhead: Rose Byrne
Genghis Frog: Hannibal Frog
Superfly: Ice Cube
April O’Neil: Ayo Edebiri
Bebop: Seth Rogen
Paul Rudd: Mondo Gecko
Baxter: Giancarlo Esposito
Cynthia Utrom: Maya Rudolph
u.a.
Regie: Jeff Rowe, Kyler Spears
Drehbuch: Seth Rogen, Evan Goldberg, Jeff Rowe, Dan Hernandez, Benji Samit
Character Designer: James Castillo
Musik: Trent Reznor & Atticus Ross
Produktionsdesign: Yashar Kassai
USA / 2023
99 Minuten