LES CINQ DIABLES
– Bundesstart 13.04.2023
– ab 02.06.23 auf MUBI
Gestalterische Freiheit beim Filmemachen erlaubt es dem Macher, in einem thematisch vielschichtigen Film dem Publikum eigene Interpretationsmöglichkeiten finden zu lassen. Durch die gegebene Freiheit im unabhängigen Kino, wird so eine Möglichkeit für Regisseure und Autoren durchaus begünstigt. Es kann aber durchaus auch sein, dass sich Autorenfilmer mit der Fülle des eigenen Stoffes einfach selbst überfordert haben. Erwachsenwerden, Fremdenhass, Homosexualität, Übernatürliches, und zusammen ergibt das ein mystisches Psychodrama. Diese fünf Themen wären schon einmal die erste Interpretation, welche Teufel der Titel heraufbeschwören könnte. Bei Léa Mysius’ zweiten Spielfilm, fünf Jahre nach ihrem gefeierten Debüt AVA, ist man sich nie sicher, ob die Regisseurin und Drehbuchautorin eine konsistente Linie verfolgt, oder ihr die Vielschichtigkeit innerhalb der Geschichte über den Kopf gewachsen ist.
Eine Kleinstadt in den französischen Alpen. Die achtjährige Vicky ist Tochter der Weißen Joanne und des Schwarzen Jimmy. Wegen ihrer Afro-Frisur ‚Klobürste‘ beschimpft, demnach auch ohne Freunde, hat sie es in der Schule entsprechend schwer. Aber Vicky verbringt ohnehin am liebsten ihre Zeit entweder mit Mutter Joanne, oder mit dem sammeln von Düften. Denn das Mädchen hat einen Geruchssinn, der ans Übersinnliche grenzt. Als nach zehn Jahren Jimmys Schwester Julia auftaucht, wird nicht nur das Familiengefüge mächtig erschüttert. Auch in der Stadt ist man über Julias Ankunft erschrocken.
Mysius braucht sehr lange, um ihren Film in Gang zu bringen. Die ersten zwanzig Minuten vergehen mit den unterkühlten Alltagsroutinen von Vicky, Joanne und Jimmy. Erst viel später erklärt sich diese bewusste Trägheit, die sehr wohl eine dramaturgische Absicht birgt, sich aber in späteren Sequenzen wiederholt. Als Vicky aus diversen Sachen heimlich Julias persönlichen Duft extrahiert, kommt sie mit ihrer olfaktorischen Wahrnehmung Schritt für Schritt den Geheimnissen in ihrer Familie auf die Spur. Mysius inszeniert diese Annäherung ans Übersinnliche behutsam und ohne aufschreiende Effekte.
Denn THE FIVE DEVILS wird aus der Sicht von Vicky erzählt, und ihre kindlichen Fantasien und realistischen Wahrnehmungen sind für Erwachsene schwer zu trennen. Leider ist diese Erzählweise nicht immer stimmig, weil Léa Mysius sonst die komplexen Beziehungen zwischen ihren Charakteren verlieren würde. Grundsätzlich ist es aber eine wunderbare Herausforderung an das Publikum, und erinnert immer wieder stark an Benh Zeitlins BEAST OF THE SOUTHERN WILD mit einer ähnlich ausgeprägten Kinderfigur. Nur das Sally Dramé in ihrem Schauspieldebüt als Vicky inszenatorisch ziemlich eingeschränkt wird.
Was sich hier nach übersinnlichen Zauber anhört, festigt sich letztendlich dann auch als solcher. Was allerdings viel interessanter gestaltet ist, als es sich anhören mag. Doch die Regisseurin, die zusammen mit ihrem Kameramann Paul Guilhaume das Buch geschrieben hat, lässt sich durch die Vielfalt von angerissenen Themen und Handlungspunkten hinreißen, und will unbedingt alles gleichwertig behandelt wissen. Und dabei kommt jeder dieser einzelnen Punkte einfach zu kurz. Jimmys Zurückhaltung, die durch Julias Ankunft heraufbeschworene Unruhe in der Stadt, Joannes wütender Vater, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit.
Léa Mysius stellt immer die richtigen Fragen, aber sie bietet nie befriedigende Lösungen. Das Drama das sich nach und nach entfaltet, ist interessant und mitunter spannend, wo sich Rätsel auflösen, werden neue aufgetan. Dabei erfüllt eine konstante Unruhe den Film, gerade in den ruhigen Sequenzen. Das Setting in den Alpen, starke Bildkontraste mit dominierenden Blautönen, und eine klar strukturierte Kameraführung, ohne trügerische Gimmicks. Atmosphärisch weckt THE FIVE DEVILS starke Erinnerungen an Farbice Goberts genialen Mysterie-Grusel THE RETURNED.
Nur das Gobert das mysteriöse als gewöhnlich behandelt, während Léa Mysius aus dem trivialen etwas metaphysisches machen möchte. Das gelingt sogar bis zu einem gewissen Grad immer wieder. Aber dann geht entweder eine genauere Betrachtung der Figuren verloren, oder die interessanten Erzählansätze werden angerissen ohne befriedigend aufgeklärt zu werden. Man möchte eigentlich nicht wahrhaben, dass sich Léa Mysius mit der Fülle ihres eigenen Stoffes übernommen hat. Doch mit eigenen Interpretationsversuchen auf sich selbst gestellt, bleibt man als Zuschauerin und Zuschauer am Ende doch mit offenen Fragen zurück. Außer – wer die fünf titelgebenden Teufel sind.
Darsteller: Adèle Edxarchopoulos, Swala Emati, Moustapha Mbengue, Sally Dramé, Daphné Patakia u.a.
Regie: Léa Mysius
Drehbuch: Léa Mysius, Paul Guilhaume
Kamera: Paul Guilhaume
Bildschnitt: Marie Loustalot
Musik: Florencia Di Concilio
Produktionsdesign: Esther Mysius
Frankreich / 2022
103 Minuten