– Bundesstart 1. Dezember 2022
Preview 25.11.2022 (Orange Day)
Wer sich weiterführend über die Untergrundorganisation ‚Jane‘ informieren möchte, sei Laura Kaplans Buch ‚The Story Of Jane‘ empfohlen. Das geht mehr ins Detail über die Frauengruppe in den 60er Jahren, die anderen in Not geratenen Frauen bei illegalen Abtreibungen half, die seinerzeit verboten waren. Oder man gönnt sich Tia Lessin und Emma Piles‘ Doku THE JANES, die in Deutschland allerdings nur über Wow zu streamen ist. Beim Sundance Filmfest wurde THE JANES im Januar 2022 begeistert aufgenommen, wo zeitgleich auch Phyllis Nagys Spielfilm CALL JANE Premiere feierte. Letzterer wurde auf dem anspruchsvollen Festival wohlwollend zur Kenntnis genommen, musste aber Genre gemäß gegenüber der Doku zurückstecken. Doch beide Filme schließen sich nicht gegenseitig aus, stehen erst recht nicht in Konkurrenz. Aber CALL JANE erreicht zu keinem Zeitpunkt eine ähnlich soziopolitische Relevanz.
Elizabeth Banks erstrahlt geradezu perfekt in der Rolle von Hausfrau und Mutter im 60er Jahre Vorstadt-Idyll. Und Banks ist fast noch besser in der Rolle einer verzweifelten Frau, die auf illegalem Weg einem System trotzen muss, um ihr eigenes Leben zu retten. Die Chance bei der Geburt ihres Kindes zu sterben liegen für Joy bei 50%. Ursache ist ein Herzfehler. Ein Schwangerschaftsabbruch wäre ohne weiteres möglich, und von Joy und ihrem Mann erhofft.
Hier liegt schon eines der schwächeren Elemente die sich durch den Film ziehen. Chris Messina füllt die Rolle als treusorgender Vater und Gatte hervorragend aus, nur kommt sein Charakter viel zu kurz. Es liegt nicht an Messina, dass die Figur einen desinteressierten Eindruck erweckt, es liegt am Buch. Seine Rolle als Rechtsanwalt wird vorgeschoben, damit er sich aus den illegalen Aktivitäten der ‚Janes’ heraushalten kann. Mehr Gewichtung auf ihn mit einer ehrlicheren Auseinandersetzung zum Thema würde ein interessanteres Licht auf Joys Ehe werfen.
Ein Gremium von sieben Männer des Krankenhaus-Vorstandes entscheidet, das Risiko der 50% Sterblichkeit in Kauf zu nehmen. Keine Abtreibung. Es ist 1968, und es gibt keine legale Möglichkeit diesen Beschluss zu umgehen, um Joys Leben zu schützen. Das Gremium aus Männern ist nicht sehr subtil, gibt aber sofort den Ton der Geschichte an, dass Frauen sich doch besser selber helfen. Gatte Will wird wegen seiner Anwaltschaft auf seine rechtliche Haltung reduziert, so dass seine Einstellung weitgehend unbeleuchtet bleibt.
Begleitet wird der Film von einem gut gewählten Soundtrack an zeitgenössischen Pop- und Alternativ-Songs, die verdeutlichen wie der Film auf ein breiteres Publikum ausgelegt ist. Die Musikauswahl hätte mehr Subtilität vertragen können, vielleicht sogar etwas gegenläufiges. So ist die dargebotene Untermalung lediglich gefällig, was zum Beispiel die Wahl von The Velvet Underground mit ‚Sister Ray‘ unterstreicht, die genau beim entsprechenden Wendepunkt in der Handlung einsetzt.
Durch ein Flugblatt – ‚Schwanger? Du brauchst Hilfe? Call Jane!‘ – sieht Joy eine Möglichkeit zur Lösung ihres Problems. Ein Anruf, ein Wagen, eine Augenbinde, ein geheimes Haus, 600 Dollar, und Joy hat eine illegale Abtreibung mit tadelloser Nachsorge. Sie lernt die Frauen der geheimen Organisation kennen, und die Gründerin Virginia, eine resolute Bürgerrechtlerin. Erst denkt Joy, dass es das gewesen ist. Doch dann bittet Virginia sie unvermittelt um einen dringlichen Gefallen, und Joy wird gegen ihre Absicht Teil der ‚Janes‘.
Jetzt ist Sigourney Weaver ja eine Frau, die immer in allem gut ist. Und wie sie den jungen Dean, der bei den Janes die Abbrüche vornimmt, eiskalt um den Finger wickelt, um den Preis zu drücken, dass ist Unterhaltungskino auf höchstem Niveau. Wie in vielen der einzelnen Handlungselemente, zeigt sich CALL JANE als genau das – Unterhaltungskino. Weaver ist selbst für eine kampferprobte Bürgerrechtlerin einfach viel zu abgebrüht, rücksichtslos fordernd. Da vermisst man dann doch einmal eine emotional differenziertere Figur, die der Brisanz des Themas gerecht wird.
In der Inszenierung von Phyllis Nagy gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Der Film hat keinen Leerlauf, das Tempo ist stimmig, und die Gewichtung der einzelnen Sequenzen ist exakt auf die inhaltliche Bedeutung ausgelegt. Nur liefert Hayley Schore und Roshan Sethis Buch dafür zu wenig. Es ist gut, und auch notwendig, dass sich der Film auf die Frauenfiguren konzentriert. Spannend ist, wie die durch strukturellen Konservatismus geprägte Joy die Arbeit der Janes zuerst noch verurteilt, obwohl sie vorher deren Dienste in Anspruch nehmen musste.
Aber das Drehbuch setzt sich nicht wirklich mit den Konsequenzen der illegalen Aktionen auseinander. Und die wären eigentlich enorm gewesen. Es wird viel darüber geredet, aber zu keinem Zeitpunkt vermittelt der Film das Gefühl einer Gefährdung. Selbst als ein verdeckter Ermittler am Küchentisch von Joy und Will sitzt, erahnt man sehr schnell dessen eigentliches Anliegen. Was sich als Film sehr unterhaltsam und spannend, und vor allem durchaus sehenswert ausnimmt, steht in keiner Relation zu den Risiken die jede dieser Frauen tatsächlich eingegangen ist – gesellschaftlich und strafrechtlich.
Eine gewisse Relevanz kann man dem Film durch die Möglichkeit zusprechen, dass ‚Jane‘ nach fast 50 Jahren ihrer Auflösung, in den Vereinigten Staaten wieder von Nöten werden könnte.
Darsteller: Elizabeth Banks, Chris Messina, Sigourney Weaver, Grace Edwards, Corey Michael Smith, Wunmi Mosaku, Kate Mara u.a.
Regie: Phyllis Nagy
Drehbuch: Hayley Schore, Roshan Sethi
Kamera: Greta Zozula
Bildschnitt: Peter McNulty
Musik: Isabella Summers
Produktionsdesign: Jona Tochet
USA / 2022
121 Minuten