THE MAKING OF ANOTHER MAJOR MOTION PICTURE MASTERPIECE
1947 lernt der der fünfjährige Robby Andersen seinen Onkel Joe kennen, ein von den Ereignissen des Krieges traumatisierter Veteran. Joe Shaw war Flammenwerferschütze. Über seine Erlebnisse wurde ein glorifizierendes Comic-Heft veröffentlicht, dass Robby begeistert verschlingt, aber auch nachhaltig prägt. In den Siebzigern ist Robby dann Zeichner für Underground-Comics, und im Schatten des andauernden Krieges in Vietnam, interpretiert er die vermeintlichen Heldengeschichten seines Onkel neu, mit respektablen Erfolg. Soweit wäre dies schon alleine eine starke Handlung für einen Zusammenstoß von kindlicher Unbeschwertheit und traurigem Realismus. Steven Spielberg könnte daraus einen Film machen, mit dem Flair von Stephen Kings STAND BY ME. Aber Spielbergs Film gibt es schon als THE FABLEMANS, und an STAND BY ME ist kaum zu wiederholen. Und außerdem macht Autor Tom Hanks an dieser Stelle noch lange nicht Schluss. Da kommt noch mehr. Sehr viel mehr.
Unvermittelt ist der in ausschweifende Kapitel unterteilte Roman ‚Masterpiece‘ in 2017 angekommen. Der Erfolgsregisseur Bill Johnson stößt zufällig auf Robbys Comic, und will es als sein nächstes großes filmisches Meisterwerk adaptieren. Von den 450 Seiten sind noch nicht einmal 200 gelesen, als es zu einem Dialog kommt, der hängen bleibt. Er brennt sich ein, weil die Lesenden bis zu diesem Zeitpunkt nur eine flüchtige Vorstellung davon haben, was für eine Geschichte der Autor eigentlich erzählen möchte.
„Zu viele Szenen, zu viele Charaktere, zu viele Seiten, aber keine Konflikte“, wird Bill Johnson von seinem Manager ermahnt. Die Reaktion auf das vom Regisseur verfasste Drehbuch ist ein treffsicherer Kommentar auf den Roman selbst. Und es ist mehr als wahrscheinlich, dass Schauspieler und Produzent Tom Hanks diese Passage auch bewusst geschrieben und auffallend platziert hat. Tom Hanks liebt es nun mal über Dinge zu schreiben die er kennt, gerne auch großzügig ausschweifend. Aber immer mit lebendigen Dialogen, umgangssprachlichen Wortspielereien, und herrlichen Metaphern. Das sind die ganz klaren Stärken seines ersten Romans, aber wegen ihrer epischen Fülle gleichzeitig die vernehmlichste Schwäche.
Angehenden Autoren legt man immer nahe, sie sollen von dem schreiben was sie kennen. Das hat der Schauspieler bei seinem ersten Buch SCHRÄGE TYPEN getan, eine Sammlung von Kurzgeschichten in der sich jede Geschichte um Schreibmaschinen und deren Besonderheiten dreht. Das war wunderbar zu lesen, sehr unterhaltsam, und vor allem vielversprechend für die Zukunft. Hanks bleibt bei dem was er kennt, somit geht es in diesem im Pandemie-Lockdown verfassten Werk um die Entstehung eines Filmes.
Jedes Kapitel ist entworfen wie eine in sich geschlossene Einzelepisode. Der Anfang um Robby Andersen und der Vorgeschichte der Comicvorlage ist noch gediegen und kohärent. Beginnt in der Geschichte die Vorproduktion des titelgebenden Films, erzählt der Autor nicht mehr in einer zwingend chronologischen Linie. Jedes Kapitel beginnt mit der Einführung eines neuen Charakters. Und jedes dieser Kapitel erzählt sehr ausführlich von den jeweiligen Protagonisten die zu der Produktion stoßen.
Zum Beispiel von der strukturierten Hotel-Rezeptionistin Allicia Mac-Teer, die wegen ihres Organisationstalentes unvermittelt zur Produktionsmanagerin des zu drehenden Films avanciert. Oder die am Rande des Existenzminimums lebende Limousinenfahrerin Ynez, und ihre unverhoffte Anstellung als Produktionsassistentin, weil sie im tun genauso effektiv ist wie Allicia. Dann gibt es noch Hauptdarstellerin Wren Lane, und ihre Probleme mit Schönheit und Erfolg. Oder der arrogant überhebliche Schauspieler O.K. Bailey. Nicht zu vergessen die Schreibmaschinen. Auffallend oft beschreibt der Autor die Verwendung von Schreibmaschinen.
Tom Hanks holt aus, er geht ins Detail, er kreiert Persönlichkeiten, Filme und Ereignisse als ob es sie tatsächlich geben würde. Es ist eine Stärke in ‚Masterpiece‘, dass der Autor seine erfundene Welt so real erscheinen lässt. Raffiniert stiehlt er dann doch manchmal Namen oder Filmtitel aus dem wirklichen Leben. Das hält den lesenden Filmfanatiker bei Laune hält und lädt zum rätseln. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die fiktive Namen und Titel synonym sein können, oder auch sind. Anders wäre es eine vertane Chance.
Die Figuren sind interessant, sympathisch, und man würde wirklich gerne mehr über sie erfahren. Hanks offensichtliches Anliegen die Menschen hinter dem manchmal mystischen Vorgängen des Filmemachens verdienten Tribut zu zollen geht vollkommen auf. Man erfährt viel, oder wird auch darin bestätigt, wie zufällig manche Umstände zusammenkommen, die zu hervorragenden Leistungen führen. Oder was für chaotische Bedingungen sich im Nachhinein als Stolperstein für den Erfolg erweisen.
Obwohl die Wesens- und Charakterzüge der Protagonisten hervorragend beschrieben werden, gehen deren Hintergründe oder Motivationen immer wieder unter. Hanks macht seine Figuren nur bis an den Rand der Filmproduktion nahbar. Was jenseits, oder nach dem Dreh geschehen wird, bleibt weitgehend ausgespart. Der Roman ist klar den Menschen und dem Aufwand des Filmemachens gewidmet. Wer schon immer hinter die Kulissen blicken wollte, den beschenkt der Autor mit unerschöpflich detaillierten Ausführungen.
Dem aber noch lange nicht genug, denn der Autor füllt seine Kapitel mit reichlich Fußnoten, welche den Anschein erwecken die fiktive Erzählung würde an den markierten Stellen auf reale Hintergründe verweisen. Doch dabei handelt es sich meist um geschickte Erweiterungen einzelner Handlungselemente, und durch den Fußnoten-Charakter die Welt von ‚Masterpiece‘ für den Leser noch wirklicher erscheinen lässt. Nur manchmal, da beziehen sich die Fußnoten tatsächlich auf reale Verweise.
Raffiniertes Detail sind die drei extra für das Buch gezeichneten Comics von R. Sikoryak. Onkel Joes Heft aus 1947 als Geschenk für Robby. Die Interpretation aus den Siebzigern von TREV-VORR, Robbys Künstlernamen. Und schließlich die Comic Adaption ‚Knightshade: The Lathe of Fire‘ des fertigen Motion Picture Masterpiece mit dem selben Titel. Robert Sikoryak ist bekannt für seine gezeichneten Adaptionen von literarischen Klassikern, was in Verbindung mit ‚Masterpiece‘ schon wieder liebevoll ironisch wirkt.
Was hier als lang und ausschweifend beschrieben ist, darf keineswegs mit langweilig oder uninteressant verwechselt werden. Besonders als Anhänger des Schauspielers Hanks kann man nicht genug von seinen Ausführungen bekommen. Vor allem weil man im Schreibstil des Autor auch sehr leicht die Stimme des Darsteller vernehmen kann. Überhaupt ist die gesamte Atmosphäre des Buches erfüllt von dem unerschütterlich scheinenden Optimismus, den der Autor und Schauspieler zumindest nach außen hin zu vermitteln versteht.
Der Autor umgeht auch geschickt eventuelle Kontroversen, oder Demaskierungen. Selbst den Antagonist O.K. Bailey beschreibt Hanks mit sehr viel Augenzwinkern als ein notwendiges Übel, welches nervt, aber nicht hassenswert ist. ‚The Making Of Another Major Motion Picture‘ ist kein literarisches Meisterwerk, hat aber das erzählende Herz am rechten Fleck. Aber ein Werk das ohne den geringsten Zweifel mit dem Charisma seines Verfassers erfüllt ist.
ISBN-10 : 1529151805
ISBN-13 : 978-1529151800
Rita Wilson und Tom Hanks während ihrer Quarantäne
.