– Bundesstart 26.08.2021
Es ist ja nun schon so etwas wie ein kleines Sub-Genre im psychologischen Drama. Immer mehr Filmemacher verarbeiten ihre Erfahrungen mit Demenz, sei es aus Interesse oder persönlicher Betroffenheit. Das Thema Demenz rückt in seinen diversen symptomatischen Zusammensetzungen im öffentlichen Bewusstsein verstärkt in den Fokus. Noch bevor sich das Interesse cineastisch dem Mainstream annäherte, mit bekannteren Beispielen wie STILL ALICE, THE ROADS NOT TAKEN oder FALLING, hat Florian Zeller 2012 THE FATHER auf die Bühne gebracht. Der Erfolg auf der Leinwand ist also zum größten Teil dem phänomenalen Zuspruch auf den weltweiten Bühnen zu verdanken. Aber dem Dank wegen des Theatererfolgs schließt sich umgehend die grandiose Anziehungskraft von Anthony Hopkins an. Dem Darsteller aber eine seiner besten Leistung zu attestieren, wäre vielleicht gar nicht richtig, und würde Hopkins auch nicht gerecht werden.
Der über achtzigjährige Witwer Anthony lebt alleine in seinem ausladenden Apartment in London. Seine Tochter Anne kümmert sich um ihn, seit Anthony wieder einmal eine Pflegekraft aus dem Haus getrieben hat. Allerdings gibt es einschneidende Veränderungen auf beiden Seiten. Die eine ist, dass Anne jemanden kennen gelernt hat, dem sie nach Paris folgen wird. Über das Schicksal von Anthony braucht man nicht viel spekulieren. Ganz behutsam führt uns Florian Zeller, der zum Vorteil von Film und Zuschauer selbst die Inszenierung übernommen hat, an den geistigen Zustand von Anthony heran.
Einige Filme haben bisher sehr eindrucksvoll geschildert wie sich eine Demenz-Erkrankung auf das Umfeld der Betroffenen auswirkt. Aber bis zu THE FATHER hat kaum ein Film aus der Sicht des Erkrankten erzählt. In dem uns Florian Zeller in die Situation von beiden Seiten versetzt, werden wir sehr viel mehr als nur Beobachter. Es ist ein wahres Kunststück, wie stark an der inszenatorischen Form einer Theateraufführung festgehalten wird, um letztendlich mit filmischen Elementen die Barriere zwischen Leinwand und uns aufzuheben.
Erzählt wird die Geschichte aus dem Munde von Anne, doch wir erleben alles aus der Perspektive von Anthony. Anfangs sind wir dessen nicht bewusst, es verwirren uns nur Details. Man darf aber nicht weiter darauf eingehen, wie Zellers Inszenierung funktioniert, weil man sonst die Wirkung seines Films vorweg nehmen würde. Wir leiden ohnehin mit Anthony und seiner Situation. Aber wir leiden genauso intensiv mit Anne. In THE FATHER fühlen wir auf ganz besondere, sehr ungewöhnliche Weise mit. Ein sehr emotionaler Effekt aus der beeindruckenden Verbindung von Elementen eines klassischen Kammerspiels und den suggestiven Funktionen der Filmtechnik.
Es steht außer Frage, dass Anthony Hopkins mit seiner charismatischen Präsenz den Film dominiert. Was aber auch vom Konzept der Erzählung vorgegeben ist. Allerdings sah man den mittlerweile 83 Jahre alten Waliser kaum in einer so verletzlichen Rolle. Auch wenn man versucht sein sollte ihm unbedingt die beste Leistung seiner Karriere nachzusagen, trifft es nicht wirklich den Kern der hier entstehenden emotionalen Bindung. Nicht nur für Cineasten, sondern auch in der allgemeinen Wahrnehmung ist die Person Anthony Hopkins weit mehr als nur ein Begriff. Die Frage ist unausweichlich, wie weit so eine Person des öffentliches Interesses eigentlich von dem Schicksal ihres Charakters weg ist. Und dann fragen wir uns, wie weit wir eigentlich davon entfernt sind. Florian Zeller zeigt uns, dass wir es nicht herausfinden möchten.
Darsteller: Anthony Hopkins, Olivia Coleman, Rufus Sewell, Imogen Poots, Olivia Williams, Mark Gatiss u.a.
Regie: Florian Zeller
Drehbuch: Florian Zeller, Christopher Hampton
Kamera: Ben Smithard
Bildschnitt: Yorgos Lamprinos
Musik: Ludovico Enaudi
Produktionsdesign: Peter Francis
Grobritannien – Frankreich / 2020
97 Minuten