– HEOJIL KYOLSHIM
a.k.a. DECISION TO LEAVE
– Bundesstart 02.02.2023
Es macht traurig, dass die Synchronisation in Deutschland noch immer so einen hohen, und stets unverdienten Stellenwert genießt. Ein ebenso humorvolles, wie auch Spannung bildendes Element geht in FRAU IM NEBEL dabei verloren. Wenn die mordverdächtige Chinesin Seo-rae durch den koreanischen Kommissar Jang Hae-joon unter Druck gerät, spricht sie ihre Aussagen in der Muttersprache ins Smartphone, welches dann ins koreanische übersetzt. In der Hitze des gesprochenen Gefechts, kann das Warten auf die Übersetzung mächtig die Nerven strapazieren. Und es nimmt jede Dynamik aus den aufgeladenen Dialogen. Das bringt nicht nur Hae-joon aus seinem Konzept, sondern Regisseur Park nutzt es auch als Instrument, die Zuschauerinnen und Zuschauer zu verwirren. Park Chan-wook möchte nicht, dass die Menschen vor der Leinwand einfach nur beobachten. Er will sie erfahren lassen.
DIE FRAU IM NEBEL ist der klassische Thriller des ambitionierten Kommissars, der von einer unheilvollen Anziehung zu der mysteriösen Tatverdächtigen getrieben wird. Ein pensionierter Beamter der Einwanderungsbehörde kommt beim Solo-Klettern ums Leben. Jang Hae-joon muss ermitteln ob es Unfall, Mord, oder gar Selbstmord war. Die wesentlich jüngere Witwe Song Seo-rae, eine chinesische Immigrantin, bringt sich durch ihr Verhalten selber als mögliche Täterin in den Fokus. Aber je mehr Spuren Jang Hae-joon verfolgt, umso stärker verdichtet sich Seo-raes Alibi.
Wenn jemand meint, DIE FRAU IM NEBEL würde zum Sub-Genre des sogenannten Erotik-Thrillers nichts Neues einbringen, liegt er zunächst nicht falsch. Genau damit spielt aber auch der Regisseur, der dieses Verwirrspiel, wie die meisten seiner Filme, zusammen mit Co-Autorin Chung Seo-kyung ersonnen hat. Damit erklärt sich sicherlich auch die Stimmigkeit in den Erzählformen der außergewöhnlichen Filme des Regisseurs. Und FRAU IM NEBEL entzieht sich eigentlich vollkommen einer konkreten Zuordnung, auch wenn er auf dem Grundgerüst des Film-Noir errichtet ist.
Film-Noir, Psycho-Thriller, Romanze, Krimi, und in Ansätzen sogar Komödie. Der Film will sich nicht einordnen lassen, bringt aber die diversen Genre-Abstecher hervorragend zusammen. Das wird mit den Bildern von Kim Ji-yong gleichermaßen unterstützt, manchmal konterkariert. In dramatischen Dialog-Passagen werden die Figuren in traumwandlerischen Einstellungen als Einheit gezeigt. Oder verzerrte Perspektiven erzeugen nach dem Regelbuch des Spannungskinos unheilvolle Stimmung. Beim observieren gestaltet sich die eigentliche Verletzung der Intimsphäre als sehnsüchtige Poesie.
Was den Anschein erweckt, die Kamera würde gegen den Inhalt der jeweiligen Szene arbeiten, erweist sich als raffiniertes Spiel mit dem Publikum. Denn es reflektiert auch das Innere der Figuren, insbesondere von Hae-joon. Wie man spricht und handelt, ist nie gleichbedeutend mit den Gefühlen. Und danach richtet sich hauptsächlich die zweite Hälfte von FRAU IM NEBEL auch aus. Denn die erste Stunde, mit bekannten und beliebten Elementen des modernen Film-Noir, ist lediglich Prolog einer weit vielschichtigeren Erzählung. Und auf diese einzugehen, wäre ein Verbrechen am Leser dieser Zeilen.
Bestraft wird, wer Park Chan-wook unterschätzt. Es gibt kaum Leerlauf in diesem komplexen Geflecht von Geheimnissen, Offenbarungen und Abhängigkeiten. Die Inszenierung gibt jeder Szene eine Bedeutung. Das hat viel mit der Mentalität des asiatischen Kinos zu tun, das weniger der stringenten Erzählstruktur des westlichen Mainstream-Kinos folgt, sondern mehr nach dem Moment arrangiert ist. Auch FRAU IM NEBEL verweigert sich einem Verlauf vonfester Grundstimmung. Die Form jeder Szene richtet sich an den Gefühlen aus. Die Charaktere bestimmen die Handlung, nicht umgekehrt, wie gewohnt.
Tang Wei und Park Hae-il sind feste Größen im asiatischen Kino, und man merkt auch schnell warum. Beide stehen im Wechsel zwischen Leidenschaft und Ressentiment, und können ihre Figuren Seo-rae und Hae-joon sehr präzise aufeinander reagieren lassen. Sie können sich trotz ihrer Verletzlichkeit fallen lassen, aber auch die Hingabe des anderen für sich nutzen, aber sie betrügen sich nicht. Und das wissen sie voneinander. DIE FRAU IM NEBEL ist ein sehr intensiver Film, bei dem Park Chan-wook, wie eigentlich üblich, sein Publikum fordert. Wer nicht wachsam ist, kann essenzielles versäumen. Auch wenn er sich in den Mantel des Althergebrachten hüllt – er existiert also noch, der anspruchsvolle Thriller.
Darsteller: Park Hae-il, Tang Wei, Lee Jung-hyun, Go-Young Kim, Jung Young Sook, Teo Yoo u.a.
Regie: Park Chan-wook
Drehbuch: Park Chan-wook, Chung Seo-kyung
Kamera: Kim Ji-yong
Bildschnitt: Kim Sang-beom
Musik: Jo Yeong-wook
Produktionsdesign: Ryu Seong-hie
Südkorea / 2022
138 Minuten