THE MANY SAINTS OF NEWARK

Many Saints - Copyright WARNER BROS– 01.10.2021 auf HBOmax
– Bundesstart 04.11.2021

Das Ende von SOPRANOS ist noch heute das spektakulärste Serienfinale in der amerikanischen Fernsehgeschichte. Nach diffizilen Analysen ist sich die Mehrheit der Hardcore-Fans einig, dass Familien-Boss Tony Soprano schließlich doch… Aber wer weiß. Wesentlich eindrucksvoller ist hingegen die Wahrnehmung der anderen Seite von Zuschauern. In trauter Manier sitzen die Sopranos in einem Diner. Tochter Meadow hat sich verspätet, und kommt zur Tür herein. Das Schlagen der Tür lässt den allseits vorsichtigen Vater Tony aufschauen. Schwarzblende. Letzter Abspann nach 6 Staffeln und 86 Episoden. Das Leben geht weiter. Selbst für die Familie eines Gangsterbosses, die hier im Grunde eine ganz normale Familie ist, mit ganz normalen Alltagsproblemen. Was soll sich da noch großartig ändern. Anders als ein Prequel, wäre eine Fortsetzung Verrat an der eigentlichen Idee.

Es ist 1967 und kurz vor den 4 Tage andauernden Rassen-Unruhen in New Jersey. Der Grund für die Aufstände und deren Auswirkungen sind angedeutet, geraden aber als gesellschaftspolitisches Ereignis in den Hintergrund. Vielmehr ist es ein spektakulärer Aufhänger für die Veränderungen in der kriminellen DiMeo Familie. Die Charaktere sind weitgehend bekannt. Federführend sind natürlich als Oberhäupter die Brüder Johnny und Currado Soprano. Wobei in dieser Geschichte deren Neffe Dickie Moltisanti im Vordergrund steht, sein Werdegang, und seine prägende Beziehung zu Johnnys Sohn Tony.

MANY SAINTS ist kein Film mit stringenter Handlung, sondern zeigt sich als Mix von lose zusammen gehaltenen Stückwerk mit diversen Schichten. So ist auf einer Seite Dickies Familienname Moltisanti italienisch für VIELE HEILIGE, was gleichzeitig für den Filmtitel steht. Aber auch konkurrierende afro-amerikanische Gangster tragen in ihrer Bezeichnung Black Saints den Heiligentitel. Ein metaphysischer Bezug wird aber nie zueinander hergestellt. Das ist allerdings nur beispielgebend für das, was bei MANY SAINTS nicht funktioniert. Einzelne Handlungselement greifen ineinander, bauen aber nicht aufeinander auf. Und Beziehungsverhältnisse werden höchstens klar gestellt, entstehen aber nicht, oder werden auch nicht gefestigt. Besonders bitter ist dies für die eigentliche Idee des Films, nämlich Dickie Moltisantis Einfluss auf die Charakterentwicklung des jungen Tony Soprano.

Many Saints 1 - Copyright WARNER BROS

Das Tony, bahnbrechend gespielt von James Gandolfini, in späteren Jahren wiederholt Dickie als sein großen Vorbild empfunden hat, ist aus der Serie hinreichend bekannt. Aber der Film, der eigentlich auch für sich selber stehen sollte, macht nie deutlich, woran der spätere Gangsterboss die Leidenschaft für seinen Onkel festmacht. Was automatisch zu dem Punkt führt, warum die MANY SAINTS jenseits der Stammzuschauer für einen breiteren Markt uninteressant werden. Trotz seiner vielen guten Ideen und herausragenden Charakterzeichnungen, steht der Film in keiner Weise für sich selbst. Gerade diese vielen guten Ideen stützen sich darauf, dass jemand Vorkenntnisse aus der Serie mitbringt.

Doch zeichneten sich die SOPRANOS auch dadurch aus, dass es eine Serie war, die in ihren wichtigsten Szenen und entscheidendsten Momenten durch vielsagende Blicke, akzentuierte Pausen im Spiel, oder wortloses Interagieren erzählt wurde. MANY SAINTS hat kaum etwas von diesen einprägsamen Augenblicken, die handlungsentscheidend waren. Serienerfinder David Chase hat mit Lawrence Konner aber einen Spielfilm ersonnen und geschrieben, der auch mit den Stilmitteln eines massentauglichen Spielfilms umgesetzt wurde. Da hat er bereits den größten Teil des ansprechenden Reizes der Serie verloren.

Es ist ein ausgespieltes Panoptikum von bekannten Ereignissen und Figuren. Regisseur Alan Taylor, der lediglich neun der 86 Fernsehfolgen inszenierte, ist viel mehr an einem nostalgischen Rückblick interessiert als an einer spannungsgeladenen Handlung. Viele Charaktere erleben wir in jungen Jahren. Wir sehen den späteren Verräter ‚Pussy‘ noch als loyalen Mitstreiter. Tonys soziopathische Mutter, oder die junge Version des Hauptquartiers im Satriale’s Pork Shop. Unklar ist, warum ein für Tony prägendes Ereignis auf einem Rummelplatz hier ausführlich wiederholt wird, obwohl es bereits in THE SOPRANOS eine der ausführlichsten Rückblenden war.

Many Saints 3 - Copyright WARNER BROS

Die Geschichte erzählt sich anhand dieser unzähligen Versatzstücke, die aber lediglich von Stammzuschauern und Fans in den richtigen Kontext gesetzt werden können. Wobei der Tod einer Figur hier zwar gezeigt, aber nicht aufgeklärt wird. Ein Rätsel, dass schon in der Serie die Diskussionen befeuerte, aber auch hier nicht vollständig gelöst wird, obwohl genau dies auch Bestandteil der Idee des Films wäre. Auf der anderen Seite überrascht MANY SAINTS mit Darstellern, die förmlich für ihre Rollen geboren worden zu sein scheinen, die ja bereits detailiert vorgegeben waren. Wobei Vera Farmiga als Livia Soprano mit Nasenprothese und perfekter Stimmen- und Gebärdenimitation ihrer Vorgängerin, sprich älterem Alter-Ego Nancy Marchard beängstigend gleich kommt. Was bei Michael Gandolfini als junge Ausgabe seines realen, leider verstorbenen Vaters James mit der selben erschreckenden Ähnlichkeit gekrönt ist. Regisseur Taylor meinte dazu, dass Michael viele seiner Szenen öfters wiederholen musste, weil er immer wieder viel zu nahe an dem bereits erwachsenen und gefestigten Tony Soprano war. Eindrucksvoller hätte ein Sohn seinem Vater nicht Tribut zollen können.

Als gelungenes Trostpflaster präsentieren sich Kramer Morgenthaus beeindruckende Bilder. Wenn die Protagonisten erschrocken über die von Flammen erhellte Silhouette schauen, gewinnt das Ausmaß der Gewalt eine verstörende Faszination. Auch die alles verändernde Strandszene mit Dickie und Giuseppina erlangt mit Morgenthaus kalter Photographie eine sehr einprägsame Atmosphäre. Ob die opulent gestalteten Unruhe-Sequenzen, oder die intimeren Bildausschnitte in den Familienszenen, das hat durchaus einen sehr anspruchsvollen Look von ‚großem Kino‘ und die starke Impression von Filmen aus den Siebzigern.

Man kann nicht oft genug wiederholen, dass eine Serienepisode einer ganz anderen Dynamik unterliegt wie ein Film. MANY SAINTS mit einer Laufzeit von gerade einmal zwei SOPRANO-Folgen, will sich als großer Spielfilm präsentieren, was ihm in der optischen Umsetzung auch eindrucksvoll gelingt. Doch er versucht auch die Erzählstruktur der Serie beizubehalten, was im Spielfilmformat überhaupt nicht funktioniert. Vielleicht bei anderen Filmen, hier aber überhaupt nicht. MANY SAINTS OF NEWARK ist gutes Schauspielkino mit gehobenen Spannungsgehalt. Aber es ist ein Soprano-Geschichte, und dafür will der Film viel zu viel, wovon er am Ende kaum etwas einzulösen schafft.

Many Saints 2 - Copyright WARNER BROS

 

Darsteller: Alessandro Nivola, Michael Gandolfini, Leslie Odom Jr., Vera Farmiga, Jon Bernthal, Corey Stall, Ray Liotta, Michela De Rossi u.a.
Regie: Alan Taylor
Drehbuch: David Chase, Lawrence Konner
Kamera: Kramer Morgenthau
Bildschnitt: Christopher Tellefsen
Musik: Peter Nashel
Produktionsdesign: Bob Shaw
USA / 2021
120 Minuten

Bildrechte: WARNER BROS
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