DEATH ON THE NILE
– Bundesstart 10.02.2022
Noch heute besticht John Guillermins TOD AUF DEM NIL durch seine unaufdringliche Eleganz. Ein Film, der bereits 1978 aus der Zeit gefallen war, und eine Ära beschwor, die im Kino verschwunden schien. Filme die im Genre von Spanungskino eine gediegene Gelassenheit bewahrten, und es erlaubten, dass der Mörder nicht bei den Charakteren, sondern unter den Darstellern gesucht wurde. Kenneth Branagh, der Regisseur, entfaltete seine Faszination für das epochale Erzählen bereits bei seiner Interpretation von MARY SHELLEY’S FRANKENSTEIN. Damit sind aber keineswegs seine hoch budgetierten Filme wie THOR oder CINDERELLA gemeint. Es geht um die Größe und eben jene Eleganz, die man in der Gesamtheit ihrer filmischen Umsetzung findet, und nicht in künstlichen Effekte-Gewittern.
Eigentlich war Simon Doyle bereits mit Jackie de Bellefort verlobt, als Jackie ihn mit ihrer besten Freundin Linnet Ridgeway bekannt macht. Sechs Wochen später ist die über Gebühr reiche Erbin Linnet mit Simon auf Hochzeitsreise, in Ägypten. Eine Entourage von alten Freunden und missmutigen Verwandten, begleitet Simon und Linnet auf der Reise zu den antiken Sehenswürdigkeiten. Dabei hat Branaghs favorisierter Kameramann Haris Zambarloukos sehr viel zu tun, jede Außen- und Inneneinstellung in ein für sich stehendes Gemälde zu verwandeln.
In TOD AUF DEM NIL gibt es kaum ein überflüssiges Bild. Jede Champagnerflasche erfüllt ihren Zweck im atmosphärischen Fluss. Jeder Zwischenschnitt eines Charakters ist verbunden mit einer Aussage. Branagh schafft die unheilvolle Stimmung innerhalb der gelöst scheinenden Gesellschaft, in dem er Zambarloukus die eigentliche Kernaufgabe überträgt. Es sind die monumentalen Landschaftsaufnahmen, genau wie die Details im Spiel der Darsteller.
Durch einen glücklichen Zufall stößt der belgische Detektiv Hercule Poirot zu der Truppe, und wird von Linnet und Simon sofort in Beschlag genommen. Denn die rachsüchtige Jackie de Bellefort reist den beiden ständig hinterher. Selbst bei einer Flussfahrt nach Abu Simbel, befindet sich Jackie mit an Bord der S.S. Karnak. Doch als ein Mord geschieht, ist für die Spürnase Poirot die Lage nicht so eindeutig wie sie für andere scheint, denn er hat längst bemerkt, dass jeder einzelne der Mitreisenden gewisse Probleme mit dem Opfer hatte.
Auch wenn sich einige Szenen als Blue-Screen-Aufnahmen selbst entlarven, haben die Annäherungen an das alte Ägypten, seine Sehenswürdigkeiten und das Flair, eine ansprechende Anmut. Dabei fällt sehr schnell auf, wie akzentuiert und penibel inszeniert die Kameraeinstellungen sind, die bemerkenswert symmetrisch kadriert sind. Es gibt wenige Ausnahmen, aber selbst da ist der Kern einer Szene, ob Figur, Gegenstand, oder Örtlichkeit, stets im Zentrum gehalten.
Allerdings lehnt sich dieses optische Konzept schnell gegen die traumwandlerische Erhabenheit der Szenerie, weil es nicht natürlich erscheint und deswegen einen künstlichen Eindruck vermittelt. Dieser künstliche Eindruck der auffälligen Symmetrie geht allerdings mit Hercule Poirots Charakter einher, mit dem Kenneth Branagh noch mehr vorzuhaben gedenkt, als nur Agatha Christies Kriminalfälle zu lösen. Was in MORD IM ORIENT-EXPRESS mit Poirots Leidenschaft für gleich große Eier anfing, wird auf dem NIL wesentlich stärker herausgearbeitet. Es ist eine immer wieder hervorbrechende obsessive Zwangsstörung.
Fast so stark wie in SHELLEY’S FRANKENSTEIN, hat sich Branagh hier selbst am deutlichsten in Szene gesetzt. Aus ganzen Ensemble sticht vielleicht noch Tom Bateman mit seiner beschwingt leichten, aber auch immer sensiblen Art des Bouc hervor. Ein Charakter der aus Branaghs ORIENT-EXPRESS geholt wurde, und Colonel Race ersetzt, um beide Filme stärker miteinander zu verbinden. Die restlichen Darsteller glänzen weniger durch Spiel als durch das vergnügliche Wer-War-Es.
Autor Michael Green hat, ohne Zweifel auf Wunsch des inszenierenden Hauptdarstellers mit Produzenten-Status, einen ausführlicheren Prolog und kurzen Epilog hinzugefügt, der mehr noch als die obsessive Zwangsstörung, die persönliche Geschichte von Hercule Poirot ergänzt. Dafür wurde die aberwitzige Selbstüberschätzung des Detektiven auffällig zurück genommen. Beides Entscheidungen, die fragwürdig sind, weil sie zum einen nicht stimmig mit Christies Kanon sind, und zum anderen auch nicht zur Geschichte und deren Auflösung beitragen.
Es bleiben noch 31 Original-Geschichten, womit Branagh sich durchaus eine stolze Filmreihe aufbauen könnte. Worauf die Vertiefung des Poirot Charakters auch hindeutet. Immerhin ist auch hier wieder sehr unterhaltsam anzusehen, wie Spuren aufgenommen, Verbindungen hergestellt, und Indizien in Fakten verwandelt werden. Nicht so nervenzerreißend wie in ähnlichen Filmen. Aber bei Agatha Christie war es auch schon immer das gehobene Ambiente und die snobistische Überheblichkeit welche einen gleichwertigen Teil der Handlung ausmacht. Das hat Kenneth Branagh schon aufregend gut verinnerlicht, wenngleich TOD AUF DEM NIL optisch und inszenatorisch mehr von bombastischer Dekadenz hat, anstelle von bitterböser, heuchlerischer Eleganz.
Darsteller: Kenneth Branagh, Tom Bateman, Armie Hammer, Gal Gadot, Ali Fazal, Emma Mackey, Annette Bening, Russell Brand, Rose Leslie, Sophie Okonedo, Letitia Wright u.a.
Regie: Kenneth Branagh
Drehbuch: Michael Green, nach Agatha Christie
Kamera: Haris Zambarloukos
Bildschnitt: Úna Ní Dhonghaíle
Musik: Patrick Doyle
Produktionsdesign: Jim Clay
Großbritannien – USA / 2022
127 Minuten