– Bundesstart 17.11.2022
Es ist ein seltsamer Hybrid den der Norweger Bent Hamer mit THE MIDDLE MAN vermittelt. Bent Hamer hat nicht den bitterbösen Humor von Anders Thomas Jensen, dessen ADAMS ÄPFEL oder IN CHINA ESSEN SIE HUND am bekanntesten sein dürften. Aber Hamer ist auch weit entfernt von der unverhohlenen Traurigkeit aus DIE JAGD und DER RAUSCH eines Thomas Vinterberg. Aber THE MIDDLE MAN ist unmissverständlich einer dieser Filme, wie sie eigentlich nur aus Skandinavien kommen können, wo einfühlsamer Spaß und erheiternde Melancholie atmosphärischer Standard sind. Attribute die auch auf Frank Farellis Wesen zutreffen. Frank ist einer von zwei Bewerbern für die Stelle des Mittelsmannes, der für die offiziellen Behörden unangenehme Nachrichten überbringen soll. Und im heruntergekommenen Arbeiterstädtchen Karmack, USA, gibt es für den Mittelsmann sehr viel zu tun.
Der Film erlangt eine gewisse Allgemeingültigkeit durch seine ungewöhnlichen Produktionsentscheidungen. Während die Geschichte im Mittleren Westen der USA angesiedelt ist, wurde er in Deutschland und Kanada gedreht. Die Darsteller sind Norweger, Schweden, Kanadier und Dänen, sowie der Filmemacher Hamer selbst aus Norwegen stammt. Das die Darsteller der amerikanischen Figuren keine Muttersprachler sind, ist deutlich hörbar. Deswegen irritiert THE MIDDLE MAN auch in den ersten Minuten.
Die Verwirrung legt sich schnell, denn Hamer schafft umgehend eine eigene Atmosphäre, die an Wim Wenders‘ filmischen Blick auf Amerika erinnert, aber bei weitem nicht so düster und pessimistisch wirkt. Obwohl das Städtchen Karmack dafür prädestiniert wäre. Merkwürdige Unfälle und eigenartige Selbstmorde häufen sich. Frank Farelli ist einer aus Karmack, einer den die Menschen kennen und demnach auch vertrauen. Mit Frank als Mittelsmann scheint das Leid erträglicher. Aber das schafft auch massive Probleme.
Was genau in der Stadt nicht stimmt, lässt Bent Hamer einfach in der Schwebe. Die beeindruckende Photographie von John Christian Roselund transportiert eine stimmige Atmosphäre von langsamen Verfall und lakonischer Gleichgültigkeit. Stadt und Menschen sind Opfer von übergeordneten Einflüssen wirtschaftlicher und soziologischer Natur. Innerhalb der gesellschaftlichen Struktur von Karmack ist Frank ähnlichen Gesetzen unterworfen. Egal wie gut er seinen Job verrichtet, ist er den Obrigkeiten unterworfen: Dem Bürgermeister, dem Sheriff, und dem Pastor.
Eine große Fabrikanlage ist nur von der Ferne auszumachen, durch eine lange Brücke von Karmack getrennt. Roselunds Bilder erinnern stark an Edward Hoppers gezeichnete Momentaufnahmen seiner amerikanischen Chroniken. Das passt hervorragend zu der meist gelassenen Erzählung. Der unterschwellige Humor führt manch bitterböse Situation ad absurdum. Aber der Film wird nicht zynisch, er bleibt immer ehrlich zu sich und seinen Figuren. Dabei ist Pål Sverre Hagen als stoischer Frank schlichtweg perfekt, der mit asketischer Gelassenheit in seiner Berufung aufgeht.
Franks Beziehung zu seiner Mitarbeiterin Brenda wird zu einer unbestimmten Partnerschaft, bei der man nie weiß, wer von wem emotional abhängig ist. Tuva Novotny spielt Brenda mit einer undurchschaubaren Maske, die ausgezeichnet das Stimmungsbild von Karmack reflektiert. Hier wandelt sich immer wieder ein verschmitztes Lächeln in einen lautstarken Lacher, und manchmal bleibt dieser einem im Halse stecken. Manchmal hintersinnig, meist absurd, oftmals einfach menschlich. THE MIDDLE MAN will nie wirklich Tragödie sein, was aber auch nur abschrecken würde.
Die absolute Hingabe an seine Job bringt Frank schließlich in Bedrängnis. Jeder mag und akzeptiert ihn, was ihm selbst sehr am Herzen liegt. Doch irgendwann überschneiden sich Interessen und Empfindlichkeiten seiner sogenannten Kunden. Was er bei einer Partei richtig macht, verärgert sehr leicht eine andere. Für Frank beginnt ein Spießrutenlauf zwischen den Fronten, der eine aberwitzige Kettenreaktion an tragischen, für die Zuschauer aber herrlich verrückten Ereignissen auslöst. Und Filmemacher Bent Hamer lässt in diesem sehr sympathischen und herzlich unterhaltsamen Film keinen Zweifel daran, dass Karmack, USA, überall sein kann.
Darsteller: Pål Sverre Hagen, Nicolas Bro, Trond Fausa, Paul Gross, Don McKellar, Tuva Novotny u.a.
Regie & Drehbuch: Bent Hamer
Roman: Lars Saabye Christensen
Kamera: John Christian Roselund
Bildschnitt: Anders Refn
Musik: Jonathan Goldsmith
Produktionsdesign: Diana Magnus
Norwegen, Deutschland, Kanada, Dänemark / 2021
95 Minuten