EL INCONVENIENTE
– Bundesstart 06.07.2022
Die snobistische Karrierefrau Sara will als Geldanlage in Sevilla eine Immobilie erwerben. Lola ist alt, hat drei Bypässe, raucht Kette und ist dem Alkohol zugetan. Ihre Wohnung liegt in einem der besten Viertel von Sevilla, und sie verkauft weit unter dem Wert, wenn sie bis zu ihrem Ableben in der Wohnung bleiben darf. Der rationale Plan von Sara sieht vor, dass Lola noch maximal zwei Jahre leben wird, und der Verkaufswert bis dahin noch um ein vielfaches mehr angestiegen sein wird. Das klingt nach wirklich gutem Komödienstoff und Langfilm-Debütant Barnabé Rico unterläuft der kleine Fauxpas, dass er die ersten Minuten auch erzählt, als würde jetzt ein Feuerwerk brachialer Laune und anarchischer Ausgelassenheit ausbrechen. Der Spanier will aber nicht die niederländischen FLODDERS, sondern eher die französischen ZIEMLICH BESTEN FREUNDE. Herausgekommen ist ein ganz und gar eigenständiger Film, ohne lästige Vergleichsambitionen.
Es ist mutig von 24 Bilder Film, den bereits 2 Jahre alten Streifen auf dem deutschen Markt im Kino zu verwerten. In den meisten Territorien ist er längst fürs Heimkino verfügbar, erfolgreich gelaufen ist er nirgends. Davon sollte man sich allerdings keinesfalls abschrecken lassen. DIE UNANNEHMLICHKEIT, so der spanische Originaltitel, ist überaus witzig und berührend. Dabei ist er nie überzogen, in keine der beiden Richtungen. Man könnte sagen, er ist echt. Damit alleine wird man ihm aber auch nicht gerecht.
Sara ist ein Mensch der alles unter Kontrolle haben will. Selbst wenn sie immer wieder ihre Angestellten dabei ertappt, dass diese sie als kalt und abweisend bezeichnen, rechtfertigt sich Sara mit stoischer Rationalität. Natürlich ist die altersweise Lola das charakterliche Gegenteil, so etwas geben die Regeln der Komödie oder auch der tragischen Komödie vor. Aber keine von beiden ist ein herzloser Mensch. Nur sehen sie die Welt aus ihren gegensätzlichen Blickwinkeln.
Lola glaubt schon alles gesehen und erlebt zu haben. Wie sich allerdings herausstellt, ist ihre Welt in Wirklichkeit sehr klein. Deswegen nimmt sie auch alles auf, sie hört zu, fragt nach, bleibt renitent. Wenn man sie deswegen verletzt, scheint es ihr egal zu sein. Die Annäherung der beiden ist ein raffiniertes Spiel mit Gefühlen und Erwartungen, das Barnabé Rico sehr ehrlich erzählt. Er vermeidet ebenso geschickt billige emotionale Tricks. Das macht DIE UNANNEHMLICHKEIT auch ungemein spannend.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, möchte keine der Frauen sich selbst aufgeben indem sie zu viele Zugeständnisse an andere Menschen macht. Und genau diese Lektion lernen Lola und Sara über sich selbst, durch den jeweils anderen. Óscar ist in der Geschichte die figürliche Konstante des Lebens, er begegnet den zwei Frauen immer wieder, erst als Makler, dann als Bestatter, Kleinkunstsänger, oder Rettungssanitäter. Carlos Areces spielt ihn als liebenswerten Jedermann, der unweigerlich jede Szene stiehlt.
Auch wenn Areces mit seinen humorvollen Auftritten die Szene beherrscht, macht das Kiti Máver und Juana Acosta als Lolo und Sara nicht weniger interessant. Nur ist jede am jeweils anderen Ende der Sympathieskala zu finden. Aber Máver und Acosta geben dem Zuschauenden sehr eindrucksvolle Persönlichkeiten, die immer eine fesselnde Ehrlichkeit verkörpern. Rico hat die beiden grandios und stets mit einem Augenzwinkern inszeniert, und gerade mit seinem feinsinnigen Humor entwickelt er für sie ein starkes Verständnis.
Doch in erster Linie sind es die Darsteller selbst, die uns ernsthaft an die Figuren binden, und wir wirklich an ihnen interessiert bleiben. Mit Máver und Acosta werden Lacher und Leid zu einem Schauspiel mit empathischer Nähe. Egal ob man es vergnügliches Drama oder dramatische Komödie nennen möchte, DIE UNANNEHMLICHKEIT ist zu keinem Zeitpunkt unannehmlich. Es ist ein Glücksfall, dass sich 24 Bilder doch noch für eine intensivere Verbreitung dieses Films eingesetzt hat.
Darsteller: Juana Acosta, Kiti Mánver, Carlos Areces, Daniel Muriel, Daniel Grao, Ana Fernández u.a.
Regie: Barnabé Rico
Drehbuch: Barnabé Rico, Juan Carlos Rubio
Kamera: Rita Noriega
Bildschnitt: Nacho Ruiz Capillas
Musik: Juli0 Awad
Produktionsdesign: Claudia González Carbonell
Spanien / 2020
94 Minuten