Clint Eastwood hat sich das letzte Mal für THE MULE selbst vor der Kamera inszeniert. Ein Film, der nicht gut aufgenommen wurde, weil Eastwood darin keine eindeutig Position zum Drogenhandel bezog. Aber es ist ein Film, der ganz nach der Ausdrucksform des Regisseurs und Schauspielers gelungen war. Davor und danach gab es noch die überaus beindruckenden Regiearbeiten SULLY und RICHARD JUWELL, Portraits von zwei realen, aber fast vernachlässigten Persönlichkeiten. Ob jetzt N. Richard Nash 1975 ‚Cry Macho‘ tatsächlich zuerst als Drehbuch verfasst hatte, und es wegen Desinteresses schließlich in Romanform veröffentlichte, sei einmal dahin gestellt. Der Roman jedenfalls stand auf alle Fälle erst die letzten dreißig Jahre im Fokus diverser Hollywood Produzenten, mit einer grandiosen Auswahl möglicher Hauptdarsteller. Das sich letztendlich Eastwood diesen Stoff sicherte, scheint auf den ersten Blick als längst überfällig.
Der ehemalige Rodeo-Reiter Michael Milo ist weit in die Jahre gekommen. Dennoch soll er für einen alten Bekannten dessen Sohn aus Mexiko nach Texas holen. Der vierzehnjährige Rafo hält sich mit Hahnenkämpfen über Wasser, um den gewalttätigen Amigos auf dem Anwesen seiner Alkohol abhängigen Mutter zu entkommen, die sich als Boss eines unbestimmten Kartells entpuppt. Damit beginnen für Milo die Probleme, denn die Mutter stellt Besitzansprüche nur aus ihren Launen heraus, und Rafo glaubt unentwegt klüger zu sein, als der alte Cowboy.
Man kann sich gut vorstellen, dass dies der perfekte Stoff für eine altersweise Geschichte ganz im Sinne des altgedienten Haudegen Eastwood wäre. Nur das am Ende überhaupt nichts in der Geschichte und auch in der filmischen Umsetzung zusammen passt. Das Ganze verschlimmert sich dadurch, dass man die bekannte Ästhetik und Ruhe von Clint Eastwoods bisherigen Regiearbeiten spürt, die ihn als Filmemacher schon immer so interessant machte. Aber nichts davon setzt sich in irgend einer Form durch. In manchen Zügen vermutet man einen erhellenden Roadmovie. Nur bei CRY MACHO funktioniert gar nichts. Es gibt keine glaubwürdige Charakterzeichnung und die Inszenierung schwankt zwischen langweilig und peinlich.
Für Eastwood braucht es selten eine ausschweifende, verschachtelte Erzählung. Aber was alleine die Dialoge angeht, gibt es keinerlei philosophische Ansätze, nicht einmal altersweise Ansichten über das Leben oder moralische Werte. Es ist keinerlei Anspruch zu erkennen, dem man diesem Stoff entlocken könnte, oder die man hier hinein interpretieren möchte. Die Figuren sind so inkohärent, dass dem Zuschauenden keine Orientierung gegeben wird. Markigen Macho-Sprüchen folgen meist weinerliche Erklärungen. Das Verhältnis zwischen Milo und Rafo passt sich jeweils den Situationen an, und nicht etwa ihren Persönlichkeiten. Eine Entwicklung in dieser Beziehung gibt es nicht, so als ob der Regisseur überhaupt nichts mit diesen Figuren anzufangen wusste.
Das Rafos Kampfhahn Macho ein Sinnbild darstellen soll, scheint selbstverständlich. Nur erschließt sich nicht für wen oder was. Ein Interpretationsversuch scheitert am Unvermögen der Inszenierung. Unentwegt fragt man sich, was hier eigentlich passiert. Manche Szenen sind so lächerlich umgesetzt, dass die Ernsthaftigkeit des ganzen Films in Frage zu stellen ist. Die angedeutete Prügelei vor dem Restaurant, oder die seltsam gestaltete Razzia bei einem Hahnenkampf. Szenen, wie zum Beispiel Milos Grenzübertritt, bauen eine Situation auf bei der jemand Spannung oder Eskalation vermuten würde, die sich aber vollkommen in Nichts auflösen.
Wie sich Eastwood allerdings mit den zwei weiblichen Darstellerinnen in Szenen setzt, löst unvermeidlich die stärkste Verwunderung aus. In einem aufgeklärten Zeitalter sollte ein Altersunterschied keine signifikante Rolle spielen. Doch in einer filmischen Dramaturgie sollten sich zwischenmenschliche Aspekte erschließen, und Mike Milo offenbart weder seinen Leinwandpartnerinnen noch den Zuschauenden irgendwelche herausragende Charakterzüge. Überhaupt baut sich zwischen all den Figuren nie ein wirkliches Verhältnis auf. Sie bleiben alle fremd zueinander. Das betrifft besonders den relativ unerfahrenen Eduardo Minett, der seinem Rafo keine greifbare Basis geben kann, und wenig überzeugend eher an Laienschauspiel erinnert.
In fast allen Bereichen ist CRY MACHO ein enttäuschender Film. Nick Schenk hat schon einige Male für Eastwoods Projekte geschrieben, die aber immer entweder einen moralischen Ansatz hatten oder philosophische Grundzüge aufwiesen. Deren Atmosphäre war geladen mit dem Charme des stoischen Einzelgängers, und ihren lebensnahen Eindrücken. Das CRY MACHO so leer, eigentlich uninteressant geworden ist, kann man in fast allen Szenen erfahren, nur lässt es sich nicht erklären, warum ein künstlerischen Gespann wie Schenk und Eastwood dem nichts entgegen setzen konnten.
Dafür kann man sich wenigstens an Ben Davies stimmungsvoller Bildgestaltung satt sehen. Davies nutzt den Raum tatsächlich nach der angedachten Atmosphäre, setzt die Darsteller stets in einer dramaturgische Relation zueinander, und überzeugt mit sehr pointierten Licht- und Farbstimmungen. Und wenn Mike Milo in seinem Wagen neben einer Herde galoppierenden Pferde fährt, dann offenbart dieses Bild eine anmutige Atmosphäre, die dem Film in seinem Herzen fehlt.
Darsteller: Clint Eastwood, Dwight Yoakam, Eduardo Minett, Natalia Traven, Fernanda Urrejola, Horacio Garcia Rojas u.a.
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Nick Schenk, N. Richard Nash (auch Novel)
Kamera: Ben Davies
Bildschnitt: David S. Cox & Joel Cox
Musik: Mark Mancina
Produktionsdesign: Ronald R. Reiss
USA / 2021
104 Minuten