– Bundesstart 25.08.2022
Vielleicht ist es jetzt auch schon wieder politisch vollkommen inkorrekt, THE INVITATION als feministischen Horrorfilm zu bezeichnen. Selbst wenn es so sein sollte, bleibt er ein Novum. Weibliche Hauptfiguren sind in diesem Genre schon immer bevorzugt worden. Aber das von der Regie-Spitze abwärts auch alle signifikanten Branchen von Frauen besetzt sind, ist dann doch ungewöhnlich. Lediglich Tom Elkins besetzt als Quotenmann den Schnitt. Sind diese Umstände nun von Bedeutung? Man könnte es zumindest so interpretieren, wenn man THE INVITATION im Gesamten betrachtet. Eine unaufdringliche Mischung von unheilvoller Romanze, Gothik-Horror und literarischer Folklore. Wo das einsame Leben der jungen Künstlerin Evelyn unvermittelt auf den Kopf gestellt wird, als sich der Amerikanerin ein bisher unbekannter Familienzweig in England eröffnet.
Die Eltern verstorben, ohne weitere Verwandte, und sowieso verschuldet, nimmt sie die Einladung zu einer Hochzeit nahe London an. Der Adel ist bemerkenswert, und die bislang fremden Cousins und Groß-Onkel nehmen sie mit offenen Herzen auf. Gastgeber Lord Walter De Ville tut es ihr dabei besonders an, er ist zum Glück weder verwandt noch verschwägert. Nur das Personal benimmt sich eigenartig, und die Atmosphäre innerhalb des Jahrhunderte alten Landsitzes hat etwas Bedrohliches.
Wie viele Filme in diesem Genre, macht es sich auch THE INVITATION ziemlich einfach bestimmte Motivationen zu erklären, und für die Geschichte hinderliche Einwende aus dem Weg zu räumen. Die üblichen Zufälligkeiten sammeln sich, um Evelyn so ohne weiteres nach England zu bringen, und sich auch noch von dem überaus attraktiven und charmanten Lord De Ville angesprochen zu fühlen. Einiges erklärt sich im späteren Verlauf. Anderes muss man als gegeben akzeptieren.
Die inhaltlichen Mängel von THE INVITATION sind den Konventionen des Genres unterworfen, und bringen den Film vorwärts, um effizienter zum Wesentlichen zu gelangen. Allerdings hätte man als moderne Erzählung zumindest den Einstieg origineller und zeitgemäßer erarbeiten können. Wobei auch das angehende Verhältnis zwischen Evelyn und Walter De Ville mehr altbackende Romanze ist, als modernisiertes Märchen. Aber in diesem Aufbau schlägt auch ein offensichtlich bewusster, weiblicher Einfluss durch.
Autumn Eakins Lichtgestaltung ist gelinde gesagt merkwürdig. Sehr eigen, aber nicht ohne Erklärungsnot. So gibt es innerhalb von Carfax Abbey keinen Raum der für normale Sehgewohnheiten angemessen beleuchtet ist. Selbst in Leuchtstoffröhren erhellten Gewölben benötigen die Figuren noch Streichhölzer um besser sehen zu können. Es ist ein Konzept, dass sich erst mit den letzten Szenen erschließt, in dem offene Flammen eine besondere Verbindung zwischen den Realitätsebenen schaffen.
Dennoch irritiert der permanente Grünton in den stets dunklen Gemäuern, die durch geringen Kontrastumfang kaum räumliche Bilder schaffen. Das schwächt gerade die Effekte, wenn der Film anfängt Robert Wise‘ BIS DAS BLUT GEFRIERT zu zitieren. Darüber hinaus gibt es die handelsüblichen Jump-Scares, die schon bei anderen Filmen meist primitiv und unnötig sind, und auch hier nur wie ein Zugeständnis an eine bestimmte Publikumsschicht wirken.
Grundsätzlich hält Jessica Thompson ihre Inszenierung streng zusammen, immer auf die Essenz der Szenen fokussiert. Was auch bedeutet, dass sich Thompson ebenso die nötige Zeit für ihre Figuren nimmt. Doch diese kommen über die notwendigste Charakterzeichnung nicht hinaus, Thompson kann ihnen nichts abgewinnen was sie einzigartig oder besonders macht. Nathalie Emmanuel als Evelyn soll sehnsüchtig sein und gut aussehen. Thomas Doherty muss verführerisch sein und gut aussehen.
Gerade mit den Figuren hätten sich viele Möglichkeiten ergeben. Gerade wenn sich nach und nach die wahren Hintergründe der Geschichte heraus arbeiten. Der Genre-Freund oder Kinogänger wird sicherlich anhand einiger Namen wie Carfax Abbey oder Mina sehr schnell Verdacht schöpfen, bevor dann THE INVITATION in den vollen Modus einer alten aber sehr beliebten Geschichte fällt. Das würde eigentlich sehr gut funktionieren, wäre man bei der Umsetzung etwas subtiler, aber auch eigenständiger vorgegangen.
THE INVITATION ist ein sehenswerter Horrorfilm, der mit überzeugenden Darstellern seinem Anliegen gerecht wird. Und die weibliche Note kommt ihm insofern zugute, dass der romantischen Aspekte zwar in den Vordergrund gestellt ist, den Gruselfaktor dabei aber nicht abdrängt. Dennoch wäre es absurd ihn als feministischen Horrorfilm sehen zu wollen. THE INVITATION spricht keine Geschlechter an, sondern ein dem Genre zugeneigtes Publikum allgemein. Wirklich nicht überraschend, aber auf bestimmte Weise unterhaltsam.
Darsteller: Nathalie Emmanuel, Thomas Doherty, Stephanie Corneliussen, Alana Boden, Hugh Skinner und Sean Pertwee u.a.
Regie: Jessica M. Thompson
Drehbuch: Blair Butler
Kamera: Autumn Eakin
Bildschnitt: Tom Elkins
Musik: Dara Taylor
Produktionsdesign: Felicity Abbott
USA – Ungarn / 2022
103 Minuten