– Bundesstart 25.02.2022
Dies ist ein Michael Bay Film, wo weibliche Charaktere härter und abgebrühter sind, als männliche Action-Helden in einem Tony Scott-Kracher. Das ganz große Problem mit AMBULANCE sind die vielen wirklich guten Momente, die überraschend originell inszeniert sind. Der Feuerlöscher mit dem Kaschmir-Pulli, oder die improvisierte Videokonferenz zur improvisierten Milz-Operation, nicht zu vergessen die aberwitzige Selbstreferenz mit THE ROCK, aber vor allem wenn Jake und Yaha ‚Sailing‘ von Christopher Cross intonieren. Es ist ein Problem, weil der Rest der Inszenierung alles daran setzt, diese wunderbaren Momente in einem wirren Spektakel ohne Sinn und Verstand zu ersticken.
Die Zieh-Brüder Danny und Will rauben eine Bank aus. Der weiße Danny hat schon alles, ihn reizt aber der Kick. Der schwarze Will lässt sich nur überreden, weil seine Frau eine lebenswichtige Operation braucht, für die keine Versicherung aufkommen möchte. Soweit ist dann schon einmal alles an der dramaturgischen Front geklärt. Die Szenarien soweit hinreichend bekannt, das der Ausgang der Geschichte alles andere als offen wäre. Es ist auch uninteressant wie es ausgeht, sondern wie die falschen Helden dorthin gelangen.
Die ist ein Michael Bay Film. Der Mann, der bei 6 UNDERGROUND Action so überreizt hat, dass Zuschauer nicht wegen Adrenalin, sondern aus purem Desinteresse abgeschaltet haben. Ansätze eines Lerneffektes sind erkennbar. Vorbild ist der kaum wahrgenommene dänische AMBULANCEN von 2005. Somit wäre die Grundlage eigentlich sehr solide. Wäre da nicht die amerikanische Tendenz zur Verschlimmbesserung gegenüber den europäischen Vorlagen.
Die ersten 35 Minuten stehen ganz im Zeichen von Michael Manns HEAT. Und das dürfte nicht nur Action-Freunden, sondern Cineasten im Allgemeinen sehr weh tun. Nicht weil die Absicht des Plagiats so offensichtlich ist. Bay macht in dieser Sequenz genau die Dinge falsch, die Manns Inszenierung des Bankraubes zu einer ikonografischen Kino-Sequenz machen. Ob man es Hommage nennen will, oder was auch immer, der Regisseur hätte sich HEAT noch einmal aufmerksamer ansehen müssen, bevor er seine künstlerischen Hunde des Krieges darauf loslässt.
Wie Danny mit einer derartigen Gruppe andere Raubzüge vollbracht haben will, bleibt dem Zuschauer ein Rätsel. Eine Ordnung gibt es nicht, keine wirkliche Führung, einer von ihnen kommt sogar in Birkenstock, was eigentlich ganz lustig wäre, hätte Bay nicht versucht alles so extrem cool aussehen zu lassen, und die Nebenfiguren mit ermüdender Selbstüberschätzung ausgestattet. Es gipfelt in Garret Dillahunts Auftritt als Einsatzleiter, der mit einem neuen Fiat 500 (nur geringfügig größer als das Original) und einem Mastiff gleichen Ungetüm an Hund auf dem Beifahrersitz erscheint.
Der Überfall misslingt. Selbstredend, denn die Macher haben alle Inkompetenzen mit eingebaut, derer sich Gangster erweisen können. Will und Danny müssen mit einem Krankenwagen flüchten, mit der gesamten LA Police auf Straße und in der Luft an der Stoßstange. Und einer Rettungssanitäterin mit angeschossenen Officer im Patientenraum. Was der Einstieg schon versprochen hat, wird ab jetzt mit überhöhter Drehzahl gefahren. Alle Gesetze von Physik, gesundem Menschenverstand, Logik und taktischer Polizeiarbeit werden außer Kraft gesetzt.
Michael Bay hat sich ohnehin ein Kreativteam zusammen gesucht, in dem jedem Gewerke Blankoschecks ausgestellt sind. Das hier jeder machen darf, was er will, wird am deutlichsten an Roberto De Angelis unsinniger Kameraarbeit. Bewegte Kamera erzeugt Dynamik, das ist schon richtig, aber De Angelis widerspricht allen Anforderungen die dem Film dienlich wären. Da fliegt die Kamera die Fassade eines Hochhauses hinauf, stürzt wieder in die Tiefe und man sieht einen Polizeiwagen durchs Bild rauschen. Nichts davon hat miteinander zu tun.
Was immer Roberto De Angelis mit seiner Dynamik erreichen wollte, es ergibt einfach keinen Sinn. Kamerafahrten durch eine Tiefgarage wiederholen sich einige male. Manchmal rauscht die Kamera einfach einen Straßenzug entlang, ohne das hier irgend etwas passiert. Kamera und Schnitt halten eigentlich eine Sequenz zusammen, verschaffen Übersicht, machen Tempo, geben Struktur. Bei AMBULANCE kommt man zur Überzeugung, jeder demonstriert unabhängig vom anderen, was in der jeweiligen Branche machbar ist.
AMBULANCE ist unheimlich zerfahren. Es entsteht der Eindruck, dass erklärte Ziel wäre entsprechende Sequenzen eben nicht in sich zusammenzuführen, sondern den Zuschauer durch zusammenhanglose Hyperaktivität in Bild und Ton vom Wesentlichen abzulenken. Das Wesentliche bei einem Film sollte sein, dass er innerhalb seiner eigenen Prämisse stimmig ist. Es gibt genügend gelungene Beispiele im Genre, selbst wenn diese sich ausnahmslos dem reinen Popcorn-Kino verschrieben haben.
Der Film wird dann immer gut, wenn er einen Gang zurückschaltet und den Charakteren Raum gibt. Abdul-Mateen und Gyllenhal ergänzen sich ganz hervorragend, und retten AMBULANCE vor der totalen Karambolage. Die Schauspieler haben etwas zu sagen, sie sind glaubwürdig. Die Schauspieler schaffen eine gute Verbindung zum Zuschauer. Nur die Figuren selbst versagen, weil sie gegen einen Hintergrund ankämpfen müssen der zu platt geschrieben ist, und sie einem Schicksal entgegen gehen, dass von Anfang an absehbar ist und ohne Überraschungen eingehalten wird.
Und der Film ist ein extremer Tiefschlag für die Ordnungskräfte in Los Angeles. Eigentlich die beste und effektivste Luftraumüberwachung in den Vereinigten Staaten, führt der Regisseur die Piloten als Dilettanten vor. Jeder Streifenwagenfahrer entpuppt sich als inkompetenter Fahrer. Und die Einsatzleitung hat in der Welt von Michael Bay noch eine Autoverfolgung in der Stadt gehabt. Durch ihre unfähigen Aktionen riskiert die Polizei unzählige Menschenleben, nur um den einen von ihnen im Krankenwagen zu retten. Wer sich als Zuschauer darüber Gedanken macht, wird überaus erleichtert sein, diese Welt schnellst möglich wieder verlassen zu können. Trotz dieser vielen kleinen Momente, die traurig machen, weil sie das nicht ausgeschöpft Potential von AMBULANCE zeigen.
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Yaha Abdul-Mateen II, Eiza González, Garrett Dillahunt, Keir O’Donnell, Jackson White, Olivia Stambouliah u.a.
Regie: Michael Bay
Drehbuch: Chris Fedak
nach dem Film von Laurits Munch-Petersen & Lars Andreas-Petersen
Kamera: Roberto De Angelis
Bildschnitt: Doug Brandt, Pietro Scalia, Calvin Wimmer
Musik: Lorne Balfe
Produktionsdesign: Karen Frick
USA / 2022
136 Minuten