Netflix seit 14.05.2021
Es liegt in der Natur des Pedanten, nach einem Film oder einer Serie wie HALSTON erst einmal einen Fakten-Check folgen zu lassen. Sechs Autoren haben das Buch ‚Simply Halston‘ von Steve Gaines für die filmische Adaption umgesetzt. Aber welche Details nun in welcher Weise interpretiert, überhöht, oder ausgelassen wurde, kann man an der fertigen Serie nicht festmachen. Bei allen guten und fokussierten Biografien, sind Fakten der Kern der Erzählung. Nur die dramaturgische Umsetzung erfordert Kompromisse. Frei nach Richter Roy Bean, vielleicht ist es nicht so geschehen, aber es sollte so geschehen sein. Der Name Roy Halston Frowick soll hier in seiner wahren Länge das letzte mal genannt sein. Vermutung ist, dass er einer ärmlichen und traurigen Kindheit entronnen sein soll. Danach wollte der Lifestyle-Künstler in allen Belangen nur noch Halston genannt werden. Und das ist ein Fakt.
Die meisten Mini-Serien tendieren dazu, mit einem oder sogar zwei Teilen zu lang zu sein. Für gewöhnlich kommt vor den finalen zwei Episoden, eine komplette Folge die weit in der Zeit zurückspringt und Erklärungen präsentiert. HALSTON ist auf knackige fünf Teile umgesetzt. Und tatsächlich, man würde sich eine dieser Erklärepisoden wünschen. Produzent Ryan Murphys neuster Streich, setzt allerdings ganz und allein auf die Exzentrik der Person Halston als bereits anerkannter Künstler. Im weitesten Sinne wie alle Produktionen aus dem Hause Murphy.
Die Grundlage von Halstons Obsession wird mit kurzen Einschüben aus der Kindheit erklärt. Zumindest mit dem Versuch einer Erklärung, denn die Zeit zwischen Kindheit und dem legendären Hut für Jackie Kennedy bleibt unbeleuchtet. Dem Zuschauer wird eine verbindende Identifikation verwehrt. Das ist dramaturgisch sehr hinderlich. Als Beobachter stellt man aber schnell fest, dass so eine Distanz ganz im Sinne des Modisten wäre, der das Prädikat des undurchsichtigen Sonderlings für sein Ego sehr wohl zu nutzen wusste.
Selbstzweifel plagen Halston nur bis zum nächsten Erfolg, wo er wieder zu manischer Arroganz hochläuft. Vom Modisten zum Kleiderdesigner, vom Ausstatter von Fluglinien zum Gestalter von Koffern. Für insgesamt 35 verschiedene Bereiche entwarf er Linien. Natürlich auch mit dem selbst erarbeiteten Duft eines Parfüms. Eine der stärksten Momente in den fünf Teilen, wenn Halston mit Geruchsdesignerin Adele seine eigene Note erkundet. Näher kommt die Serie an den Menschen hinter der schützenden Fassade von Halston nicht heran.
Mit der Umsetzung der heute noch legendären Flakons für die eigene Duftmarke, zeigen die Macher aber auch sehr eindringlich, wie es der Exzentriker mit der Wertschätzung seiner engsten Freunde hielt. Elsa Peretti als eigentliche Designerin der Flakons findet heutzutage durchaus Erwähnung. In der Verfilmung stellt sich allerdings Halston in den Vordergrund, weil er sich als Inspiration für Perettis Genialität versteht.
Sollte Halston im wirklichen Leben eine ähnliche Energie und Ausstrahlung wie Ewan McGregor gehabt haben, erklärt sich, warum niemand aus seinem engsten Kreis mit dem Egomanen gebrochen hat. Die einzelnen Folgen demonstrieren jedenfalls, dass Halston geliebt wurde, trotz seiner rücksichtslosen Egomanie. Ein Nachteil ist, dass Regisseur Daniel Minahan diese Zuneigung nie plausibel nachvollziehbar machen kann. Der Kreis schließt sich mit dem phänomenalen Ewan McGregor, der auch den Zuschauer mit der selben emotionalen Kraft an sich bindet.
In ihrer Dramaturgie erfindet die Verfilmung von HALSTON das Konzept der Biografie nicht neu. Im Gegenteil, der Verlauf ist nur allzu sehr vorhersehbar. Für Leute die mit Halston in den Sechzigern und Siebzigern aufgewachsen sind, müsste der Exot ohnehin noch im Gedächtnis sein. In seiner ungebrochenen Geltungssucht weigert er sich in seiner Schaffenskraft einen Pfeiler zu setzen, eine Marke, mit der er kontinuierlich im Geschäft und mit Namen im Bewusstsein bleibt. Calvin Klein macht dies Ende der Siebziger mit Jeans. Halston glaubt, sich nicht auf dieses Niveau begeben zu müssen.
Beeindruckend ist das begleitende Ensemble von David Pittu, Rebecca Dayan und kaum an Strahlkraft zu überbieten, Krysta Rodriguez als Liza Minelli. Mit ihrer frischen, losgelösten Art, stiehlt sie immer wieder die Szenen. Rodriguez macht für den Zuschauer aus der Illusion ein realistisches Abbild. Wir wiederholen Richter Roy Bean: Vielleicht ist es nicht so geschehen, aber es sollte so geschehen sein.
Halston schneidet in Nebensätzen und -handlungen so viel tatsächliche Ereignisse und Personen an, dass immerzu der Wunsch nach mehr einher geht. Der genial besetzte Rory Culkin als zukünftiger Regisseur Joel Schumacher, ist genauso schnell wieder verschwunden, wie die bezaubernde Vera Farmiga als Duftdesignerin Adele. Minellis ständig wechselnde Ehemänner spielen überhaupt keine Rolle, und das Studio 54 hätte noch viel mehr Zeit vertragen.
Das alles ist Wunschdenken. Vielleicht auch eine Bestätigung, dass es richtig war, die Mini-Serie allein auf Halston sprich Ewan McGregor zu konzipieren. Das er HALSTON mit atemberaubenden Charisma ganz alleine trägt, ist nur eine, wenngleich verdiente Wiederholung.
Aber HALSTON ist nicht das perfekt ausgewogene Ereignis, welches vollends überzeugt, oder als schlüssige Biografie überzeugt. Denn dem Produktionsdesign und der Inszenierung gelingt es nicht, die Einzigartigkeit und die Faszination für Halstons Kreationen zu vermitteln. Dem unbedarften Zuschauer bleibt nur, sich auf überschwängliche Dialoge und Reaktionen zu verlassen. Den Zugang zu den Besonderheiten der verschiedenen Schöpfungen muss man sich selbst erarbeiten. Eigentlich erwartet man das von ausgefallenen Kamerakompositionen, spielerischen Montagen, und musikalischer .
Der Mensch Halston wird uns sehr vertraut, der Künstler Halston ist davon nicht zu trennen. Das wiederholt McGregor als Charakter selbst immer wieder. Leider rückt dabei die Individualität des Schaffens stark in den Hintergrund.
Darsteller: Ewan McGregor, David Pittu, Krysta Rodriguez, Rebecca Dayan, Gian Franco Rodriguez, Bill Pullman, Kelly Bishop, Sullivan Jones u.a.
Regie: Daniel Minahan
nach dem Buch ‚Simply Halston‘ von Steven Gaines
Drehbuch:
Becoming Halston: Ian Brennan, Ryan Murphy, Sharr White
Versailles: Ian Brennan, Ted Malawer
Sweet Smell Of Success: Ian Brennan, Ryan Murphy, Tim Pinckney, Kristina Woo
The Party’s Over: Ian Brennan, Ryan Murphy, Sharr White
Critics: Ian Brennan, Ryan Murphy, Ted Malawer
Kamera: Tim Ives, William Rexer
Bildschnitt: Shelby Siegel, Shelly Westerman
Musik Supervisor: Amanda Krieg Thomas
Produktionsdesign: Mark Ricker
USA / 2021
5 Episoden
235 Minuten