SEE HOW THEY RUN

See How They Run - Copyright 20th CENTURY STUDIOS– Bundesstart 27.10.2022

Das Stück ‚The Mousetrap‘ von Agatha Christie ist ein schrulliges Novum in der Welt des Theaters. Es darf erst für die Leinwand adaptiert werden, wenn es für mehr als sechs Monate keine Vorstellungen mehr am Londoner West End gibt. Mit dieser Auflage hat ‚The Mousetrap‘ unverrückbare Theatergeschichte geschrieben, denn seit der Uraufführung 1952 wurde es ohne Unterbrechung gespielt (Die Pandemie war eine entschuldbare Ausnahme). Damit ist dieses Werke das am längsten gespielte Bühnenstück weltweit, und noch immer unverfilmt. Der britische TV- und Sitcom-Autor Mark Chappell nutzte diese einmalige Situation auf clevere Weise, in dem er eine eigene Krimigeschichte verfasste, die nicht von ‚The Mousetrap‘ selbst handelt, sondern im Umfeld des Stückes spielt. Somit können auch elementare Handlungsteile, oder gar die Auflösung mit dem überraschenden Ende weiterhin ein Geheimnis für Theaterbesucher bleiben.

Chappells Kniff erweckt den Anschein von den aktuell so beliebten Formaten mit übergestellten Realitätsebenen, sprich meta. Davon sollte man als Publikum aber schnell Abstand gewinnen, denn dies würde falsche Erwartungen anheizen. Dennoch ist SEE HOW THEY RUN mit so viel Inbrunst und Detailversessenheit, dem Theater und speziell diesem Stück von Agatha Christie verschrieben, dass sich in der Zuschauerrezeption kaum Grauzonen finden werden.

Im Heute des Jahres 1952, in dem ein neues Bühnenwerk London begeistert. Die Polizeinanwärterin Constable Stalker und der altgediente, und scheinbar in Ungnade gefallene Inspector Stoppard müssen den Mord an dem amerikanischen Filmproduzenten Leo Köpernick aufklären. Der sitzt tot in der Kulisse des Stücks ‚The Mousetrap‘, in einem Theater im West End (Aha). Verdächtig sind einige Darsteller, der Produzent, der Regisseur, am Ende die Autorin selbst, weil es unterschiedliche Auffassungen über das Schicksal des Stückes gibt. Denn Köpernick wollte unbedingt die Filmrechte an ‚Mousetrap‘ erwerben (Ahaaaa).

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Es gibt keinen Zweifel an der erstaunlich produktiven Zusammenarbeit von Kameramann Jamie Ramsey, hier mit überraschender Wandlungsfähigkeit, und dem Design-Team um Amanda McArthur, die sich auf ungewohnt neuem Terrain beweist. SEE HOW THEY RUN ist vielweniger auf realistisches Zeitkolorit bedacht, als darauf schwelgerisch die Optik und das Flair damaliger Filmproduktionen zu zelebrieren. So entlarvt der Bildausschnitt die Bauten mit den sehr hohe Wände und den großzügigen Räumen als Studiokulisse.

Die Ausleuchtung ist sehr gleichmäßig und verzichtet weitgehend auf punktuelle Details. Was dann aber eine maßgebliche Szene intensiviert, die nur durch starke Schattenbereiche funktioniert. In manchen Szenen glaubt man den skurrilen Einfluss von Wes Anderson zu spüren. Die Kamera erlaubt sich keine modernen Spielereien.
Die beim Bild bewusst antiquiert anmutenden Gestaltungen und Perspektiven mit zentral ausgerichteten Ausschnitten und vertikalen Sichtachsen geben dem Film eine mittlerweile ungewohnte Optik. Das wirkt für das aktuelle Kino eher verschroben, hat aber nicht nur für Cineasten einen überwältigenden Charme.

Seinen eigenwilligen Humor bezieht der Film zum Teil aus dem hervorragenden Spiel der Darsteller im Zusammenhang mit der technisch kreativen Umsetzung. Zum Beispiel zwischen dem gelangweilten Mentor Stoppard und der übermotivierten Stalker, die meist in ungeschnittenen Frontalaufnahmen ihre Interaktionen haben. Die Sache bringt es wohl mit sich, dass man während der extrem temporeichen Wortwechsel in der deutschen Fassung Saoirse Ronans kongeniale Imitationen von Katherine Hepburn und Richard Attenborough versäumen wird.

SEE HOW THEY RUN ist ein Whodunit im Whodunit, jene spezielle Form von Krimi, die durch Agatha Christie richtig populär wurde. Der Werwares? funktioniert im Grunde ganz gut, steht sich aber mit überquellender Fülle an Details immer wieder selbst im Weg. Fast jeder Dialog in jeder Szene ist mit Zitaten, Querverweisen, Anspielungen und Selbstreferenzen aus der Film- und Theaterwelt überhäuft. Und zwar eine Film- und Theaterwelt wie sie in den 1950er aktuell war.

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Der Ermordete selbst gibt im Off-Kommentar einen Abriss über diese Krimis. Er beschreibt die endlosen Expositionen der einzelnen Figuren als schrecklich langweiliges Prozedere. Letztendlich ist es aber auch notwendig, denn nur durch sehr viel Hintergrundwissen wird sich die Spur zum Täter legen lassen. Der tote Köpernick erzählt dies dem Zuschauenden bezogen auf ‚Mousetrap‘, während diese Ausführungen genau in diesem Augenblick für die Figuren von SEE HOW THEY RUN vollzogen werden.

Unzählige Pointen gehen verloren, wenn das Publikum nicht mit der Geschichte und den Hintergründen von Filmen und Theaterstücken vertraut ist. Das gilt ganz besonders für ‚The Mousetrap‘ selbst, weil sich der echte Fall dem fiktiven Fall des Stückes immer mehr annähert, dann aber gewisse Teilstücke für den humoristischen Unterhaltungswert unerlässlich werden. Wie zum Beispiel Christies noch heute gültige Auflage, ‚Mousetrap‘ dürfte erst verfilmt werden, wenn es auf der Bühne abgesetzt wurde.

Erschwert wird unbeschwertes Verständnis noch mit der Durchmischung von realen mit fiktiven Figuren. Da gibt es beispielsweise Richard Attenborough und seine Frau Sheila Sim, die mit dem erfundenen Produzenten Leo Köpernick aneinander geraden. Oder Agatha Christie, die nur für diesen Film ihren eigenen Butler umbringt. Was letztendlich auf wirklichen Ereignissen basiert, bleibt unklar. Könnte durchaus auch egal sein. Es schmälert aber ungemein den Spaß an der Sache.

Als unbedarfter Zuschauer ist man somit angehalten, sämtliche Figuren und ihre Verhaltensweisen als Geisteskind des Drehbuchautoren einzustufen. Als Film haben andere, ähnlich kunstfertig verwobenen Beispiele trotzdem funktioniert. Für SEE HOW THEY RUN ist aber die Voraussetzung für ein gewisses Grundwissen schon ziemlich überreizt. Optisch und besonders darstellerisch ist Tom Georges Film mit seiner punktgenauen Inszenierung ein Genuss, in der jede Szene mit dem richtigen Tempo umgesetzt ist. Und tatsächlich versteht auch SEE HOW THEY RUN als sehr eigenständiger Whodunit die Freunde des Genres zu unterhalten. Wen dieser Film letztendlich wirklich begeistern kann, oder wer sich von ihm gelangweilt fühlt, dass ist sehr schwer nachzuvollziehen. Es beschleicht einen das Gefühl von entweder … oder. Grauzonen sind eher unwahrscheinlich.

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Darsteller: Saoirse Ronan, Sam Rockwell, Adrien Brody, Ruth Wilson, David Oyelowo, Reece Shearsmith, Harris Dickinson u.a.
Regie: Tom George
Drehbuch: Mark Chappell
Kamera: Jamie Ramsay
Bildschnitt: Gary Dollner, Peter Lambert
Musik: Daniel Pemberton
Produktionsdesign: Amanda McArthur
USA / 2022
98 Minuten

Bildrechte: 20th CENTURY STUDIOS
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