– Bundesstart 28.07.2022
Es ist Vorsicht geboten, wenn Superlative ins Spiel kommen. Ben Fosters Darstellung und seine Transformationen in THE SURVIVOR gehören aber zumindest in das vorderste Feld, was die Karriere des Ausnahme-Darstellers betrifft. Ausnahme als Prädikat für die Vielseitigkeit von Foster, der sich sehr gerne auf der Grenze von Mainstream und Arthouse bewegt. 28 Kilo Gewichtsverlust liegen zwischen dem Schauspieler und seiner Rolle, und dann noch einmal 22 Kilo Zunahme während der drei Zeitebenen der Geschichte. Das ist beeindruckend, aber physische Selbstgeiselung für diverse körperliche Verfassungen in einer Rolle, ist nicht neu. Allerdings ist bemerkenswert, wie Foster dies in seinem Spiel nutzt. Herschel Haft überlebt Auschwitz, scheint aber genau daran als freier Mann zu scheitern. Nach Amerika immigriert, könnte er als Boxer Harry Haft Sportkarriere machen, wenn ihn nicht die Dämonen der Vergangenheit jagen würden.
Ein Boxer, der im Konzentrationslager zum Vergnügen der SS gegen Mitgefangene um sein Leben kämpfen muss, hat schon einmal Robert M. Young in TRIUMPH DES GEISTES behandelt. Willem Dafoe hat da den jüdischen Griechen Salamo Arouch eindrucksvoll auf die Leinwand gebracht. Auch wenn bei THE SURVIVOR die Zeit im KZ und Harrys neues Leben in Amerika zeitlich gleich verteilt sind, liegt hier der Fokus bei Hafts verzweifelten Bemühungen mit der Gegenwart zurechtzukommen.
Wie Ben Foster als Schauspieler, ist auch Regisseur Barry Levinson in jedem Genre und Produktionsbudget zuhause. Er weiß auch hier die Akzente unabhängig vom Budget genau richtig zu setzen. Die Rückblenden sind in schwarzweiß mit harten Kontrasten umgesetzt, was den ohnehin brutalen Sequenzen grobschlächtige Kälte gibt. Herschel überlebt nur, solange er andere Häftlinge k.o. schlägt. Die Verlierer werden exekutiert. Levinson scheut sich nicht dies nüchtern zu erzählen.
Der natürliche Wille zu überleben, richtet sich später gegen Harry selbst. Levinsons eigentliches Gespür für feine Nuancen im Spiel und in der Inszenierung, verliert hier immer wieder den Blick für das große Ganze. Auch wenn Ereignisse und Handlungen logischerweise aufeinander aufbauen, stehen die meisten Handlungspunkte szenisch isoliert. Wie zum Beispiel die Anfeindungen der jüdisch-polnischen Gemeinschaft, als Harry mit seiner KZ-Vergangenheit an die Öffentlichkeit geht.
Das betrifft auch die fantastische Vicky Krieps, die als Ehefrau Miriam zuerst die Suche nach Hafts verlorener Liebe unterstützt. Wenn Harry und Miriam heiraten, eine Familie gründen und einen Laden eröffnen, wird diese Beziehung nie der Vergangenheit gegenübergestellt. Der Film ist explizit auf Ben Fosters Harry Haft fokussiert. Und auch wenn Vorsicht geboten ist, wenn es um Superlative geht, ist dies mit Abstand Ben Fosters eindringlichste Rolle seiner bisherigen Karriere.
Ob Krieps als Miriam, oder Peter Sarsgaards Reporter Emory Anderson, auch Trainer Pepe Miller gespielt von John Leguizamo, sie bleiben Nebenrollen. Der eindrucksvolle Billy Magnussen als bizarr widersprüchlicher SS-Offizier Schneider brennt sich ins Gedächtnis. Aber nicht einmal er, verantwortlich für den Leidensweg von Herschel Haft, wird der Hauptfigur inszenatorisch gleichgestellt. Ben Foster beherrscht den Film durchaus alleine, gerade durch seine beeindruckende Zurückhaltung.
Die drei Zeitabschnitte, Zeit in Auschwitz, die kurze Box-Karriere, das Leben als Familienvater, sind optisch sorgsam getrennt. Da SURVIVOR nicht chronologisch erzählt wird, ist für den Zuschauenden eine sofortige Orientierung gegeben. Doch Bildgestalter George Steel nutzt dieses Stilmittel gleichsam als erzählerisches Element, das effektiv die Ästhetik der jeweiligen Zeit anspricht, aber gleichzeitig auch Harry Hafts Seelenbild wiederspiegelt.
Kontrastreiches Schwarzweiß, kräftiges Technicolor und 16mm Stimmung. In der Gestaltung der Bilder manifestiert sich auch der Zustand eines Mannes, der zwischen Schuld und Sühne hin und her gerissen wird. Es ist eine Frage des persönlichen Gewissens, ob Harry Opfer und gleichzeitig Täter sein kann. Während für den Zuschauenden die moralische Rechtfertigung außer Frage steht, wird sie zu Harrys Lebensinhalt. Jeder gewonnene Kampf bedeutete die Hinrichtung des Gegners.
Barry Levinson gelingt ein eindrucksvolles, weil bewegendes Portrait. In tadelloses Zeitkolorit gebettet, wird der Film zu einem Abbild eines drastischen geschichtlichen Wandels. Levinson gibt jeder Szene Bedeutung, was THE SURVIVOR letztendlich auch so eindringlich macht. Als Biografie zeigt er nicht viel Neues in Struktur und Format, aber er überrascht mit kleinen Eigenwilligkeiten und differenzierten Nuancen. Das verdeutlicht schon die Eingangssequenz am Strand, wenn Harry mit einem Schatten Händchen hält.
Vielleicht ist es genau richtig, dass sich THE SURVIVOR so auf das Einzelschicksal konzentriert. Nur manchmal hätte der Rezensent gerne breitgefächerter über die allgemeine Problematik erfahren, dass das Unglück des Herschel ‚Harry‘ Haft eben kein Einzelschicksal ist.
Darsteller: Ben Foster, Vicky Krieps, Billy Magnussen, Peter Sarsgaard, Danny DeVito, John Leguizamo, Saro Emirze u.a.
Regie: Barry Levinson
Drehbuch: Justine Juel Gillmer
nach dem Buch von Alan Scott Haft
Kamera: George Steel
Bildschnitt: Douglas Crise
Musik: Hans Zimmer
Produktionsdesign: Miljen Kreka Kljakovic
Kanada, Ungarn, USA / 2021
129 Minuten