– Bundesstart 15.02.2023
Als Ant-Man Scott Lang dem Marvel Cinematic Universe beitrat, war seine Berufung im Kleinen Größe zu erlangen. Bei den Einzelfilmen wurde dies auch narrativer Leitfaden. Anders als mit den Avengers, musste er nicht die Welt dort draußen retten, sondern seine eigene bescheidene Existenz mit dem verbundenen Umfeld. Für eine vernünftige Weiterführung war es eine logische Schlussfolgerung das geschlossene Familienabenteuer beizubehalten, aber dem Gesetz der Fortsetzung nachzukommen, auszubrechen und viel größer zu werden. Dazu muss Ant-Man samt Angehöriger erst einmal viel kleiner werden. Das liest sich verwirrend? Soll der Plot in seiner philosophischen Ausrichtung auch sein. Denn es gibt viele Welten, und jede davon will gerettet werden. Die subatomare Quantenebene ist so eine Welt, die Scott Lang so egal sein könnte, wie Thanos die Existenz von Scott Lang. Wäre nicht die ganze Familie Lang/Pym/Van Dyne ins Quantenreich entführt worden.
Ohne schon erkennbare Verknüpfungen, wurde Phase vier des MCU abgeschlossen, und QUANTUMANIA leitet Phase fünf und sechs ein, diesmal mit einer schlüssigeren Prämisse. Sollte aber für die Anhänger des größten Kinoprojekts aller Zeiten nichts Neues sein. Und wer sich nicht dazu zählt, ist bestimmt schon ausgestiegen, was man aber auch niemanden verdenken kann. 30 Filme und 8 Fernsehfilme die an Phase vier angebunden sind, bescheren keinen entspannten Kinoabend, will man auch nur im Ansatz mithalten. Besonders wenn man auch gerne breiter gefächert die Freuden cineastischer Produkte genießt.
QUANTUMANIA ist ein wichtiger Film, bei dem Autor Jeff Loveness allerdings vergessen hat, was seinen verfassten ANT-MAN AND THE WASP und dessen Vorgänger so attraktiv machte. Das war unter anderem sein fabelhaftes Ensemble, und die sind hier stärker in Zeichnung und Spiel als zuvor. Janet Van Dyne, die schon einmal 30 Jahre in der Quantenebene fest saß, wird mit Michelle Pfeiffer zur ernstzunehmende Action-Heroine, aber mit allen Finessen des dramatischen Schauspiels. Und als Hank Pym darf Michael Douglas gegen sein Image den zottig, verschmitzten Großvater spielen, der die Oberhand behält, weil er unvernünftig bleibt.
Es ist der Handlungsentwurf an dem QUANTUMANIA scheitert, und da mag es noch so viel gut gespielte und gut durchdachte Momente haben. Die Quantenebene selbst ist der größte Gegner eines stimmigen Handlungsverlaufs. Wie diese Welt wirklich funktioniert bleibt ein Rätsel. Dinge geschehen, die laut der Charaktere nicht möglich sind. Haben die bekannten physikalischen Gesetze noch Gültigkeit? Das wirft bestimmt zuhause bei Familie Nerd essentielle Fragen auf. Kein Zweifel – in diese Welt einzutauchen ist ein visuelles und akustisches Ereignis. Die ausgelassene Freude der Designer spiegelt sich in allen verrückten und phantastischen Wesen und Landschaften wieder.
Den Vergleich mit der Star Wars Cantina zwingt sich auf, weil George Lucas’ Kreation einfach ikonografische Filmgeschichte ist. Gerechtfertigt ist dann aber nicht. Dann könnte man auch noch andere Beispiel anführen, in die man unbedingt Vergleiche hineininterpretieren möchte. Wie der nicht wirklich erklärte Nexus aus STAR TREK GENERATIONS oder die Galaxien in einer Murmel bei MEN IN BLACK. Doch in Wirklichkeit gehen die Phantastereien in QUANTUMANIA in ihrer berauschenden Vielfalt an Ideen weit über eventuelle Vergleiche hinaus. Das eigentliche Problem ist, dass die Quantenebene einfach beliebig ist.
Mag sein, dass es die Absicht der Macher gewesen ist, dieser fremde Welt alle Regeln zu entziehen, weil auch im richtigen Leben die subatomare Ebene nicht greifbar ist. Damit wird aber die Handlung zu einer willkürlichen Abfolge von abgedroschenen Versatzstücken. Die Szenarien richten sich nicht nach den Gesetzmäßigkeiten der Quantenebene aus, auch wenn die Macher immerzu vorgeben, dass es so wäre. Die Gegebenheiten dieser Welt passen sich immerzu den Anforderungen der Geschichte an. Wirklich spannend ist das dann nicht, weil alles vorhersehbar wird. Hindernisse werden je nach Bedürfnis in der Handlung, durch die beliebigen Möglichkeiten dieser Welt gestaltet.
Wenn es keinen Ausweg mehr gibt, findet sich immer etwas, dass durch die Quantenebene einen Ausweg ermöglicht. Das bezieht sich auf die Helden, wie auf den Antagonisten Kang. Kang, der Eroberer, wird entsprechend seiner bevorstehenden neun weiteren Filmauftritte, von der zweiten Staffel LOKI ganz zu schweigen, entsprechend fokussiert in Szene gesetzt. Das Jonathan Majors im zeitnahen Umfeld von QUANTUMANIA mit Prestige-Produktionen wie THE HARDER THEY FALL, DEVOTION und CREED III in Erscheinung tritt, wird nicht unbedingt Zufall sein. Die Leistungsschau seines expressiven Spiels ist auch hier bemerkenswert. Nur sein Charakter ist es nicht.
Kang ist nach dem Regelbuch des mental aus der Spur gelaufenen Bösewichts gezeichnet. Tiefer gehende Einblicke bleiben verwehrt. Wenn sich das die Produzenten für die nächsten Filme aufheben möchten, ist das in Ordnung. QUANTUMANIA leidet allerdings unter dieser flachen Beschreibung. Zu den Leiden zählt aber auch das typisch nervige Kind, dass nicht in der Lage ist einfachste Regeln zu befolgen. Anstatt mit Ohrfeigen abgestraft zu werden, darf sie sich als ebenbürtige Heldin beweisen, bei Problemen die alleine sie zu verantworten hat. Was ist das nur mit dem amerikanischen Kino und seinen trotzigen Plagen? DOCTOR STRANGE: MULTIVERSE OF MADNESS hat es doch mit America Chavez demonstriert, dass es auch vernünftig geht.
ANT-MAN AND THE WASP – QUANTUMANIA ist ein wichtiger Film. Aber er ist kein guter Film. Die Rechtfertigung mit unterhaltsamen Popcorn-Kino sollte in so einem derart aufgeblasenen Unternehmen wie dem MCU nicht gelten. Man kann ja sehr gut sehen, das die perfekte Mischung von stimmigem Humor und ansprechender Dramatik vorhanden ist. Paul Rudd wurde nie die Chance zum reinen Charakter-Darsteller gegeben. Doch mit Scott Lang beweist er ein überzeugendes Spiel mit der perfekten Waage von unbekümmertem Frohsinn und getriebener Verzweiflung. Ähnlich seiner vorschnell abgesetzten Serie LIVING WITH YOURSELF.
Aber Rudds Darstellung von Scott Lang/Ant-Man ist nur einer von mehreren Punkten auf denen sich Autor Loveness und Regisseur Peyton Reed ausruhen. Ihr offensichtliches Interesse liegt mehr auf der Vorbereitung für die kommenden MCU-Filme und Serien. Leider ein zunehmender Trend in der Reihe, dass die Filme mehr und mehr darauf ausgelegt sind, das Universum aufzubauen, zu erweitern, und den Fan-Service in den Vordergrund zu stellen. Dabei werden in sich geschlossene Handlungen vernachlässigt, die mit selbsterklärenden Elementen und eigenständigen Dramaturgien überzeugen müßten. In diesem Sinne ist ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA ein großer Verlierer, und mit ihm die Zuschauerinnen und Zuschauer.
Darsteller: Paul Rudd, Evangeline Lilly, Jonathan Majors, Kathryn Newton, Michelle Pfeiffer, Michael Douglas, Bill Murray, Corey Stoll, Randall Park u.a.
Regie: Peyton Reed
Drehbuch: Jeff Loveness
Kamera: Bill Pope
Bildschnitt: Adam Gertsel, Laura Jennings
Musik: Christophe Beck
Produktionsdesign: Will Htay
USA / 2023
125 Minuten