SCENES FROM A MARRIAGE

Episode 1 – Innocence & Panic

Scenes FAM - Copyright HBO– ab 12.09.2021 auf SKY / HBOmax
– deutsche Synch-Fassung 19.11.2021

Ganze 20 Minuten in die erste Episode ‚Innocence & Panic‘ hinein, stellt Peter ehrlich verwirrt eine Frage. „Warum“, will Peter wissen, „warum ist sie an monogamen Langzeitbeziehungen interessiert?“ Die besten Freunde Mira und Jonathan haben an einer Studie über partnerschaftliche Rollenverteilungen teilgenommen. „Es gibt doch so viele andere Beziehungsmodelle. Es ist eine neue Zeit.“
Sich an einem Klassiker zu versuchen, der noch heute Bestand hat, und damals wie heute unangenehm unter die Haut geht, ist ein ambitioniertes Unterfangen. Und gleich in der ersten Folge, stellt sich diese Neuverfilmung mit Peters Frage selbst zur Diskussion. Als Zuschauer könnte man über die Sinnhaftigkeit verkürzt fragen, „warum?“.

Als Javier Bardem 2014 aus dem Projekt A MOST VIOLENT YEAR aussteigen musste, warb Hauptdarstellerin Jessica Chastain in einem leidenschaftlichen Brief an Regisseur C.J. Chandor dafür, ihren ehemaligen Schulgefährten und Freund Oscar Isaac zu besetzen. Mit Erfolg, und zum Besten des Films. Als Michelle Williams die Neuverfilmung von SCENES FROM A MARRIAGE verließ, wollte Oscar Isaac unbedingt seine alte Freundin Jessica Chastain neben sich wissen. Was Serienschöpfer Hagai Levi dankbar umsetzte. Und damit könnte sich eigentlich auch die Frage nach dem „warum“ klären.

Hagai Levi ist Erfinder mit einem besonderem Gespür für die Komplexität menschlicher Beziehungen und psychologischer Tiefen. Hauptsächlich sorgte er sich um die langjährigen Psychotherapie-Serien IN TREATMENT, die mit gleichbleibenden Konzept für verschiedene Märkte länderspezifisch adaptiert wurden. Und auch THE AFFAIR ist seine Schöpfung, die zumindest in der ersten Staffel die Affäre zweier verheirateter Menschen erschreckend glaubhaft, und sogar nachvollziehbar machte. Eine Ehe am Rande des Scheiterns zu beobachten, liegt Hagai Levi sozusagen im Blut, wenn man das so salopp ausdrücken darf.

Eine Ehe am Rand des Scheiterns zu beobachten, trifft es in der ersten von den fünf Episoden ziemlich genau. ‚Innocence & Panic‘ ist kaum daran interessiert die Ehe von Mira und Jonathan zu analysieren. Aber Levi zwingt uns, genau hinzusehen. Er fordert den Zuschauer heraus. Immer wieder durchbricht er scheinbar harmonische Momente mit Detailaufnahmen, die etwas völlig anderes bedeuten könnten. Sei es nur ein Augenaufschlag, ein verstohlener Blick auf das Smartphone, oder eine resignierende Kopfbewegung. Und dennoch ist man fest davon überzeugt, dass diese Ehe förmlich danach schreit, von gegenseitiger Befruchtung gesegnet zu sein.

Scenes FAM 2 - Copyright HBO

Hagai Levi kann allerdings Ingmar Bergmans ursprünglichen Material wenig neue Impulse geben. Lediglich die Rollenverteilung hat sich geändert. Im Jahr 2021 ist Mira als Managerin eines großen Konzerns die, wie es in der Folge heißt, ‚Brotbringerin‘, und Jonathan übernimmt als weniger verdienender Philosophie-Lehrer die häuslichen Pflichten. Doch damit erschöpft sich eine wirkliche Anpassung an neue, oder moderne Beziehungsmodelle. Genau das, was Peter zu Anfang in Frage stellt. Bleibt die Frage, ob dies überhaupt den Blick und die Wahrnehmung verändern würde. Oder ob es nicht noch viel beunruhigender ist, wie sich eine traditionell konventionelle Partnerschaft auseinanderlebt? Auch dieser Antwort entzieht sich diese Serie, und überlässt dem Zuschauer eine soziologische Einordnung.

In der ersten fünfzig Minuten ist noch gar nicht abzusehen, in welche Richtung sich die Gefühlswelt von Mira und Jonathan bewegt. Und tatsächlich bricht mit einer überraschenden Wendung für den Zuschauer, ein bereits im Vorfeld entwickeltes Gedankenkonstrukt zusammen. Nur, damit uns am Ende Hagai Levi doch noch in einen ungewissen Verlauf der weiteren Szenen aus einer Ehe entlässt. Und das schmerzt. Es schmerzt noch nicht so sehr, wie das was kommen wird, wenn man sich schon einmal mit Ingmar Bergmans SZENEN EINER EHE auseinander gesetzt hat.

Die Frage nach eine Notwendigkeit muss fairerweise mit Nein beantwortet werden. SCENES FROM A MARRIAGE 2021 rechtfertigt sich allerdings über die faszinierende Chemie zwischen Chastain und Isaac. In jeder Szene ist die Vertrautheit eine zwölfjährigen Beziehung nicht einfach nur sichtbar, sondern regelrecht spürbar. Jessica Chastain und Oscar Isaac sind zwei Darsteller, die sich voll und ganz auf einander einlassen, und eine selbstverständliche Natürlichkeit gewinnen. Kleine unscheinbare Gesten der Berührung. Dieses gegenseitige ergänzen in Gespräch oder Interaktion. Der Verzicht auf unnötige Erklärdialoge für den Zuschauer. Das sind die Dinge, die beide zu einem wirklichen Paar werden lassen. Doch da sind immer wieder diese Blicke, oder die Pausen, dem anderen im Gespräch Zeit zu geben, aber auch erkennbare Unsicherheiten in ihren Gesichtern. In all dem lassen beide stets den Schatten erkennen, der ihre untrennbar scheinende Gemeinsamkeit zerstören könnte.

Scenes FAM 1 - Copyright HBO

 

Darsteller: Jessica Chastain, Oscar Isaac, Nicole Beharie, Corey Stoll, Sunita Mani, Shirley Rumierk u.a.
Regie: Hagai Levi
Drehbuch: Amy Herzog, Hagai Levi
nach der Mini-Serie von Ingmar Bergman
Kamera: Andrij Parekh
Bildschnitt: Yael Hersonski
Musik: Evguine Galperine, Sacha Gaperine
Produktionsdesign: Kevin Thompson
USA / 2021
5 Episoden
ca. 290 Minuten

Bildrechte: HBO
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