HOUSE OF GUCCI

House Gucci - Copyright METRO-GOLDWYN-MAYER– Bundesstart 02.12.2021

Mit Prognosen sollte sich eigentlich jeder vernünftige Autor zurück halten. Und hiermit kommt das Aber: Denn HOUSE OF GUCCI ist absolut der Kandidat in der kommenden Saison von Auszeichnungen, der gleichzeitig genauso viele Nominierungen bei den Academy Awards wie bei den Raspberry Awards bekommen könnte. Ridley Scott zeigt erneut, dass seine Sichtweise auf Drama nicht zwangsweise dramatisch sein muss. Hat Scott bereits mit THE COUNSELOR Kopfschütteln verursacht, kommt jetzt noch Gekicher hinzu, manchmal aus begründetem Humor, meist aber aus Unverständnis. Jemand kann bei HOUSE OF GUCCI genauso viel Spaß haben, wie man sich maßlos darüber ärgern könnte. Vordergründig ist es die Geschichte von Patrizia Reggiani, die mit Maurizio Gucchi den Mann ihrer Träume kennen und lieben lernt. Wo sich allerdings dieser Mann in Patrizias Träume befindet, muss man in episch ausufernden 158 Minuten selbst herausfinden.

Es war das gefundene Fressen für die Boulevard-Presse als Patrizia, Tochter eines Unternehmers aus dem gehobenen Mittelstand, 1972 den begehrten Junggesellen Maurizio ehelichte, den vermeintlichen Erben des Mode-Imperiums Gucci. Während Onkel Aldo das neue Familienmitglied mit Freude und offenen Armen empfängt, lehnt Maurizios Vater Rodolfo die Vermählung ab, weil er Patrizia genau so sieht, wie sie sich später darstellen wird. Eine Frau die lediglich nach Ruhm und Reichtum strebt.

Es war ein Freudenfest mit Feuerwerk für die Boulevard-Presse, wie die Beziehung zwischen Patrizia und Maurizio 1995 endete. Dies ist so zu sagen der rote Faden, den Sara Gay Forden für ihr Buch ‚The House Of Gucci‘ nutzte, um während des Verlauf dieser Ehe die seltsamen Beziehungen innerhalb der Mode-Familie näher zu betrachten und zu erläutern. Eine höchst dysfunktionale Familie, der Regisseur Ridley Scott im gleichen Maßen ebenso hohen Unterhaltungswert abgewinnen kann.

Mit dem von Ridley Scott angestammten Kreativteam, allen voran Claire Simpson mit einem extrem akzentuierten Bildschnitt, hat der Regisseur einen Film gemacht, der in seiner technischen Ausführung fast schon makellos erscheint. Auf dieses hohe Niveau haben sich auch Frederic Apiras und Sarah Tanno als Hairstylist und Make-up-Künstler von Lady Gaga begeben. Es ist überwältigend, wie sie der Darstellerin immer wieder das der jeweiligen Zeit entsprechende Aussehen von Patrizia Gucci anzaubern, und dabei Lady Gagas individuelle Attraktivität bewahrt bleibt.

Jenseits davon ist dann Jared Leto als Paolo Gucci, Bruder von Rodolfo und Maurizios Onkel. Mit ihm beginnen dann auch die vielen Fragen an die Produktion. Letos Transformation mag auf Fotos noch perfekt aussehen, er selbst bleibt da aber absolut unkenntlich. Im bewegten Bild kommen wenigstens Jared Letos stechende Augen zur Geltung. Ebenso geltend sticht allerdings der mit Latex maskierte Ansatz der Glatze heraus, der im Mienenspiel absolut unbeweglich bleibt, was nicht einfach nur ablenkt, sondern die Wirkung der Maske verfehlt.

House Gucci 1 - Copyright METRO-GOLDWYN-MAYER

Leute welche die Ambitionen und auch den Mut von Jared Leto durchaus schätzen, kommen auf ihre Kosten. Aber es bereichert den Film in keiner Weise, und ergibt keinen Sinn. Nach dazu, weil das Make-up des Mimen gleich derart über die Stränge schlägt, dass jede Ähnlichkeit mit dem realen Paolo Gucchi verloren geht, und die Figur zur Karikatur ihrer selbst wird. Aber nicht nur an diesem Punkt, sondern auch in manch anderen Sequenzen wird einfach nicht deutlich, ob HOUSE OF GUCCI nun Persiflage, Satire oder Drama sein möchte.

Wie ist es zu erklären, dass alle Darsteller von italienischen Charakteren untereinander englisch sprechen, aber mit übertrieben ausgeprägten italienischen Akzent. Dem Trailer nach zu urteilen, bleibt dies den deutschen Zuschauern erspart. Es wird deswegen aber keineswegs unerheblich für eine künstlerische Einschätzung dieses Stilmittels, welches das leichte Aroma einer Farce verbreitet. Ridley Scott hat aber weder Farce, noch Satire und erst Recht keine Komödie inszeniert, weil dazu schlichtweg der Witz fehlt. Sei er hintergründig oder brachial gemeint.

Was ein kritischer Beobachter durchaus anerkennen muss, dass Ridley Scott sich von den Eigenheiten einer regulären Chronik gelöst hat. Stattdessen führt er jene Stilmittel ad absurdum. So hat die Musik-Abteilung eine Rock- und Pop-Auswahl vorgelegt, die verschiedene Passagen immer wieder unglaublich gut unterstreichen, und auch aus dem im Film behandelten Zeitraum stammen. Nur wurden alle Songs vollkommen anachronistisch verwendet, was für einen Menschen mit entsprechendem Jahrgang durchaus für Verwirrung sorgen kann.

Fast erfrischend, aber wiederrum nicht ganz schlüssig bleiben die Schwerpunkte einzelner Handlungsteile und ihre szenische Gewichtung. Denn Scott nimmt sich die Zeit, unwichtig erscheinende Passagen sehr ausgiebig in Szene zu setzen, während entscheidende Augenblicke sehr schnell, und dann auch mit wenig Brisanz abgehandelt werden. Das atemberaubende Darsteller-Ensemble trägt mit seinen jeweiligen Charakteren immer so dick auf, das feine Nuancen im Spiel einfach wegfallen.

Scott liebt es, seine Schauspieler größer zu inszenieren, als es die Situation erfordert. Der Filmfan ist begeistert, muss man einfach zugestehen, auch wegen der unablässigen Bonmots, die kaum der Realität entlehnt sind, aber unheimlichen Unterhaltungswert haben. Wer den Film sieht, kommt nicht umhin zugeben zu müssen, mit was für einer lockeren Atmosphäre er zu unterhalten versteht. Selbst wenn sich HOUSE OF GUCCI in seiner in sich geschlossenen Form nicht wirklich erschließen mag. In Ermangelung eines rühmlichen Fazits, wird am besten mit einem Zitat geschlossen, welches aber keineswegs als Wertung verstanden werden soll. Jeremy Irons als Rodolfo zu Paolo: „Du vollendest den Triumph der Mittelmäßigkeit.“

House Gucci 2 - Copyright METRO-GOLDWYN-MAYER

 

Darsteller: Lady Gaga, Adam Driver, Al Pacino, Jeremy Irons, Jack Huston, Jared Leto, Salma Hayek u.a.
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: Becky Johnston, Roberto Bentivegna
Kamera: Dariusz Wolski
Bildschnitt: Claire Simpson
Musik: Harry Gregson-Williams
Produuktionsdesign: Arthur Max
Kanda – USA / 2021
158 Minuten

Bildrechte: METRO-GOLDWYN-MAYER
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