AMAZON PRIME 30.04.2021
DVD Blu-ray 14.05.2021
Man muss unumwunden zugeben, dass Andra Day in ihrem zweiten Kinofilm und der ersten Hauptrolle wirklich beeindruckt, und ihre Darstellung nachhaltig wirkt. Ihr Debut in MARSHALL darf man wegen mangelnder Leinwandzeit durchaus vernachlässigen. Aber als Billie Holiday, da bleibt sie in Erinnerung, daran wird sie sich zukünftig auch messen lassen müssen. In der Reihe von Sängerinnen, die mit ihrer ersten Hauptrolle einen Oscar gewannen, wäre Andra sehr gut aufgehoben gewesen, und das verdient. Julie Andrews 1965 für MARY POPPINS, Barbra Streisand 1969 in FUNNY GIRL, oder Jennifer Hudson 2007 dank DREAMGIRLS. Auch wenn Frances McDormand bei den ‚Oscars‘ ihr Hausrecht beanspruchte, hat sich Days Portrait der legendären Sängerin über viele andere Auszeichnungen als beständig manifestiert.
Die Handlung konzentriert sich auf die Jahre zwischen 1947 bis 1957 als Billie Holiday bereits unter Beobachtung der Bundesbehörde für Betäubungsmittel stand. Johann Charis Buch, das als Vorlage für Suzan-Lori Parks Script diente, konzentriert sich dabei mehr auf die durchaus als persönlich zu bezeichnende Auseinandersetzung zwischen dem Chef der Drogenkommission und der Sängerin, so wie es der Film zumindest darstellt. Eine tiefer gehende Aufarbeitung von Holidays Leben bleibt aus, oder wird nur angedeutet.
Chronisten dürften sich auch mit einer fundierten Biografie schwer tun. Was die Sängerin selbst einem Schreiber diktierte, stellte sich im Nachhinein als teilweise unwahr heraus, oder nicht nachvollziehbar. Was in dieser Zeit geschah, als die Drogenkommission Billie Holiday nachstellte, ließ sich leichter nachverfolgen. Harry Anslinger, Chef und Agent im Außendienst dieser Behörde, die später in die DEA überging, wollte an der erfolgreichen Sängerin ein Exempel statuieren. Ihre 120 Zigaretten und der tägliche Schuss Heroin waren bekannt, nur schaffte es Anslinger mit seinem Gefolge nie, Holiday im Besitz der verbotenen Droge zu erwischen.
In seiner Inszenierung kann sich Lee Daniels nicht wirklich festlegen, worauf eigentlich der Fokus in der Geschichte liegen soll. Holidays berühmt berüchtigte Vertonung des Gedichtes von Abel Meeropol ‚Strange Fruit‘, in dem es in klaren Worten um Lynchmobs an Schwarzen geht, war von den Autoritäten verboten. In einer Szene wird demonstriert, wie zu Beginn der Handlung im Jahr ’47 Polizisten umgehend die Bühne räumen, als Holiday die ersten Worte singt. Immer wieder zieht sich ‚Strange Fruit‘ wie ein roter Faden durch die gesamte Handlung, auch weil er markanter Wegweiser in Billie Holidays Leben war.
‚Strange Fruit‘ beißt sich etwas mit dem Kern des Films, der eigentlich auf den offenen Konflikt zwischen Holiday und Anslinger gerichtet sein sollte. Es wird nicht deutlich, ob der Song als offener Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen tatsächlich mit dem Drogenkonflikt zusammen zu bringen ist. Aber wie in anderen Filmen mit schwarzen Persönlichkeiten, will man auch hier den betitelten Menschen als Vorreiter, oder Stifter der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ins Bewusstsein bringen. Das ist sicherlich angebracht und würdig, aber grundsätzlich macht Lee Daniels Biografie den Eindruck, als hätte er keine wirkliche Linie. Darunter leidet die emotionale Gewichtung, die der Zuschauer aufbauen sollte.
Es ist erstaunlich, wie man wie mit einem relativ bescheidenen Budget, einen optisch derart aufwendigen Film machen kann. Das Design- und Ausstattungsteam um Daniel T. Dorrance hat hier bemerkenswertes geleistet, und ein tadelloses wie stimmiges Zeitkolorit geschaffen, dass weniger durch Bombast als im Detail die richtige Atmosphäre erzeugt.
Für die richtige Stimmung und angedachte Atmosphäre sorgt auch, oder in erster Linie, Andra Day. Sie spielt sich als Holiday förmlich die Seele aus dem Leib, was auch merklichen Eindruck hinterlässt. Mit dem Nachteil, Andra Day spielt keinen sympathischen Charakter. Ihre Billie Holiday ist beeindruckend intensiv, aber die Schauspielführung von Lee Daniels gibt ihr keinen Moment, um ehrliches Verständnis zu wecken. Sie ist kalt, selbstgerecht und ohne Anstand. Ob Holiday nun ‚Strange Fruit‘ trotz angekündigter Gegenmaßnahmen singt, weil sie es für eine moralische Dringlichkeit hält, oder nur um ihr Ego zu befriedigen, beantwortet der Film nicht befriedigend.
Es ist ein grundsätzliches Problem in diesem Film, das die Motivationen aller Figuren nur sehr dürftig beschrieben sind. So wie auch Anslingers Bemühungen, der Zeit seines Lebens wirklich einen konsequenten Kampf gegen Drogen führte. Daniels lässt in seiner Inszenierung aber leicht den Glauben aufkommen, Harry Anslinger würde lediglich eine persönliche Fehde gegen Holiday im Sinn haben. Inwieweit ‚Strange Fruit‘ tatsächlich Auslöser für die penetranten Attacken des Bundesbeamten war, oder der Song nur als kleines Rädchen das Getriebe des Rassismus anschob, wird nicht wirklich nachvollziehbar.
Auch Garrett Hedlund spielt seine Rolle als Drogenbekämpfer mit präziser Eiseskälte die überzeugt. Doch viel Spielraum wird ihm auch nicht gegeben, was die Sympathien sehr einseitig ausfallen lässt. Etwas mehr differenzierte Facetten hätte alle Charakteren gut getan, und den Film damit wesentlich vielschichtiger gemacht. Holiday ist nur die Gute, weil es die Grundidee so vorgibt, nicht wegen ihrer Zeichnung. So wird auch Anslinger zum reinen Bösen, weil er zum Establishment gehört, und Lee Daniels das auch so verkaufen möchte.
Es wäre noch sehr viel Luft gewesen, diese wahre Geschichte viel intensiver zu erzählen, und sie vor allem besser in den zeitlichen Kontext zu setzen, oder den Figuren auch charakterliche Schwächen zu zugestehen. Viele interessante und spannende Aspekte werden angeschnitten, sind auch bewegend und beeindruckend inszeniert, was Lust auf mehr macht. Rassismus ist natürlich eingebunden und thematisiert, aber nie konkretisiert, und der gesellschaftliche Einfluss von Billie Holiday nur vage angerissen. UNITED STATES vs BILLIE HOLIDAY ist ein Film der immer wieder beeindruckt, aber gerade dadurch zeigt, wo seine Schwächen liegen.
Darsteller: Andra Day, Garrett Hedlund, Trevante Rhodes, Leslie Jordan, Miss Lawrence, Adriane Lenox und Natasha Lyonne u.a.
Regie: Lee Daniels
Drehbuch: Suzan-Lori Parks
nach ‚Chasing The Scream‘ von Johann Hari
Kamera: Andrew Dunn
Bildschnitt: Jay Rabinowitz
Musik: Kris Bowers
Produktionsdesign: Daniel T. Dorrance
USA / 2021
130 Minuten