– Bundesstart 06.01.2022
Für so ganz bestimmte Tage sind spaßige Action-Abenteuer perfekte Ablenkung, wenn man den Alltag einfach mal ausblenden will. Regisseur und Filmemacher Matthew Vaughn ist in diesem vagen Genre ein verlässlicher Begleiter. Der immer noch unterschätzte STARDUST, die brutalen Gemetzel in KICK ASS, oder die kongeniale Neuausrichtung mit X-MEN: FIRST CLASS. Im Grunde schon ein wenig mehr, wie purer Zeitvertreib. Das bestätigte sich auch mit den beiden KINGSMAN-Filmen. Wobei da im zweiten Teil der Anteil an Spaß wichtiger war, als das Action-Abenteuer, was den Reiter weniger gefestigt im Sattel sitzen ließ. Das tat der gepflegten Unterhaltung keinen Abbruch. Und der Zyklus innerhalb der Serie wäre mit einem dritten Teil bereits abgedreht, hätte Matthew Vaughn nicht die brillante Idee gehabt, zuerst das auf einer Comic-Serie basierende ‚Kingsman‘ Universum schon einmal im Vorfeld etwas zu expandieren.
Die Handlung beginnt 1902 in Südafrika. Während des Buren-Krieges ist Orlando, der Herzog von Oxford, mit seiner Familie im Auftrag des Roten Kreuzes unterwegs, wo es zu einem fatalen Zwischenfall kommt. Noch Jahre später zeigt sich Orlando angeschlagen, und vertritt eine pazifistischen Lebensstil, gerade als sein Sprössling Conrad voller Eifer seinem Land dienen möchte. Der erste große Krieg ist am schwelen, und die eigentlich untereinander verwandten Königshäuser von Österreich, Russland und Großbritannien mobilisieren ihre Truppen.
Hintergrund dieser Zeitreise ist eigentlich die Entstehung der Kingsman Agency. Das erzählt Vaughn in gewisser Weise auch, aber in ganz abgespeckter Form, weil uns der Filmemacher mit der Tatsache konfrontiert, dass die Grundsteine für die Agency auch hier schon gelegt sind. Aber so ist das in diesem Film, der sich viel zu viel vorgenommen hat, kaum seiner eigenen Geschichte hinterher kommt, und seine Stärken überhaupt nicht nutzen kann. Doch dabei erweist sich nicht das schwindelerregende Tempo als Problem, sondern die permanente Inkonsistenz im Handlungsablauf.
Selbst die Bildgestaltung von Ben Davies passt sich viel lieber den augenblicklichen Erfordernissen an, anstatt selber Stimmung zu generieren. Davies verliert sich dabei in den Konventionen einer maßentauglichen Optik, die nie eine eigene Bildsprache entwickelt. Immer wieder offerieren die einzelnen Szenen wirklich einnehmende Kinomomente, das darf gar nicht verkannt werden. Aber alle diese Szenen hat man bei ausgefeilter konzipierten Produktionen schon emotional einnehmender erlebt.
Da überkommen einen Erinnerungen an Spielbergs WAR HORSE, wenn ein ähnliche Situation zwischen den Schützengräben bei KING’S MAN gezeigt wird. Aber genau diese Szene ist dann so grotesk überzogen, das ihre dramatisch gemeinte Absicht ins Lächerliche umschlägt. Genau das ist Matthew Vaughns Problem. Hat er in den ersten beiden KINGSMAN-Filmen immer diesen einen bestimmten Moment gefunden, den er mit einer überdrehten Inszenierung herausgeheben konnte. Mit dieser dritten Auflage will er das über die gesamten 130 Minuten hinweg erreichen.
Da beginnt dann der nur von hinten gefilmte Bösewicht schnell zu nerven, dessen glatt rasierter Hinterkopf ganz viel Spannung erzeugen soll. Im Finale erweist sich die überraschende Enthüllung des Drahtziehers dann auch noch als wenig überraschend. Tatsächlich ist er letztendlich vollkommen irrelevant. Dagegen wirft es nur die Frage auf, warum ihn das Makeup-Design überhaupt so lächerlich unkenntlich machen muss, wenn er die ganze Zeit über im Dunkeln operiert. Wenn man denn überhaupt noch Zeit findet, weitere Fragen stellen zu können.
Fragen über Fragen. Die Kingsman Agency ist gegründet, um Probleme aus der Welt zu schaffen, bei denen Politik und Diplomatie versagen, oder bevor sie überhaupt Politik und Diplomatie beschäftigen müssen. KING’S MAN benötigt gleich drei Schurken, wo eigentlich jeder von den Dreien alleine schon genügend Schaden anrichten könnte. Verführerin Mata Hari, Mentalist Erik Hanussen, und der bekannteste von ihnen, Rasputin. Dem letzteren gehört die meiste Leinwandzeit, was zuerst viel Freude bereitet, sich aber sehr schnell abnutzt.
Rhys Ifans verkörpert ihn mit überwältigender Spielfreude, und der Kampf Mann gegen Mann im Kasatschok Tanzstil wird sehr schnell filmische Nachahmer finden. Bis dahin hat der Film schon einige Male seinen eigenen Stil verändert. Vom Kolonialdrama, zum elterlichen Psychogram, zur überbordenden Action, hin zur gesellschaftlichen Satire. Es gibt auch einige Umwege über historische Neuschreibungen, die zwar absurd sind, aber gefällig, und nicht so lächerlich wie aus den Fugen geratene Fantasien anderer etablierter Regisseure.
Tonal passt hier nichts zum anderen. Die Atmosphäre wechselt nicht im Einklang eines stimmigen Konzeptes. Matthew Vaughn hat augenscheinlich jede Sequenz auf den bestmöglichen Effekt hin gestaltet. Das verspricht einen rasanten Kinoabend, immer Over The Top, der aber keine Augenblicke hat, die sich vom herkömmlichen Action-Kino in irgend einer Weise zu unterscheiden, oder abzuheben. Selbstredend verzichtet auch Vaughn nicht auf akrobatische Spannungsmomente die jeder physikalischen Gesetzgebung dreckig ins Gesicht lachen. Das schreit immer nach dem Computer und macht die wirklichen körperlichen Leistungen der Schauspieler zunichte, die ja trotz allem gegeben sind.
Das mag noch den einen oder anderen Freund des Actionfilms gefallen. Im Kontext des ersten großen Krieges, der daran beteiligten realen Persönlichkeiten, und dem nicht nachvollziehbaren Leid im Schützengraben bekommt so ein Spektakel einen bitteren Geschmack. Wo doch der Film grundsätzlich so viel zu bieten hat. Eine brillante Gemma Arterton. Oder den fast schon über alles erhabenen Ralph Fiennes, der seinem Duke of Oxford so viel aristokratische Würde verleiht, und bei dem der Gentleman von innen heraus zu strahlen scheint.
Das ist ein Charakter, von dem man, genau mit diesem Darsteller, wirklich mehr sehen möchte. Eine Figur, die sogar der Ausstrahlung von Colin Firth aus den ersten Filmen etwas drauf setzen kann. Von dem möchte man wirklich mehr sehen, und dazu bräuchte es überhaupt keine körperlichen Unmöglichkeiten. Da kann einem ganz unwohl werden, wenn man die unvermeidliche Mid-Credit-Scene gesehen hat, und was Matthew Vaughn dazu einfallen könnte. Vielleicht sollte er sich wieder einmal seiner frühen Filme besinnen, und wie man überzeugendes Action Kino inszenieren kann. LAYER CAKE, man vergisst leider immer wieder LAYER CAKE.
Darsteller: Ralph Fiennes, Gemma Arterton, Djimon Hounsou, Harris Dickinson, Rhys Ifan, Charles Dance, Matthew Goode, Alexandra Maria Lara, Daniel Brühl, Valerie Pachner, Aaron Taylor-Johnson, Stanley Tucci u.a.
Regie: Matthew Vaughn
Drehbuch: Matthew Vaughn, Karl Gajdusek
nach den Comic-Büchern von Mark Millar & Dave Gibbons
Kamera: Ben Davies
Bildschnitt: Jason Ballatine, Robert Hall
Musik: Dominic Lewis, Matthew Margeson
Produktionsdesign: Darren Gilford
Großbritannien – Frankreich – Deutschland – Italien – USA
Jahr 2022 / 130 Minuten
Bildrechte: TWENTIETH CENTURY FOX FILM