– Bundesstart 09.06.2022
Im besten Fall kann man Bruno Dumonts jüngsten Film als Satire bezeichnen. FRANCE weigert sich allerdings immer wieder, fest eingeordnet zu werden. Die menschliche Tragödie ist Kernthema aller Filme von Dumont, weswegen sich die Satire schwer tut, die gleiche Gewichtung zu halten. Bruno Dumont ist Filmemacher durch und durch, alle seine 13 Regiearbeiten wurden auch von ihm selbst verfasst. Immer wieder tut FRANCE mit unterschwelliger Bissigkeit weh, oder erwirkt durch Absurdität ein bitteres Lachen. Aber es wäre dem Film viel besser bekommen, hätte Dumont eine ausgleichende Kraft neben sich geduldet. Die Protagonistin ist France de Meurs, das Aushängeschild der französischen Nachrichtenwelt. Der Filmtitel wurde kurzfristig geändert, was unmissverständlich eine Doppeldeutigkeit implizieren soll. Dumont kann das allerdings nicht in dem Umfang einlösen, wie er vermutlich im Sinn hatte.
In Frankreich kennt jeder ihr Gesicht. Wo die Fernsehjournalistin France de Meurs auftaucht werden gefragt oder ungefragt Bilder von ihr gemacht, man spricht sie an, sie wird bewundert. Aber eigentlich weiß niemand etwas über France. Ihre Sendung ist politisch und manipulativ. Bei brisanten Reportagen für ihre Sendung steht sie am liebsten selbst vor der Kamera, diktiert die Situationen und die passenden Bilder. Für France ist es am wichtigsten, sich dabei selbst emotional eingebunden vor der Kamera zu inszenieren.
Als Moderatorin im Studio stachelt sie Meinungskontrahenten gegeneinander auf, ohne allerdings selbst Stellung zu beziehen. So sollte Journalismus tatsächlich funktionieren, dass Reporter die Situationen sachlich und objektiv vermitteln. Nur ist es so, dass France tatsächlich keine eigene Meinung hat. Es sind die populistischen Themen die Frances liegen, weil sie unkompliziert sind und sie damit ihren eigenen Starrummel pflegen kann. Was für die Verehrer von Straße an ihr bewundern, wird für den Zuschauer sehr schnell unangenehm.
Die Rolle der France hat Léa Seydoux mit jeder Faser ihres Körpers angenommen. Nicht nur mit diesem in der Öffentlichkeit stets stark überschminkten Gesicht, welches eine professionelle Kühle vermitteln soll. Man merkt Seydoux sehr schnell an, wie ihr überhebliches Lächeln und die rigorose Befehlsattitüden nur Fassade für ein zutiefst zerrüttetes Selbstbewusstsein ist. Ihr Regisseur weiß erstaunlich gut, wie er diese Fassade für die Zuschauer bröckeln lassen kann, für Frances Umfeld auf der Leinwand aber ihre Allmacht aufrecht erhält.
Was Bruno Dumont weniger geglückt ist, wäre der satirische Blick auf unsere Medienlandschaft. Immer wieder entlarvt der Film die Mechanismen von Journalismus und die Integrität der Verantwortlichen. Dabei ist Dumont aber nicht richtig bissig, erst Recht nicht bösartig. Der Filmemacher treibt das Spiel um Journalismus und Selbstdarstellung nicht weit genug voran, um uns als unbedarften Zuschauern wirklich etwas zu offerieren, was man im Allgemeinen nicht schon zu wissen glaubt. Auch bei France geht es um das Produkt, nicht um den Inhalt.
Die irritierende Selbstinszenierung passt sehr gut zu ihren Verehrern auf der Straße. Diese bewundern France als berühmte Persönlichkeit, reflektieren aber selber nicht ihre eigene Einstellung zu den Werten die France verkörpert. Man hat während des Films immer das Gefühl, dass Dumont mit dem kurzfristig auf FRANCE abgeänderten Titel ganz bewusst auf die Hintergründe innerhalb seiner Geschichte hindeuten möchte. Denn in einigen, meist wichtigen Szenen scheinen rein französische Anliegen und Inhalte angesprochen zu werden, die für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen sind.
Es ist auch oft nicht offensichtlich, wie gewisse künstlerische Entscheidungen einzuschätzen sind. Aufnahmen aus dem Inneren von Fahrzeugen sind stets mit deutlich erkennbarer Rückprojektion, sprich durch Green Screen realisiert. Die Eingangssequenz im Élysée Palast ist zweifellos beeindruckend, und die Sequenz mit Präsident Macron geschickt inszeniert. Allerdings ist auch hier der Effekt ganz klar zu erkennen, weil Macron in der Bildebene weiter hinten sitzt, aber seine eingebettete Figur wesentlich größer ist, als die Körper der Personen im Bildvordergrund.
Ob das, was man vielleicht als Unzulänglichkeiten erkennen möchte, vielleicht doch Teil der satirisch überzogenen Inszenierung ist, wäre denkbar. In diesem Sinne ist Blanche Gardin als Managerin Lou, die in ihrer übersteigerten Darstellung von positivem Feedback für France, in all ihren Szenen den Nagel von speichelleckender Unterwerfung auf den Kopf trifft. Genau so jemand wie Lou gibt Menschen wie France das unverdiente Vertrauen in sich selbst.
Ein kleines, kaum der Rede wertes Missgeschick mit dem Wagen, bringt France aus dem Gleichgewicht. Sie bemerkt, wie unreflektiert sie das Glück in ihrem Leben für selbstverständlich genommen hat. France stürzt in die gleiche unbarmherzige Falle, die sie selbst mit ihren Sendungen aufgestellt hat. Leider verlässt Bruno Dumont in diesem ausgedehnten Mittelteil das Konzept der unterschwelligen Satire, und wendet sich dem reinen Drama zu.
In diesem unverhältnismäßig langwierig erzählten Exkurs, mit Frances Selbstfindung und einhergehenden Absturz in die Mühlen des Sensationsjournalismus, glänzt Léa Seydoux ungebrochen. Frances muss erst zerbrechen, um wieder erstarkt aufzuerstehen. So ist es zumindest in jeder positiven Geschichte. Nur das in diesem Film das wahre Leben immer wieder dazwischen funkt. Das funktioniert als Charakterstudie ganz hervorragend, ist aber überhaupt nicht stimmig zu dem Konzept in dem wir uns als Zuschauer eingangs so wohl gefühlt hatten.
Schließlich findet Bruno Dumont auch in der letzten halben Stunde leider nicht mehr so richtig zurück. Es ist wie eine thematische Wiederholung der ersten fünfundvierzig Minuten, allerdings ohne den ironischen Biss. Schlimmer noch, oder ist es doch bewusst so inszeniert, gibt es eine Szene mit einem technischen Missgeschick im Fernsehstudio, der so altbacken ist, seit Fernsehstudios in Filmen thematisiert werden. FRANCE hat ausgesprochenen Unterhaltungswert, aber Bruno Dumont hätte tatsächlich den Mut haben können, einen kreativen Geist neben sich in der Ausarbeitung der Geschichte zu dulden.
Darsteller: Léa Seydoux, Blanche Gardin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, Juliane Köhler, Gaetan Amiel u.a.
Regie & Drehbuch: Bruno Dumont
Kamera: David Chambille
Bildschnitt: Nicolas Bier
Produktionsdesign: Erwan Le Gal
Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien / 2021
133 Minuten