Nominiert für 7 Oscars 2023
THE FABELMANS
– Bundesstart 09.03.23
Es ist Cecil B. DeMills Technicolor-Spektakel THE GREATEST SHOW ON EARTH, welches das Leben des kleinen Sammy Fabelman für immer verändern wird. Zuerst allerdings nicht im positiven Sinne. Denn der Film mit seinen erstaunlichen Effekten löst bei ihm ein Trauma aus. Diesem zu entrinnen, müsste er jene fürchterliche Szene des Zugunglücks aus GREATEST SHOW irgendwie verarbeiten. Es ist seine Mutter Mitzi, die auf die Idee mit der 8mm-Heimfilm-Kamera von Vater Burt kommt. Sammy lässt dabei seine Spielzeugeisenbahn entgleisen. Das Desaster kann beliebig wiederholt werden. Das Trauma wandelt sich zur Faszination – Sammy Fabelman macht fortan seine eigenen Filme.
„Bisher waren meine Filme Reflektionen von Dingen die mir passiert sind. Bis zu den Fabelmans, wo es nicht um Metaphern ging, es ging um Erinnerungen.“ – Steven Spielberg
THE FABELMANS ist Steven Spielbergs persönlichster Film, aber es ist nicht sein bester Film. Zumindest nach außen hin. Die großartigen Momente, die Fertigkeit des Künstlers Spielberg liegen im Inneren. Es zeugt selten von künstlerischer Finesse, wenn Pressehefte und Interview-Zitate benötigt werden um die wahren Tiefen eines Werkes erfassen zu können. THE FABELMANS ist ein Film, der perfekt auf eigenen Beinen steht. Allerdings ist es weniger der Film der gewinnt, wenn man dennoch einen Blick hinter die Kulissen wagt. Es gewinnt der Respekt vor dem Regisseur und Menschen, der sich selbst als Visionär bestätigt.
Es gehört nicht viel dazu, ohne Zeitaufwand und mit geringen Mitteln zu erfahren, was sich Spielberg und Co-Autor Tony Kushner an künstlerischen und dramaturgischen Freiheiten geleistet haben. Außer den Namen, eigentlich nichts. Es ist keine faktische Abfolge, wie Spielberg selbst betont, sondern Retrospektive der Erinnerungen. Judd Hirschs Rolle des Onkel Boris ist exemplarisches Beispiel für das kreative Vermögen des als Wunderkind bekannt gewordenen Regisseurs. Dem Schauspieler wurde ein Freifahrtschein für die Auslegung seiner Rolle des mysteriösen Onkels ausgehändigt.
Seine krude und manchmal unverständliche Sprachmischung zwischen Englisch und Jiddisch, die Ausschmückung seiner Dialoge, das gesamte Gebaren, selbst die Garderobe, blieb Judd Hirsch überlassen. Für den Filmemacher eine logische Entscheidung. Außer wenigen einprägsamen Äußerungen, die hier auch zu hören sind, verbindet Spielberg eigentlich keine Erinnerungen mit Onkel Boris. Das Hirschs kurzer Auftritt beim Publikum so heraussticht und am prägnantesten im Gedächtnis bleibt, wird somit äquivalent zu Sammy Fabelmans Erfahrungen, und Steven Spielbergs Erinnerungen.
Wie zu erwarten, wird THE FABELMANS in nahezu malerischen Bildern erzählt. Was mit SCHINDLERS LIST begann, konnte Janusz Kaminski in den folgenden 18 Filmen wunderbar verinnerlichen, welche Optik sich Spielberg für seine Filme vorstellt. Es sind weiche Bilder, mit wenig Kontrastumfang, die aber dennoch nicht flach wirken, weil die Farbsättigung entsprechend angeglichen ist. Es reflektiert den Filmlook der Sechziger, selbstredend auf 35mm gedreht. Der Rhythmus und Szenenaufbau ist entsprechend angepasst, was den Film atmosphärisch der Zeit angleicht in der er spielt.
Aber altbacken wirkt THE FABELMANS zu keinem Zeitpunkt. Dafür sorgen schon die vielen optischen Besonderheiten in der Bildgestaltung, die den Film zeitlos erscheinen lassen. Man denke nur an das projizierte Bild in Sammys Handflächen. Die 8mm-Filme, die Sammy dreht, sind Rekonstruktionen von Spielbergs real gedrehten Kinder- und Jugendwerken, stilecht im selbigen Format umgesetzt. Doch bei der ‚Frage und Antwort‘ beim Toronto International Filmfestival gestand der Regisseur, „ich hatte die Chance sie noch einmal zu machen. Es wurde eine Überarbeitung. Es war großartig sie zu überarbeiten. Es war fantastisch“.
Die Reise zurück, ist nicht nur eine wundervolle Reise für die Zuschauerin und den Zuschauer, sondern ein perfekt sortiertes Fotoalbum an Erinnerungen. Dieser Mann lädt uns ein, um mit uns zu teilen. Das ist aufregend, dramatisch, sehr komisch, immer wieder überraschend, und einfach wunderschön anzusehen. An keinem Punkt benötigt der Film das große Melodram. Ob der Antisemitismus oder die Scheidung der Eltern, der Filmemacher hat uns so nahe an sich, sprich seine Figuren herangelassen, dass wir begreifen und nachzufühlen, ohne die Situationen emotional überziehen zu müssen.
THE FABELMANS hat Szenen, die könnten ewig weitergehen. Onkel Boris oder das Gespräch mit Rüpel Logan, Sammys Dreharbeiten oder die Tischgespräche der Familie. Alles was Steven Spielberg schon immer als Geschichtenerzähler ausgemacht hat, und im Laufe der Jahrzehnte verfeinert wurde, hat er stilistisch in diesen Film eingearbeitet. Aber so behutsam zurück genommen, dass THE FABELMANS eine fast traumwandlerische Qualität bekommen. Es ist keine reinigende Selbstbetrachtung, keine Aufarbeitung, weder Schuldzuweisungen, noch Rechenschaft. Das macht den Film rundherum angenehm.
Film-Freaks, Cineasten und Feuilletonisten werden vergeblich nach Quellen, Hinweisen und Anspielungen suchen, die den großen Regisseur als Inspiration für seine Meisterwerke dienten. Damit verschonen uns die FABELMANS. Nicht weil es uninteressant wäre, sondern vom Kern der Erzählung ablenken würde, in dem es nicht um sein Genie geht, sondern die prägende Menschlichkeit die ihn begleitete.
Ja, und auch das Ende im Büro eines der großen Vorbilder von Steven Spielberg ist keine gut gemeinte Fantasie. Bis auf den kleinen Kameraeffekt in der letzten Einstellung vielleicht. Aber bei dieser Sequenz ist Spielbergs Erinnerung weder getrübt noch verklärt, es ist zum Glück alles genauso passiert. Denn damit wird dieses Ende des Films die perfekt Vorschau auf kommende Attraktionen, die das Schicksal für Sammy Fabelman noch bereit hält.
Darsteller: Michelle Williams, Paul Dano, Gabriel LaBelle, Mateo Zoryan, Seth Rogan, Keeley Karsten, Judd Hirsch u.a.
Regie: Steven Spielberg
Drehbuch: Steven Spielberg, Tony Kushner
Kamera: Janusz Kamniski
Bildschnitt: Sarah Broshar, Michael Kahn
Musik: John Williams
Produktionsdesign: Rick Carter
USA, Indien / 2022
152 Minuten