KOTCH – Start 17. September 1971
Der Roman ‚Kotch‘ von Katharine Topkins erscheint 1965. Die Geschichte eines Mannes, der wegen seines Alters nur noch als kauzig bezeichnet wird, und als Belastung für die Familie gilt. Doch Joseph Kotcher ist kein vertrottelter alter Mann der Hilfe braucht. Mit seiner Lebenserfahrung und inne wohnenden Weisheit, kann er ignorieren, was ihm an Ignoranz entgegen gebracht wird. Dieser Roman weckt sofort die Aufmerksamkeit des Schauspielers Jack Lemmon, der mit Regisseur Billy Wilder schon sehr erfolgreich komisch tragische Figuren auf der Leinwand lebendig werden ließ. Sechs Jahre dauert es, bis Lemmons Herzensprojekt endlich für die Leinwand adaptiert werden kann.
Am besten sollte Joseph Kotcher in eine Senioren-Residenz abgeschoben werden. Der Rentner treibt mit seiner unbekümmerten Art die Schwiegertochter in den Wahnsinn, und sein rückgratloser Sohn kann sich den Forderungen seiner Frau nicht erwehren. Das man ihn nicht mehr um sich haben will nimmt Joseph gelassen, doch seine Pläne gehen in eine andere Richtung, als er unverhofft auf die ehemalige Babysitterin seines Enkelsohnes trifft. Erica ist schwanger und vom Kindsvater allein gelassen. Zum Entsetzen seines Umfeldes, gründet Joseph mit Erica eine Zweckgemeinschaft.
Produzent Richard Carter geht natürlich davon aus, dass Jack Lemmon die Rolle selbst spielen möchte. Der ist gerade einmal 46 Jahre alt, während Joseph Kotch im Roman mit über Siebzig gezeichnet ist. Aber Lemmon ist derart emotional an das Projekt gebunden, dass er in KOTCH sein Debüt als Regisseur sieht. Fünf Jahre vorher hat er bei einem Film Walter Matthau kennen gelernt, und beide sind seitdem beste Freunde. Matthau nimmt das Angebot an, obwohl auch er nur fünf Jahre älter als Lemmon ist, und somit immer noch 20 Jahre hinter Joseph Kotchs vorgegebenen Alter liegt.
Wer KOTCH sieht und erlebt, wird schnell zur Erkenntnis kommen, wo der darstellerische Unterschied von Jack Lemmon zu Walter Matthau liegen würde. Orientiert man sich an Lemmons bisherigen Charakterisierungen seiner Figuren, hätte Joseph Kotch bei ihm sehr schnell ein nervender, überdrehter alter Kauz werden können. Einer, den das Publikum selbst gerne in eine Senioren-Residenz bringen würde. Was die Besetzung anbelangt, war die Entscheidung weise und richtig.
Thematisch geht es ums Alter, und wie man im Allgemeinen damit umgeht, wenn es die eigene Familie betrifft. Und es geht um die eigene Bequemlichkeit. KOTCH könnte auch eine unglaublich traurige Geschichte sein, in der die Werte von Familie in Frage gestellt werden. Aber es geht mit leichter Hand und einem vorgehaltenen Spiegel um die Selbstbestimmung eines erfahrenen Lebens. Selbstverständlich ist Joseph nicht leicht. Er unterhält sich gern, und viel lieber schweift er dabei ab. Meist verfällt er in einen Monolog der sich weit vom eigentlich Thema entfernt.
Alles was er tut, tut er in bester Absicht. Auch wenn dies einige Mütter im Park zu Tode erschreckt, wenn er als älterer Herr, kleinen Mädchen am öffentliche Schwimmbecken Hilfe leistet. So etwas wird schnell missverstanden. Genau dieses Selbstverständnis welches von Joseph ausgeht, kreidet man ihm an. Sehr schnell wird für den Zuschauer deutlich, dass nicht die altersbedingten Schrulligkeiten das Problem darstellen. Trotz allem bewahrt Joseph Kotch seine Integrität. Nur die sich überlegen und vernünftig wähnende Welt um ihn herum hat jede Contenance verloren, weil Joseph Kotcher verkörpert, was nicht ins Weltbild passt.
Zweifellos ist der Rorschach-Test eine der amüsantesten und zugleich hintersinnigsten Szenen. Als die missmutige Psychiaterin kurz abgelenkt ist, sieht Kotch auf ihrem Testbogen die Bemerkung von fehlendem Vorstellungsvermögen. Trocken antwortet der hintersinne Alte beim nächsten nichtssagenden Tintenklecks: „Ein unerfahrenes Spermatozoon, ungefähr fünfzehn Jahre, das nach dem Weg zu der nächsten Tuba Uterina fragt.“ Was für Kotchs trocken Humor spricht, und den Zuschauer erheitert, ist für dessen Umwelt nur ein weiteres Zeichen, dass die Zurechnungsfähigkeit des ergrauten Mannes nicht mehr gegeben ist.
Die Schwiegertochter verliert nicht etwa wegen Kotch den Verstand, sondern der alte Mann ist diesem allgemeinen Wahnsinn entkommen. In seiner Inszenierung braucht Jack Lemmon etwas, um den Film in Fahrt zu bringen, innerhalb der ersten Hälfte verliert er sich gerne in seinen Momenten. Doch insgesamt ist KOTCH ein sehr amüsanter Film, der aber nie den Blick für die Tragik in Kotchs Geschichte verliert. Augenblicke, wo Lemmon versucht ausgelassene Komik einzubauen, sind die am wenigsten ansprechenden Szenen. Doch diese Momente kann man vernachlässigen, weil sie sehr rar gestreut sind.
KOTCH wird ohnehin von Walter Matthau getragen. Auch wenn sein Altersmakeup nur allzu deutlich wird, fängt er alles mit seinem Spiel auf. Seine Manierismen, wenn er sich in Erzählungen verliert, wie er Boshaftigkeiten gegen seine Figur übergehen kann, das ist nicht einfach nur exzellentes Schauspiel. Matthau hebt den Film auf die Ebene eines höchst amüsanten Spiegel für seine Generation, der einen gleichzeitig tief im Herzen berührt.
Darsteller: Walter Matthau, Deborah Winters, Charles Aidman, Felicia Farr, Donald & Dean Kowalski, Paul Picerni, Paul Fierro, sowie Ellen Geer u.a.
Regie: Jack Lemmon
Drehbuch: John Paxton
Kamera: Richard H. Kline
Bildschnitt: Ralph E. Winters
Musik: Marvin Hamlisch
Produktionsdesign: Jack Poplin & William Kiernan
USA / 1971
113 Minuten
Bildrechte: ABC PICTURES