F9: THE FAST SAGA
– Bundesstart 15.07.2021
Es geht um die Familie. Denn Familie ist das Wichtigste. Auch wenn man von Dominic Torettos Bruder in 20 Jahren und 850 Filmminuten noch nie etwas gehört hat. Der Ableger HOBBS & SHAW ist in der Zeitrechnung nicht einbezogen, wo Jakob Toretto allerdings ebenso wenig Erwähnung findet. Umso eindringlicher muss diese brüchige Beziehung betrachtet und behandelt werden. Was im Endresultat wie ein Abgesang auf den Straßenrenner zum Super-Agenten mutierten Dominic inszeniert ist. Ausschweifende Blicke in die Vergangenheit erzählen das Schicksal des Vaters Toretto, das Schicksal der Brüder Jakob und Dominic, das Schicksal ihres zweifelhaften, aber stets unterhaltsamen Werdegangs. Längst ist die Spektakelreihe nicht mehr wegen ihrer tollkühn albernen Stunts interessant, sondern wie die Macher unentwegt bisher unbekannte Informationen hernehmen, und damit im bereits existierenden Kanon herum wühlen.
Das Team von Autoliebhabern scharrt sich zusammen, um einen alten Bekannten aus den Fängen von Bösen zu befreien. Der bekannte ist Mr. Nobody aus den vorangegangenen zwei Teilen, also zählt er auch zur Familie. Und Familie geht vor. Das führt zum ersten großen Action-Setting, dass an hanebüchensten Einfällen nicht verlegen ist. Ein zweckfreies Minenfeld Mitten im Dschungel inklusive, und einer Nummer mit Hängebrücke die im Vollrausch erfunden worden sein muss. Eigenartigerweise erschüttert das den Glauben an den unerschütterlichen Unterhaltungswert überhaupt nicht.
Bereits in Teil 6 beglückte man die Welt mit einer bisher vollkommen aberwitzigen Flugzeugstartbahn von gut geschätzt 90, anstelle der übliche 3,5 Kilometer. Das Effekt vor Logik gestellt wird ist nicht nur etabliert, sondern Basis des Konzeptes. Ein Konzept, welches sich allerdings erst später in die Reihe einschlich. Haben die Raser doch 2001 so fulminant durchgestartet, weil die Idee dahinter eine handwerklich real umgesetzte Stunt-Show bot. Und die dazugehörige Handlung plausibel und mit realem Hintergrund war. Der Fahrbahnwechsel unter einem Truck hindurch wirkt heute noch nach.
Emsige Physiker haben nachgewiesen, dass der Wolkenkratzer-Stunt mit dem Lykan Hypersport in F&F 7 real umsetzbar wäre. Das scheint für Folge Neun ein Ansporn gewesen zu sein. Da eine Steigerung von Episode zu Episode erwartet wird, hat man endgültig die Physik ausgehebelt. Wenn nicht ein findiger Wissenschaftler anderes beweisen sollte. Dann hakt es aber noch immer an Logik und dem Moment der Wahrscheinlichkeit. Die Auswirkungen eines Super-Magneten widersprechen sich innerhalb der szenischen Umsetzung. Was aber nicht heißt, dass Regisseur Justin Lin in seiner fünften Arbeit dieser Serie keine ausartende Freude an zerstörerischer Inszenierung hat.
Wer in seiner Cineasten-Karriere über Teil Vier hinausgekommen ist, wird zweifelsfrei akzeptieren, was hier an Spektakel geboten wird. Es geht auch beim Zuschauer längst nicht mehr darum ob das Gesehene möglich wäre, sondern wie die Macher es umsetzen. Es gibt Stunts, die nachweislich real umgesetzt wurden. Diesen Leistungen kann man aber schon lange nicht mehr Tribut zollen, weil die Grenzen zu Computer generierten Effekten schon lange fließend sind, und zu viel der Fast & Furious Action sichtbar künstlich erzeugt wird. Eine der Rückblenden kehrt auch zurück auf die Straße, wo die Toretto-Brüder sich eine Asphaltschlacht liefern. Es wäre eine nette Verbeugung gewesen, doch man verlässt sich auch hier auf Rechner basierende Unterstützung.
Nur die übertriebene Ernsthaftigkeit, mit der Justin Lin seine Darsteller aufeinander los lässt, passt so überhaupt nicht zu dem überdrehten Charakter der Action-Sequenzen. Da kann auch der stets gut gelaunte Tyrese Gibson humoristisch nichts bewegen, der als einziger wohlgesetzte Einzeiler von sich geben darf. Die namhaften Nebenrollen haben scheinbar auch nur wegen des Spaßfaktors zugesagt. Größen wie Theron und Mirren zeigen ihre Freude an der Übertreibung, bringen aber nichts weiter als ihren vielversprechenden Namen und etwas Glamour auf die Piste. Man merkt dem Film auch an, dass Dwayne Johnson fehlt, der etwas von Diesels stoischer Mega-Coolness aufgelockert hätte.
Es ist schon ein Phänomen an sich, wie die beherzten Autoren aus kleinen Nebensätzen und beiläufigen Begebenheiten vorangegangener Filme immer wieder eine Geschichte zu filmischer Größe aufblasen können. Und sie schaffen es auch immer wieder, das Ganze dann auch noch wirklich wichtig erscheinen zu lassen, und zwar so, dass es von unermesslicher Tragweite zu sein scheint. F9 ist zweifellos und in jeder Hinsicht der aktuelle Höhepunkt der Serie, oder wie es nun so dramatisch betitelt wird, der Saga. Aber mit diesem Prädikat wird sich dann auch der nächste Teil schmücken. Die nächsten beiden Filme sind vorerst noch als Zweiteiler angedacht. Man wird ja noch träumen dürfen, aber vielleicht wird es der ultimative Kick, wo es zurück geht zu Straßenrennen und real inszenierter Stunt-Arbeit. Schließlich sind wir auch Familie. Familie ist das Wichtigste, da wird man doch mal anfragen dürfen.
Darsteller: Vin Diesel, Michelle Rodriguez, Tyrese Gobson, Chris Ludacris Bridges, Nathaniel Emmanuel, Sung Kang, Jordana Brewster und John Cena, Charlize Theron, Thue Ersted Rasmussen, Helen Mirren, Kurt Russell, Michael Rooker u.a.
Regie: Justin Lin
Drehbuch: Daniel Casey, Justin Lin
Kamera: Stephen F. Windon
Bildschnitt: Greg D’Auria, Dylan Highsmith, Kelly Matsumoto
Musik: Brian Tyler
Produktionsdesign: Jan Roelfs
Thailand – Kanada – United States / 2021
143 Minuten