THE WOMAN IN THE WINDOW

Woman ITW - Copyright NETFLIXNetflix seit 14.05.2021

Am Vergleich zu Hitchcocks FENSTER ZUM HOF und der Anlehnung des Schicksals der Protagonistin zur Pandemie kam bisher keine Besprechung von WOMAN IN THE WINDOW vorbei. Das kann an dieser Stelle gar nicht anders sein, weil der erste Punkt förmlich danach verlangt, und der zweite Punkt vollkommener Quatsch ist, und das einmal gesagt werden muss. Der zweite Punkt wäre damit schon abgearbeitet, und zum Ersten muss man schlicht sagen, dass die Anlehnung an den Hitchcock Klassiker wirklich gelungen ist. Allerdings war die Romanvorlage für WOMAN IN THE WINDOW von A.J. Finn wesentlich komplexer und vielschichtiger als John Michael Hayes Drehbuch zu FENSTER ZUM HOF. Und der sonst so geschliffene Tracy Lett konnte es nicht wirklich so umsetzen, wie Zuschauer es von den filmischen Adaptionen seiner eigenen Stücke gewohnt sind.

Gleich zu Anfang wird der Vorwurf des Plagiats ad absurdum geführt, wenn im Fernsehen der Showdown von FENSTER ZUM HOF zu sehen ist. Der Fernseher ist der zweitliebste Zeitvertreib von Anna Fox, die wegen einer Angststörung das Haus nicht verlassen kann. Ihre liebster Zeitvertreib allerdings ist die Medikamenten-Behandlung, welche mit viel Wein hinunter gespült wird. Und weil wir als Zuschauer wissen, einen Psycho-Thriller zu sehen, saugen wir auch jedes dieser Details auf.

Anna ist aber nicht die verschüchterte Frau mittleren Alters, die ängstlich und abweisend ihr Leben hinter sich bringt. Sie ist vorsichtig, ja, aber auch aufgeschlossen gegenüber anderen Menschen. Sie kann nur nicht vor ihre Haustür treten. Wenn sie am Fenster ihre Nachbarschaft beobachtet, dann merken wir an ihrem Ausdruck, dass sie nicht neugierig ist oder spioniert. Sie beneidet die Welt dort draußen. Sie möchte auch wieder das, was ihr trotz aller Medikamente und regelmäßiger Besuche ihres Psychiaters verwehrt bleibt.

Lange Zeit ist WOMAN IN THE WINDOW weniger Thriller als vielmehr Psychogramm. Und Amy Adams scheint die Rolle auf den Leib geschrieben. Es ist auch schwer, sich jemanden anderen in dieser Rolle vorzustellen. Jedenfalls nicht in dem Augenblick, wo man Adams beobachtet, wie sie ihre Welt wahrnimmt, wie sie ihr Schicksal mit ihren Möglichkeiten meistert. Oder wie sie im trunkenen Zustand einfach nur den Tag zu Ende bringen will. Dabei fällt sie nie ins Überagieren, neudeutsch Overacting.

Und dann ergeben sich die ersten Ungereimtheiten in ihrem Tagesablauf. Was hat sie wirklich gesehen? Versucht der Nachbarjunge wirklich etwas zu verheimlichen? Die Sache will es, dass der Zuschauer sofort zu kombinieren versucht, wenn Anna beginnt ihre eigene Wahrnehmung zu hinterfragen. Und dann stürzt es auf den wissbegierigen Zuschauer ein. Fast jede Szene hat etwas, dass einem merkwürdig erscheint. Man will diese kleinen Stolpersteine auch, man ist schließlich am sammeln und rätseln. Doch was kommt ist viel. Viel zu viel.

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Testvorführungen vielen Negativ aus, das weiß man. Nachdrehs fanden statt, auch das ist bekannt. Grundsätzlich konnte man aber bisher anhand eines fertigen Film nur selten sagen, ob die Nachbesserungen zum Besseren oder zum Schlechteren waren. Es ist auch irrelevant, weil es nicht den Eindruck verändert, der ein Film schließlich bei einem hinterlässt. Und dieser Eindruck ist bei WOMAN IN THE WINDOW wirklich nicht gut. Wenn falsche Fährten gelegt sind, nur um des Effektes willen, dann haben die Macher das Wesen eines durchdachten Thrillers nicht verstanden.

Als Anna glaubt einen Mord beobachtet zu haben, bricht nicht nur ihre durch die eigenen vier Wände geschützte Welt, sondern auch der Film in sich zusammen. So viele angedeutete Wendungen verlaufen ins Nichts. Hinzu kommen Alkohol induzierte Wahrnehmungsstörungen. Und Regisseur Joe Wright versucht clever zu sein, in dem er nicht nur mit Annas Wahrnehmung spielt, sondern im gleichen Maßen auch mit der des Zuschauers. Das hin und her von Fakten und Täuschungen wird zum reinen Selbstzweck. Umso ernüchternder ist die Auflösung, die kaum noch Interesse weckt. Geschweige denn, dass sie überhaupt interessant wäre.

Womit WOMAN IN THE WINDOW überzeugt, ist eine fabelhafte, weil greifbare Amy Adams, und dem hervorragenden Set-Design. Bruno Delbonnel schafft mit seinen Bildern eine in sich geschlossene Welt, in der sich Anna Fox ihr Leben eingerichtet hat. Die weiten Räumlichkeiten verlieren nie an Attraktivität, weil Delbonnel sich in Einstellungen und Perspektiven kaum wiederholt. Es gibt zwei Szenen, in denen die Kamera die Wohnung verlässt, und das bricht ein wenig mit der Atmosphäre. Aber es gibt auch einige Bilder die FENSTER ZUM HOF nachempfunden sind, und diese zu entdecken macht wieder sehr viel Freude.

Es endet mit einem lächerlichen Finale, dass in keinster Weise irgendwelche Ansprüche erfüllt. Das hat der Zuschauer nicht verdient, und auch nicht das Team, welches einen so vielversprechenden Anfang gespielt und gestaltet hat. Wer sich Zeit nimmt und zurück blickt, wird auf Fragen sitzen bleiben. Raffinierte Thriller funktionieren, wenn der Zuschauer alle Teile für sich sinnvoll und nachvollziehbar zusammenfügen kann. Aber nicht, wenn man ihm einfach nur erzählt und weis machen will, dass alles so gehört und durchaus in Ordnung ist, und trotzdem vieles keinen Sinn ergibt.

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Darsteller: Amy Adams, Wyatt Russell, Gary Oldman, Brian Tyree Henry, Fred Hechinger, Julianne Moore, Jennifer Jason Leigh, Jeanine Serralles, Anthony Mackie, Mariah Bozeman
Regie: Joe Wright
Drehbuch: Tracy Lett
nach dem Roman von A.J. Finn
Kamera: Bruno Delbonnel
Bildschnitt: Valerio Bonelli
Musik: Danny Elfman
Produktionsdesign: Kevin Thompson
USA / 2021
100 Minuten

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