WALAD MIN AL JANNA
a.k.a. CAIRO CONSPIRACY
a.k.a. BOY FROM HEAVEN
– Bundesstart 06.04.2023
Das Tarik Saleh seinen Film nicht in Kairo oder überhaupt in Ägypten realisieren konnte, ist nach seinem DIE NILE HILTON AFFÄRE nicht verwunderlich. Die Dreharbeiten wurden sogar vom Staatsschutz abgebrochen und mussten in Casablanca fortgesetzt werden. Der in Schweden geboren und aufgewachsene Ägypter zeigt ein ungebrochenes Interesse an der Heimat seiner Wurzeln. Salehs Großvater besuchte sogar die Al-Azhar Universität, für die die Süleymaniye-Moschee in der Türkei als Drehort zur Verfügung stand. Nach einer Empfehlung seines Dorf-Imam, wird Adam, Sohn eines armen Fischer, an der Al-Azhar-Universität in Kairo angenommen. Umgeben von der weltlichen Metropole, muss der junge Islamist erst einmal mit den Grenzen zwischen religiöser Institution und dem politischen System vertraut werden. Diese Grenzen werden für den unbedarften Schüler schnell sehr fließend, und gefährlich.
Auch wenn es sich in den ersten fünfzehn Minuten nicht so ausnimmt, entwickelt sich DIE KAIRO-VERSCHWÖRUNG zu einem clever konstruierten Thriller. Da fällt natürlich zuerst der Name John le Carré ein, aber kaum Umberto Eco. Aber Ecos ‚Name der Rose‘ war nach eigenen Angaben die eigentliche Inspiration für Tarik Saleh. Auf der einen Seite steht Al-Azhar als Einrichtung, welche besonders im sunnitischen Islam als religiöses Zentrum gesehen wird. Dem gegenüber steht eine Regierung, die im Sinne einer politisch motivierten Weltoffenheit, Al-Azhar von einem religiös gemäßigten Groß-Imam geführt sehen möchte.
DIE KAIRO-VERSCHWÖRUNG ist ein sehr mutiger Film, der seine gegenübergestellten Institutionen sehr ernst nimmt. Aber genauso intensiv hinterfragt Tarik Saleh beide Seiten auch. Hauptfigur Adam hat seine Schulzeit gerade begonnen, als der Groß-Imam stirbt. Ein Amt, dass auf Lebenszeit bestimmt ist, und nur einer der drei für die Nachfolge in Frage kommenden Scheichs wäre liberal genug, mit der Regierung für das Wohl des Staates zusammenzuarbeiten. Als kurz darauf auch noch ein Schüler ums Leben kommt, wird Adam von Colonel Ibrahim des Staatsschutzes in ein riskantes Manöver von Manipulation und Verrat verstrickt.
Mit suchender Kamera hat der Film anfangs die Anmutung eines einfach produzierten Independent-Streifens, der mehr in Richtung eines beobachtenden Portraits tendiert. Erst in der Universität werden Pierre Aims Bilder konkreter, sie lassen Adam zuerst in der Menge von Studenten immer wieder verschwinden. Je weiter sich die Geschichte ihrem eigentlich Kern annähert, werden auch die Einstellungen fokussierter. Die Figuren werden Format füllend alleine gestellt, die Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen in ihren Gesichtern lesen. Tarik Saleh lässt durch die Kamera erzählen, was an Dialogen nicht annähernd so wirksam wäre.
Atemberaubend sind die Bilder von Al-Azhar. Phänomenale Panorama-Aufnahmen, und beeindruckend lange Fahrten über Gänge und Plätze. Pierre Aim macht die Universität zu einem ganz eigenen Charakter, durch den die Studenten wie durch Blutbahnen strömen. Da sind aber auch die von der Kamera geschickt eingefangenen Unterrichtsstunden. Zum Beispiel zwei Klassen, die im Hof mit ihren unterschiedlichen Ideologien konkurrieren. Der Filmemacher Saleh hat kein Interesse in Gut und Böse zu unterteilen, oder Partei zu ergreifen. Fanatismus ist stets Charakter bezogen, es geht nie von der Lehre des Glaubens oder dem staatlichen Regime aus.
Im Vordergrund steht ein sehr raffinierter Thriller, der mit vielen Wendungen überrascht. Dabei inszeniert Tarik Saleh immer plausibel, und verbietet sich jede Art von Trickserei. Was er mit dem Ende auch unterstreicht, wenn sich der Kreis zum Anfang schließt. Das hervorragende Ensemble macht es aber auch einfach, sich von der packenden Geschichte vereinnahmen zu lassen. Tawfeek Barhom schafft eine starke Identifikationsfigur als passiver Held, der mehr durch Angst als durch Wagemut getrieben wird. Und Fares Fares, mittlerweile Fares Hallencreutz Fares, überzeugt mit dem undurchsichtigen und eiskalten Colonel endlich einmal Abseits vom launigen Sidekick.
DIE KAIRO-VERSCHWÖRUNG ist ein sehr mutiger Film, weil er keine Stellung bezieht, aber die Schwächen von Staat und Religion gegenüber stellt. Und darüber ist sicher keine dieser beiden Seiten erfreut, auch wenn streng darauf geachtet wurde, selbst für die Dramaturgie nichts Falsches zu behaupten, oder Unrechtes zu zeigen. Tarik Saleh beweist jedenfalls, dass ein hochkarätiger Thriller nicht von Kultur und Land abhängig ist, sondern allein vom künstlerischen Anspruch des Machers. Dennoch wird für Tarik Saleh mit diesem Film das Einreiseverbot für Ägypten sicherlich Gültigkeit behalten.
Darsteller: Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mehdi Dehbi, Sherwan Haji, Ahmed Laissaoui, Makram Khoury, Moe Ayoub u.a.
Regie & Drehbuch: Tarik Saleh
Kamera: Pierre Aïm
Bildschnitt: Theis Schmidt
Musik: Krister Linder
Produktionsdesign: Roger Rosenberg
Schweden, Frankreich, Finnland, Dänemark / 2022
126 Minuten