KOPUTUS
– Bundesstart 22.06.2023
Es ist wahrscheinlich eines der meist genutzten Horror-Motive im Kino. Und es ist wahrlich nicht das geistreichste Motiv im Genre. Drei Menschen, völlig auf sich allein gestellt, in einer weit abgeschiedenen Hütte im Wald. Vorausgegangen sind absonderliche Vorgänge. Die beiden älteren Kinder sind auf der Uni, der Vater liegt mit der Axt erschlagen im Wald, die Mutter spurlos verschwunden, die jüngste Tochter eingesperrt in einen Käfig im Haus. Anstelle der Hütte ist hier eben das Wohnhaus der Familie, und die drei Menschen die 15 Jahre später zurückkommen sind keine Teenager, dafür ist der Wald umso größer und unergründlicher. Spannend ist das allemal, und umso interessanter, weil es sich bei THE KNOCKING um eine finnische Produktion handelt. Matilda, die Jüngste, Mikko und Maria kommen nach der Tragödie das erste Mal, und auch ein letztes Mal an den Unglücksort zurück, um sich eventuell Habseligkeiten aus dem Haus zu holen, bevor ein Makler Grund und Boden verkauft.
Selbstverständlich weckt für ältere Semestern TANZ DER TEUFEL die ersten Assoziationen, im Aktuellen vielleicht CABIN IN THE WOODS, oder für Spaßvögel sind es TUCKER AND DALE vs EVIL. Aber der Hinweis auf die skandinavische Herkunft sollte ausreichend sein, um erahnen zu können, dass sich THE KNOCKING nicht an den vorangegangenen Beispielen orientieren wird. Für das Regie- und Autorenduo Joonas Pajun und Max Seeck ist es in beiden Zweigen das Debüt. Allerdings hätte man als Zuschauender dem Paar grundsätzlich mehr Filmerfahrung gewünscht.
Spannend an THE KNOCKING ist der exzellente Aufbau, während dem eigentlich vieles angedeutet, aber nie wirklich etwas erklärt wird. Alles ist möglich, vielleicht ist der Film nicht einmal der erwartete Die-Hütte-im-Wald-Horror. Matti Eerikäinen liefert mit seinen Kameraeinstellungen mehr Andeutungen als erzählende Bilder. Nur die undeutliche Erscheinung einer alten Frau in der Nähe des ehemaligen Tatorts, und die von oben gefilmten, sich unheilvoll bewegenden Baumwipfel künden vom möglichen Unheil, welches dann doch nicht nur von den Figuren auszugehen scheint.
Paajun und Seek haben mit den drei Hauptdarstellern ein exzellentes Ensemble gefunden. Saana Koivisto war als Matilda scheinbar am schlimmsten von den Vorkommnissen betroffen, aber ihre Neugierde auf das ehemalige Zuhause ist von ansteckender Unbekümmertheit geprägt. Hingegen bleibt Pekka Strang als Mikka, der älteste von den Geschwistern, zurückhaltend und in seinen Absichten undurchsichtig. Dabei wirft sein euphorisches Interesse an Altersbestimmung von Bäumen mehr Fragen auf. Es wird deutlich, dass die Filmemacher hinter der Fassade weit mehr vorbereitet haben.
Am interessantesten entwickelt sich aber der Charakter von Inka Kallén, deren Maria die Zeit am Haus mit steter Vorsicht über sich ergehen lässt. Bis sie einen Anruf von ihrem Sohn bekommt, der niemals geboren wurde, weil der Vater sie seinerzeit zu einer Abtreibung zwang. Aber hier verlieren sich die beiden Regisseure auch in ihren eigenen Absichten, ohne präzise Vorstellung dies anspruchsvoll und inspiriert umzusetzen. Bis zu diesem Anruf, wo das erste Mal eine Szene in rotes Licht getaucht wird, waren alle Möglichkeiten offen. Vom arglistigen Makler, bis zum psychopathischen Killer.
Joonas Pajun und Max Seek haben sich für das Übernatürliche entschieden, und wer immer für das Stilmittel des rot ausgeleuchteten Settings verantwortlich ist, tat wirklich nicht gut daran. Es nimmt jede Spannung aus dem Film, weil die meisten Handlungselemente vorhersehbar werden. Und tatsächlich vermittelt das simple Spiel mit der Lichtstimmung den Eindruck einer studentischen Fingerübung. In diesem Fall ist das keine Frage des Budgets, sondern von Filmhandwerk. Damit kommen die beiden Filmemacher am Anfang noch zurecht, vergessen dann aber ihre subtile Erzählweise.
Mit immer wieder eingestreuten Rückblenden zum Familienalltag, werden für den Verlauf immer wieder neue Wendungen und neue Erkenntnisse mit auf den Weg gegeben. Das ist teilweise überraschend und sehr raffiniert, aber letztendlich für die letzte halbe Stunde kaum noch relevant. Ob nun Öko-Thriller, Geisterspuk oder Hexenhorror. Sicherlich wäre dieser Mix mit einem ausgefeilteren Buch sehr spannend und sehr gruselig geworden. Und gerade wenn die Natur zum Protagonisten wird, müssten eigentlich die Skandinavier wie in vielen anderen Genres auch, an ausgefallenen und originellen Ideen ganz vorne stehen. Vielleicht sollte man THE KNOCKING einfach als die studentische Fingerübung sehen, deren Eindruck sie gerade in den Spannungsmomenten macht. Denn grundsätzlich zeigen Joonas Pajun und Max Seek Potential, welches Interesse an ihrem nächsten Projekt weckt.
Darsteller: Inka Kallén, Saana Koivisto, Pekka Strang, Olga Temonen, Linnea Skog, Niko Saarela, Kanina Berman u.a.
Regie & Drehbuch: Joonas Pajun, Max Seeck
Kamera: Matti Eerikäinen
Bildschnitt: Joona Louhivuori
Musik: Tuomas Kantelinen
Produktionsdesign: Kristina Lõuk
Finnland, Estland / 2022
87 Minuten