SCHWANENGESANG

Swan Song - Copyright APPLE TVSWAN SONG
– Bundesstart 17.12.2021
– seit auf APPLE TV+

Es gibt erschreckend viele Themen und Geschichten die schon im Kino zu erleben waren, seit dieses erfunden wurde. So auch die Frage, was den Menschen ausmacht, wie er sich als Individuum definiert, und ob er einzigartig ist. Für sein Langfilmdebüt hat sich Benjamin Cleary dieser Fragen angenommen, indem er sie in ein ebenso erweitertes Umfeld bettet – würden wir überhaupt eine exakte Kopie unseres Selbst ertragen? Filme die sich mit tieferen, psychologisch esoterischen Themen befassen zeigen natürlich keine klaren Antworten auf, sondern individuelle Gedankenspiele. So wie es Benjamin Cleary mit SCHWANENGESANG getan hat, und seine ganz eigene Ansicht zu einem nicht wirklich zu beantwortenden Themenfeld gleich mitgeliefert. Der todkranke Cameron könnte mit einem absolut identischen Klon seine Familie vor den Schmerzen einer schweren Trauer bewahren.

Noch erlauben Streaming-Dienste ein viel interessanteres Spektrum an thematischen Variationen als das Kino. Während Kino schon in der Vorproduktion alle wirtschaftlichen Aspekte mit einbezieht und auch zur Auflage macht, ist bei bestimmten Plattformen eine kontinuierliche Ausschüttung zwecks Kundenbindung vorrangiger. So lapidar hier geschrieben hört sich das vielleicht an, als würde jeder Mist in Produktion gehen. So weit ist es aber noch lange nicht.

Charlize Theron konnte Dank ihres Namens ihr Wunschprojekt THE OLD GUARD auf den Weg bringen, und Chris Hemsworth mit den Russo-Brüder bei EXTRACTION von den strengen Restriktionen bei Marvel Abstand gewinnen. Um einmal bei den vorteilhaften Beispielen zu bleiben. Bei SCHWANENGESANG gewinnt man umgehend den Eindruck, dass es sich auch hier um eine Produktion aus Leidenschaft handelt, bei der sich Darsteller Mahershala Ali gleich als Produzent einbrachte. Eine darstellerische Gradwanderung, die ihresgleichen sucht.

Es funktioniert ausschließlich, wenn wirklich niemand der Zurückgebliebenen Anverwandten oder Freunde davon weiß. Die Firma Arra Labs kann Menschen bis auf das letzte Molekül klonen, und alle Gedanken und Erinnerungen aus dem tiefsten Unterbewusstsein kopieren. Und sie können beim Klon gleich fehlerhafte DNS reparieren, wie zum Beispiel die Krankheit, die den noch jungen Familienvater Cameron dahinraffen wird. Eine makellose Kopie wird seinen Platz in der nichtsahnenden Familie übernehmen, während das Original seine letzten Tage am abgelegenen Standort von Arra Labs verbringen wird.

Der Blick in Benjamin Clearys Zukunftswelt funktioniert zweckdienlich. Keine übertriebenen Städtebauten, undenkbare Technikentwicklungen, oder plumpe gesellschaftliche Neuordnungen. Sogar das Szenario mit den Ersatzmenschen ist soweit durchdacht, dass keine Fragen offen bleiben. So findet man als Zuschauer unproblematisch in die Thematik, wird inszenatorisch immer auf den Kern der Geschichte fokussiert, und inhaltliche Stolpersteine sind eliminiert.

Swan Song 1 - Copyright APPLE TV

Nur das Set-Design von Arra Labs wirkt in seiner nüchternen, dennoch unkonventionellen Ausstattung, als wollte man mit aller Gewalt eine Science Fiction Kulisse vermeiden, aber unbedingt eine Zukunftsatmosphäre signalisieren. Da ist von Annie Beauchamps Produktionsdesign einfach zuviel ’nicht gewollt‘. Das verschwimmt allerdings nach und nach hinter Mahershala Alis intensivem Spiel, dass in einer einzigartigen Doppelrolle mündet.

Immer und immer wieder findet Ali Nuancen, jeden seiner zwei Charaktere eigenständig zu halten. Es sind immerhin zwei Person, die bis auf das letzte Molekül identisch sind. Das bringt die selben Gedankengänge, Verhaltensgrundlagen, Gesinnung, Argumentationen, Ängste und Hoffnungen hervor. So weiß der Jack genannte Doppelgänger selbstredend von Camerons Angst, dass der Klon seine Aufgabe nicht erfüllen wird, sich angemessen um die Familie zu kümmern. Dadurch werden die Konflikte auch immer komplexer, weil es weder Geheimnisse, noch Überraschungen voreinander gibt.

So spannend und außergewöhnlich sich das Drama von Ali auch entwickelt, wie er mit und gegen sich selbst spielt, es führt auch schnell zu Ermüdungserscheinungen. Es mag an Benjamin Clearys geringer Erfahrung als Filmemacher liegen, denn was seinen Stoff anbelangt, vertraut er nur sich selbst. Seinem Publikum offeriert er keinerlei Interpretationsmöglichkeiten. Es werden keine Fragen offen gelassen, oder herausfordernde Aspekte aufgestellt. Damit fällt Cleary auch der fantastischen Leistung von Mahershala Ali ein wenig in den Rücken, weil diese immer wieder zu vorhersehbaren Handlungspunkten geführt wird.

Es wird auch nicht besser, wenn die Inszenierung die bekannt besetzten Nebenrollen lediglich als erforderlichen Hintergrund nutzt. Glenn Close und Adam Beach bleiben als Arra-Bedienstete undurchsichtig in Charakter und Absicht. Und Awkwafina als ebenfalls sterbende Kundin verkommt zur Stichwortgeberin ohne eigene Geschichte oder anderer Sichtweise auf die Thematik. Dafür ist SCHWANENGESANG ganz und gar Mahershala Ali, der mit einer atemberaubenden Feinfühligkeit in seiner erstaunlich vielschichtigen Darstellung überzeugt. Zumindest mit dieser Aussicht, macht man bei der Entscheidung für diesen Film keine Fehler.

Swan Song 2 - Copyright APPLE TV

 

Darsteller: Mahershala Ali, Naomie Harris, Glenn Close, Awkwafina, Adam Beach, Nyasha Hatendi, Lee Shorten, Dax Rey u.a.
Regie & Drehbuch: Benjamin Cleary
Kamera: Masanobu Takayanaki
Bildschnitt: Nathan Nugent
Musik: Jay Wadley
Produktionsdesign: Annie Beauchamp
USA / 2021
112 Minuten

Bildrechte: APPLE TV+
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