VESPER
– Bundesstart 06.10.2022
– 01.09.2022 auf iTunes/US
Die Besprechung beruht auf der amerikanischen Online-Fassung.
Die junge Vesper ist eine der wenigen Überlebenden der ökologischen Katastrophe. Genexperimente und gezüchtete Viren sind in die Natur gelangt und haben die Umwelt verändert. Was die Welt eigentlich heilen sollte, hat sich vollends gegen den Mensch gekehrt. Vespers Vater ist paralysiert und kann nur mit selbst gebastelten Maschinen am Leben gehalten werden. Über eine schwebende Drohne kann er mit seiner Tochter kommunizieren. Tiere gibt es nicht mehr, und nur wenige Pflanzen sind noch genießbar. Die Welt der Filmemacher Kristina Buozyte und Bruno Samper ist düster, und für den Menschen lebensfeindlich. Die Litauerin und der Franzose haben sich acht Jahre vorher bei dem Science Fiction-Thriller AURORA das erste mal den Regiestuhl geteilt. Für VESPER brauchten sie dann 6 Jahre Zeit.
Das Budget nicht unbedingt eine Qualitätsfrage ist, haben schon unzählige andere dystopische Zukunftsfilme gezeigt. VESPER macht aus seinem extrem schmalen Budget im einstelligen Millionen Dollar Bereich viel mehr, als man ihm zutrauen würde. Das hat aber in weiten Teilen mit der hervorragenden Kamera von Feliksas Abrukauskas zu tun, der auch schon bei AURORA – VANISHING WAVES dabei war. Die Bilder sind düster, die Lichtstimmungen fahl und farblos in den Innenräumen, die Landschaften nie sonnig, aber von einer unnatürlichen Grün-Sättigung.
Die Kamera ist auch immer in Bewegung, was die Waldstücke fast schon lebendig macht, und lebendig bedeutet in der Welt von VESPER auch bedrohlich. Es gibt in der Nähe eine kleine Siedlung in der Vespers Onkel herrscht, mit wenigen überlebenden Frauen, die unentwegt schwanger werden müssen. Onkel Jonas möchte auch Vesper in seinem Kreis, zum züchten. Jeder ist darauf bedacht dem Rest der Menschheit wieder eine Chance zu bieten. Jonas auf brachial dominante Weise, während Vesper versucht mit Bio-Hacking Saatgut herzustellen.
Es ist keine schöne Welt, die Buozyte und Samper entworfen haben, aber sie ist weitgehend stimmig und gut durchdacht. Filme die mit erklärenden Schrifttafeln beginnen, haben immer ein Problem. Es fehlen ihnen entweder die Mittel, oder es mangelt an Originalität diese komplexe, andersartige Welt bildlich und über die Handlung zu erklären. Hier scheint es beides zu sein, die finanziellen Mittel ganz offensichtlich, und die Originalität scheitert schon einmal an der schon erwähnten Komplexität. Grundsätzlich geben Schrifttafeln immer zuerst das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Aber VESPER befreit sich schnell davon.
Wie üblich, hat die kapitalistische Gesellschaft wieder gewonnen. Mit den Überresten von nahrungstauglichen Agrarmitteln und Überbleibseln von Hochtechnologie, haben sie sich in Festungen verbarrikadiert. Die dahinsiechende Außenwelt hat von ihnen nichts zu erwarten, höchsten etwas Nahrung im Tausch für frische Blutkonserven. Die Menschheit richtet sich zu Grunde, in dem sie zwanghaft versucht diese zu erhalten. Die körperlichen Anzeigen von Inzucht sind schon sehr weit fortgeschritten. Manchmal ist es sehr schwer der treibenden Kraft der Filmemacher zu folgen, was in dieser Welt noch lebenswert sein soll.
Was aber ausgezeichnet im Film funktioniert, ist das auslassen von Erklärungen. Keiner der Darsteller erzählt von den Apparaturen, oder wie die bakteriellen Batterien funktionieren. Die Zuschauenden werden oft herausgefordert, gewisse Funktionalitäten einfach zu akzeptieren, oder vielleicht sogar eigene Gedanken anzustellen. Nichts ist schrecklicher als Filmemacher die zwingend ihre Zukunftstechnologie erklären wollen, um für innovativ und logisch gehalten zu werden. VESPER geht dem vollkommen aus dem Weg, weil man mit dem Verständnis unserer Zeit einen zukünftigen Fortschritt ohnehin nicht wirklich erklären könnte.
Während man der filmischen Umsetzung kaum etwas entgegen setzen kann, lässt der Film in seinen inhaltlichen Ansprüchen etwas vermissen. Filme mit dieser Grundidee sind nichts Neues, die diversen Elemente sind ebenfalls bekannt. Was aber Kristina Buozyte und Bruno Samper daraus gemacht haben ist wirklich beeindruckend. Sehr straff und immer auf den Punkt inszeniert, die wenigen Special-Effects sind perfekt genutzt, und die Darsteller lassen das Szenario immer glaubwürdig erscheinen. Aber VESPER fehlt einfach ein innovativer Ansatz, ein eigener philosophischer Gedanke, etwas das aufhorchen lässt, oder kontrovers behandelt wird. Filmtechnisch ist VESPER tadellose Unterhaltung mit beachtenswerten Ideen im Konzept und Design, und das war es dann auch.
Darsteller: Raffiella Chapman, Eddie Marsan, Rosy McEwen, Richard Brake, Melanie Gaydos, Edmund Dehn u.a.
Regie: Kristina Buozyte, Bruno Samper
Drehbuch: Brian Clark, Kristina Buozyte, Bruno Samper
Kamera: Feliksas Abrukauskas
Bildschnitt: Suzanne Fenn, Justin MacKenzie Peers
Musik: Dan Levy
Produktionsdesign: Raimondas Dicius, Ramunas Rastauskas
Litauen, Frankreich, Belgien / 2022
114 Minuten