fast verpasst: SISU

Sisu - Copyright SONY PICTURES– Bundesstart 11.05.2023

Das es für den Begriff Sisu keine Übersetzung geben würde, wird zweimal im Film angeführt, um aber gleichzeitig zweimal eine Erklärung dazu abzugeben. Aatami hat dieses Sisu, ein Goldgräber, der in der Steppe des finnischen Lappland fündig wird. Er hat einen Hund und ein Pferd, und das richtige Gespür, deswegen heißt das erste Kapitel: Das Gold. Die deutschen Truppen ziehen sich gerade aus Lappland zurück, hinter sich eine Spur des Brandschatzens. Das erfährt man nach dem Titel von Kapitel 2: Die Nazis. Ein Stilmittel welches man leicht für eine Imitation von ähnlich gelagerten Filmen des jüngeren Hollywood-Kinos halten könnte, die in Wirklichkeit selbst nur Imitationen von den herrlichen Exploitationfilmen der Siebzigerjahre sind. Denn dorthin hat sich der finnische Filmemacher Jalmari Helander nun begeben, in die drastisch übersteigerte Form des puren Unterhaltungskinos.

Entsprechend einfach hört sich die Geschichte an. Ein Trupp versprengter Nazis ist bei Kriegsende auf ihrem Weg zurück in die Heimat, und nehmen sich auf brutale Weise den kiloschweren Goldfund von Aatami. Von der Gruppe verschleppter Frauen erfahren die Deutschen, mit welchem von Legenden umwobenen Menschen sie sich da angelegt haben. Was die Nazi aber auch schnell selbst an Leib und Leben feststellen werden. Und Jalmari Helander hat eine genaue Vorstellung, wie dieses Genre zu bedienen ist. Nach dem schaurigen Horror in RARE EXPORTS und der abenteuerlichen Action von BIG GAME, ist es nun Exploitation in reinster Form – brutal, maßlos, gemein, zielgerichtet.

Warum Helander noch kein amerikanisches Studioprojekt vorweist, ist ein Rätsel. Wie immer wieder gerne vom Rezensenten angeführt, haben skandinavische Filme ein ganz eigenes Flair und kaum definierbare Besonderheiten in der inhaltlichen Aufarbeitung von meist ungewöhnlichen Stoffen. Daher müsste es auf der einen Seite ein Anliegen sein, dass Jalmari Helander seinem Land und den mit diesem Land verbundenen Geschichten erhalten bleibt. Auf der anderen Seite dreht er aber auch durch und durch amerikanische Filme, weil er die szenischen und suggestiven Mechanismen des Mainstream perfekt beherrscht. Aber Helanders Bekanntheitsgrad scheitert am Marketing.

Was könnte der Filmemacher mit einem Budget weit über den üblichen 8 Millionen Euro, wie bei BIG GAME, noch alles bewerkstelligen. SISU hat 6 Millionen Euro gekostet, was aber insofern unbedeutend ist, weil sich die Geschichte ohnehin nur über Minimalismus erzählen lässt. Aber dann ist es auch wieder wichtig, weil Helander beweist, wie man mit lächerlichem Budget einen richtig großen Film machen. Die Größe ist in erster Linie auf die herausragende Photographie von Kjell Lagerroos zurückzuführen, in dem der kargen Landschaft epische Bilder abgerungen werden. Es ist aber keine schöne Landschaft, sondern von Krieg und Leid zerfressene Einöden.

Sisu 1 - Copyright SONY PICTURES

 

Mit geringen Aufwand im Produktionsdesigns, entsteht ein triste, unheilvolle Atmosphäre, in die sich die unbarmherzige Rache-Erzählung wollig einbettet. Helander erzählt zuerst langsam, umreißt die Figur des Aatami nur schemenhaft, um dann explosionsartig klar zu machen, was die nächsten fünf Kapitel zu erwarten ist. Die anfängliche Gewalt ist aber erst ein Vorgeschmack. Der Regisseur weiß die blutigen Auswüchse genüsslich zu steigern, nach und nach, Nazi für Nazi. Obwohl das Setting stimmig mit der Historie des Landes ist, möchte SISU überhaupt kein Statement sein, schon gar nicht politisch. Die Nazis sind dabei genauso beliebig, wie der militärische Hintergrund von Aatami.

Aber so richtig nach bloßem Stereotyp sind die Figuren dann doch nicht gespielt. Besonders Aksel Hennie kann seinem Obersturmbandführer gewisse Züge abringen, als ob bei dem abgrundtief böse Schurke vielleicht doch noch ein Gewissen durchbrechen könnte. Auch die entführten Finninen in vermeintlich klassischen Opferrollen bleiben nicht das zu beschützende schwache Geschlecht, sondern sind einfach nur geduldig bis zu ihrer Chance. Denn geringsten Spielraum in der Charakterzeichnung hat dagegen Jorma Tommila, dessen Aatami in eine ganz klare Richtung gedrängt wird, die dem Film auch seinen Titel gibt. Fassungslos fragt einmal eine Nazi: Warum stirbst du denn nicht endlich.

Jalmari Helander hat ausdrücklich John Rambo in FIRST BLOOD als Inspiration für SISU angegeben. Und diese Umsetzung ist ihm absolut gelungen, mit dem Unterschied das John Rambo in FIRST BLOOD keine Menschen im Verlauf des Films getötet hat. Aatami muss seine Sache anders erledigen. Mit Jorma Tommila als stoisch stummer Held, Stammbesetzung in Helanders Filmen, wird das zu einem ganz besonderen Vergnügen. Selbstverständlich sind die Action- und Gewaltszenen übertrieben, was Helander allerdings mit brutaler Freude und grandiosen Einfällen umsetzt. Mit der ganz besonderen Raffinesse im Handlungsaufbau, dass das Überleben des Heldes zu keinem Zeitpunkt sicher sein muss.

SISU ist erstklassiges Exploitation-Kino, und trotz des genannten Vorbildes eine ganz eigener Film. Die bemerkenswerte Kulisse, die ungewöhnlichen Typen, viele überraschende Ideen, und ein grandioses Gespür für Inszenierung und Atmosphäre. Es reicht nicht einfach einzelne Elemente zu beherrschen, sondern zu beherrschen all diese Elemente genau aufeinander abzustimmen. Soweit es die aktuelle Filmografie betrifft, beherrscht Jamari Helander jedes seiner bisher umgesetzten Genres, aber mit SISU hat er das auf die Leinwand gebracht, was man allgemein einen echten Knaller nennt.

WENN ES DAS ÖRTLICHE KINO ZULÄSST, UNBEDINGT DORT SEHEN
ansonsten erscheint SISU am 9. November 2023 auf DVD / Blu-ray

Sisu 2 - Copyright SONY PICTURES

 

Darsteller: Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila, Arttu Kapulainen u.a.
Regie & Drehbuch: Jalmari Helander
Kamera: Kjell Lagerroos
Bildschnitt: Juho Virolainen
Musik: Juri Seppä, Tuomas Wäinölä
Produktionsdesign: Otso Linnalaakso
Finnland, Großbritannien / 2022
91 Minuten

Bildrechte: SONY PICTURES RELEASING
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