ADIEU LES CONS
– Bundesstart 20.10.2022
Die Besprechung liegt der
französischen DVD-Fassung zu Grunde.
Suze Trappet ist 43 und wird bald an einer Lungenkrankheit sterben. Nur der Arzt schafft es nicht, dies konkret auszusprechen. Jean-Baptiste ist 55, und der beste IT-Sicherheitsexperte, des Jugendwahns wegen soll er entlassen werden. Nur weiß sein Chef nicht wirklich, wie er die Kündigung formulieren soll. Später reiht sich noch Serge mit ein, der in Ausführung seines Jobs das Augenlicht verlor. Weil der Staat ihm nicht kündigen darf, leitet er das Archiv für öffentliche Dokumente. Niemand hat ihm gesagt, dass das Archiv für öffentliche Dokumente eigentlich nie Besucher hat. In Fragen von ungewöhnlichen Geschichten, die schräg erzählt werden, ist Schauspieler Albert Dupontel als Autor und Regisseur ganz oben dabei im europäische Kino. Mit jedoch weniger Zuschauern, als seine Filmemacher-Kollegen. Denn Dupontel ist schon sehr speziell, aber sehr einfallsreich und unheimlich lustig.
In ADIEU IHR IDOTEN geht es ums reden. Die Kommunikation, das Verständnis, das Miteinander. Suze läuft davon als sie beginnt ihren Doktor zu verstehen. Jean-Baptiste läuft davon als er seine Entlassung realisiert. Am Ende wird es ein Happy End geben, weil zwei Figuren dazu gezwungen wurden miteinander zu reden. Das scheint thematisch nicht sehr aufregend, aber Albert Dupontel hat das in seinem Drehbuch auch sehr zurückhaltend beschrieben. Es ist der intellektuelle Anspruch, den der Regisseur stellt.
Der intellektuelle Anspruch gleicht aber nicht dem neuen deutschen Kino aus den Siebzigern, sondern hat eigentlich Monty Python zum Vorbild. Terry Gilliam ist in einer sehr kurzen Nebenrolle zu sehen, und ADIEU ist dem verstorbenen Terry Jones gewidmet ist. Dupontel erklärt Python zum Vorbild, hat aber seinen ganz eigenen Stil gefunden, mit seiner eigenen Art von skurriler Inszenierung und aberwitzigen Einfällen. Eine überzeugende Mischung von Romanze, Satire, Slapstick, Farce, Action, Komödie und Drama.
Suze hat mit fünfzehn Jahren ihr Baby direkt nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Jetzt wo ihr Zeitliches gesegnet ist, will sie das Kind kennen lernen. Natürlich stellen sich die Behörden quer. Doch mit dem missglückten Selbstmordversuch des IT-Experten Jean-Baptiste im Nebenzimmer, sieht Suze eine vermeintlich unkomplizierte Lösung. Der versuchte Selbstmord wird zuerst als Amoklauf eingestuft, nur Suze kann Jean-Baptistes Unschuld beweisen, wenn er ihr die Akten über den Verbleib ihres Kindes besorgt.
Es scheint nur so, als wäre es zu viel Genre-Mix. Es kommt aber tadellos an, weil Albert Dupontel zu seinen Figuren steht, und sie nicht zu Kaspern der vielen absurden Ideen werden lässt. Der Filmemacher hat sich selbst die männliche Hauptrolle des Jean-Baptiste gegeben, wie er es bei seinen eigenen Filmen gerne macht. Suze, Jean-Baptiste, oder Serge werden vom Regisseur nur dann bloßgestellt, wenn sie Dinge tun, die dem eigentlichen Charakter der Filmfiguren widersprechen. Der erhöhte Zeigefinger an die eigene Kreation darf aber keineswegs als so etwas wie Metaebene verstanden werden.
Das unheimlich Energie geladene Drehbuch und die atemberaubend flotte Regie lassen alles fast nahtlos ineinander fließen. Da passiert es schon das herzhafte Lacher von mitfühlender Nachdenklichkeit unterbrochen werden, oder eine atemberaubend traumwandlerisches Sequenz in einer überzeichneten Slapstick-Einlage endet. Als Suze am Ende ihr Ziel erreicht, ist es nicht das Ziel welches sie anfänglich verfolgt hatte. Und der Film erreicht eine surreale Potenzierung, die tatsächlich an die besseren Filme von Pythons Terry Gilliam erinnert.
Das Finale ist eine Huldigung an die Phantastik. Und das die Zuschauenden diesen überdimensionierten Showdown mit offenen Armen aufnehmen, ist diesen ausgezeichneten Darstellern zu verdanken. Sie machen durch ihre Figuren aus dem im Grunde bitterbösen Drama, eine ansteckende Würdigung an das Leben. Dupontel hat sich und seinen Mitspielern genügend verrückte Hürden und aberwitzige Zufälle auf den Weg gegeben, aber sie meistern alles mit verbindendem Charme und Schwierigkeiten trotzender Energie. Und diese Auflösung ist genau was das Publikum exakt in dieser Form erwartet und sehen will.
Das verbindet sich alles mit Alexis Kavyrchies völlig entfesselter Kamera. Die Kamera ist keine erhöhte Ebene für den Zuschauer, sie wird zur bebilderten Wahrnehmung der Protagonisten. Sie geht mit den Figuren über eine Wendeltreppe, wie man glaubt, es noch nie gesehen zu haben. Die Kamera schaut stets aus Bildschirmen oder Spiegeln heraus in die Gesichter der Darsteller, und man sieht im Vordergrund noch, was sie darin sehen. Aber es verwirrt nicht, es zieht einen noch viel tiefer in diese verrückte und so liebevoll gestaltete Welt, die gleichzeitig die Emotionen der Protagonisten verkörpert.
Einer von vielen kleinen Höhepunkten ist eine Autofahrt in der wir die Schauspieler sehen. In den Spiegelungen der Fenster erkennt man die wirkliche Umgebung, die so ganz anders aussieht als der blinde Serge aus seiner Erinnerung erzählt. Es ist nicht nur eine atemberaubend inszenierte Sequenz, sondern man muss die vielen Details beachten, die damit einhergehen. Eines von vielen Beispielen, wie präzise in Tempo, Länge und Inhalt Albert Dupontel den gesamten Film inszeniert hat.
Es ist weniger rational als mehr ein Bauchgefühl: Doch diese Art Filme zu machen, erfolgreich umzusetzen, für das Publikum greifbar werden zu lassen, und seine Figuren dennoch real zu halten, ist ein typisches Attribut des europäischen Kinos. Außer vielleicht im deutschen Filmförderungsland. Leider.
Darsteller: Virginie Efira, Albert Dupontel, Nicolas Marié, Jackie Berryor, Catherine Davenier, Bastien Ughetto, Marilou Aussilloux u.a.
Regie: Albert Dupontel
Drehbuch: Albert Dupontel, Marcia Romano, Xavier Nemo
Kamera: Alexis Kavyrchie
Bildschnitt: Christophe Pinel
Musik: Christophe Julien
Produktionsdesign: Carlos Conti
Frankreich / 2020
87 Minuten