ABENTEUER EINES MATHEMATIKERS

Adventures Mathematician - Copyright FILMWELT ADVENTURES OF A MATHEMATICIAN
– Bundesstart 30.06.2022

Wer den Namen Stanislaw Ulam kennt, muss eine belesene Person sein. Eher dürfte vielleicht der Name Edward Teller geläufig sein, der war Ulams Vorgesetzter. Letzterer gilt in der Geschichte als ‚Vater der Wasserstoffbombe‘. Teller hätte nie Vater werden können, ohne Menschen wie Ulam. Im Falle der großen Bombe war Ulam sogar entscheidender als Teller selbst. Teller war theoretischer Physiker, Stanislaw Ulam der Mathematiker. Ihre Egos brachten die beiden immer wieder gegeneinander auf, aber letztendlich auch zum Erfolg. Ein Erfolg, dem Ulam mit vielen anderen Wissenschaftlern zusammen, kritisch gegenüberstand. Stanislaw Ulam war einer der vielen in die Vereinigten Staaten immigrierten Wissenschaftler jüdischer Abstammung, die dem politischen Klima in den 1930ern entkommen wollten.

Es ist verwunderlich, dass Thorsten Klein nicht stärker zumindest im deutschen Kino vertreten ist. Mit seinem erst zweiten Spielfilm in 7 Jahren, beweist er erneut, Mainstream-Kino machen zu können, dass nicht diese angestrengte Atmosphäre deutschen Filmschaffens trägt. Klein war 2013 mit LOST PLACE Vorreiter mit der RED-Epic Kamera für echtes 3D und dem Dolby Atmos Soundsystem. Für Laien vielleicht uninteressant, aber für deutsche Produktionen eine filmtechnische Pioniertat.

Mit seinem Bruder Adam lebt Stanislaw Ulam in Cambridge. Er konnte aus Polen flüchten weil man ihm einen Lehrstuhl für Mathematik angeboten hatte. Die Deutschen haben gerade Polen überfallen, und die Lage für Stanislaws zurück gebliebene Familie ist kritisch. Eigentlich will auch er nachhause um als Soldat ins Feld zu ziehen, aber ein Kollege macht ihm ein weit vernünftigeres Angebot. Er solle doch gegen den Feind kämpfen, mit dem was er am besten kann. Im Westen der Vereinigten Saaten gibt es in der Wüste eine Stadt voller Wissenschaftler aus aller Herren Länder, die den gemeinsamen Feind mit gebündeltem Wissen besiegen könnten.

Ulam ist keiner dieser verschlossenen Wissenschaftler. Er pokert gerne, was er auch gut im Unterricht mit einbauen kann, und er erkennt auf einer Party sofort die wirklich interessanten Mädchen. Mit Philippe Tlokinski hat der Film noch dazu einen polnischen Darsteller für den Polen Ulam gefunden. Einen hervorragenden Darsteller. Tlokinski spielt den Mathematiker nicht als aufgeblasenen Gockel, der er sein könnte, sondern in selbstsicherer Zurückhaltung, und auch mit überzeugender Verzweiflung.

Im Film und Pressematerial nur mit gekürztem Vornamen genannt, hat Thorsten Klein das Drehbuch alleine verfasst. Und er hat die fulminante Lebensgeschichte des Mathematikers hervorragend auf den inhaltlichen Schwerpunkt des Films herunter gebrochen. Ulam hat seine Geschichte selbst erzählt und nieder geschrieben, und die ist selbstredend wesentlich komplexer als ein Film darstellen kann. Aber Klein hat einen sehr guten Zugang zu der Vorlage gefunden. Der Kern ist die Angst der Wissenschaftler, was sie mit der Entwicklung der Atom- oder Wasserstoffbombe auslösen werden.

Adventures Mathematician 2 - Copyright FILMWELT

 

Dramaturgisch bildet Ulam einen intellektuellen Querschnitt der fremdländischen Doktoren, Professoren und Technikern beim Manhatten Project. Immer wieder wechseln die heftigen Wortgefechte zwischen wissenschaftlichen Ansätzen und der moralischen Verantwortung. Der berufliche Ehrgeiz ist natürlich allgegenwärtig, doch nach dem sogenannten Erfolg in Hiroshima und Nagasaki werden weitere Forschungen für die Entwicklung der Wasserstoffbombe fragwürdig.

Fast kammerspielartig lässt Klein seine Protagonisten aufeinander los. Die Argumentationsketten sind allesamt auf beiden Seiten nachvollziehbar, somit bezieht der Film seine Zuschauer mit ein. Aus heutiger Sicht sind die Vorgänge in Los Alamos beim Manhatten Project klar einzuordnen. Doch Dank der überzeugenden Darsteller, bekommt man als Zuschauer schon ein sehr gutes Gespür, das den Wissenschaftlern auferlegte Dilemma im Kontext seiner Zeit zu verstehen und nachzuvollziehen.

Für die Mitglieder der Forschungsteams aus Polen, Ungarn, Russland, Frankreich oder eben auch Deutschland war der Anreiz Hitlers Wahnsinn zu stoppen. Die meisten waren Juden, oder jüdischer Abstammung, und der Meinung, dass der erfolgreiche Bau ‚der Bombe‘ Abschreckung genug wäre. Der amerikanische Krieg gegen Japan war nicht der Krieg der Mehrheit von Wissenschaftlern in Los Alamos. Das Ende des Films ist ein offenes Ende mit bekanntem Ausgang. Für das Publikum bleibt die Auseinandersetzung bestehen.

Filmtechnisch haben Thor Klein und sein Kameramann Tudor Vladimir Panduru einen überzeugenden Weg gefunden, den Eindruck vom großen Kino mit einem geringen Budget zu schaffen. Panduru verdichtet immer wieder optisch den Raum um die Atmosphäre eindringlicher zu halten. Dadurch wird auch der Aufwand von größeren Settings vermieten, die kaum bezahlbar gewesen wären. Mit nur wenigen Kulissen und wohl durchdachten Einstellungen gelingt ein phantastisches Zeitkolorit.

1989 hat Roland Joffé mit DIE SCHATTENMACHER die moralischen und wissenschaftlichen Diskrepanzen um die Atombombe schon einmal auf die Leinwand gebracht. Da war Robert Oppenheimer selbst im Mittelpunkt gestanden. SCHATTENMACHER mag der zugänglichere Film sein, der erzähltechnisch viel mehr in die Breite gehen konnte. Das ist allerdings dreißig Jahre her, weswegen ABENTEUER EINES MATHEMATIKERS alleine schon deswegen eine Rechtfertigung findet. Aber natürlich auch wegen seiner durchweg stimmigen Inszenierung.

Abenteuer Mathematiker 1- Copyright FILMWELT

 

Darsteller: Philippe Tlokinski, Esther Garrel, Sam Keeley, Joel Basman, Fabian Kociecki, Ryan Gage, Sabin Tambrea u.a.
Regie & Drehbuch: Thor Klein (Thorsten Klein)
Kamera: Tudor Vladimir Panduru
Bildschnitt: Agneszka Liggett, Matthieu Taponier
Musik: Antoni Lazarkiewicz
Produktionsdesign: Florian Kaposi
Polen, Deutschland, Großbritannien / 2020
102 Minuten

Bildrechte: FILMWELT
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