ARTE Mediathek
Oscar Short
Vielleicht hat der Vollzugsbeamte Richard etwas anderes erwartet, als er ins Büro der Gefängnisleitung gerufen wird. Vom einfachen Wärter in den Kommunikationsbereich, dafür ist Richard bereit. Er ist sowas von bereit. Und dann ist es ein karges Zimmer, mit einem Computer und einem Tisch auf dem die eingehende Post für Insassen auf unliebsame Schmuggelware geprüft wird. Richard hat tatsächlich etwas anderes erwartet. Doch nach einem heftiger Seufzer, ist er auch für diese Aufgabe bereit. Aber sowas von bereit.
Für einen Oscar nominierte Kurzfilme werden meist deswegen nominiert, weil sie eine schwere Last an Botschaft und moralischen Anspruch vor sich hertragen. Es wäre gelogen, wenn Elvira Linds Film solche Kriterien nicht in irgendeiner Form erfüllen würde. Irgendwie. Doch was THE LETTER ROOM klar und weit von den herkömmlichen Filmen in dieser Kategorie abhebt, ist seine unaufdringliche Menschlichkeit. Und dies alles, ohne weichgespült zu sein oder trivial werden zu müssen.
Die Kamera von Sam Chase beginnt im leicht dokumentarisch wirkenden Stil, mit leicht angegrauten entsättigten Bildern. Dankenswerterweise verzichtet er aber auf das exzessive Geruckel und Verlieren des Motives aus der Kadrierung, was leider in zu vielen Filmen als Authentizität zelebrierte wird. Doch es gibt diese intensiveren, eindringlicheren Momente, wenn Richard über seine Arbeit sinniert, oder er versucht eben durch die Arbeit Einfluss auf seine Umwelt zu nehmen. Dann setzt Chase die Bilder in feste, konzentrierte Einstellungen, die sich mit kräftigen Farben suggestiv, aber charmant an die Empfindungen des Zuschauers anschmeicheln.
Elvira Lind, ganz zufällig auch verheiratet mit dem Hauptdarsteller, erzählt nicht vom großartigen Schicksal, nicht vom Weltschmerz, oder mit aufgeblasenen Pathos. Es sind die kleinen und unauffälligen Dinge im Leben, aber elementare Züge im Miteinander und was Menschen definiert. Und Oscar Issac ist dafür genau richtig besetzt. Mit Schnauzer und unrasiertem Kinn, mit ungebändigten Schopf und der Neigung Essensreste im Gesicht zu haben, zeigt er sich optisch absolut entgegen seines Star-Typus. Aber Issac ist auch genau in dieser falschen Erwartungshaltung inszeniert, wo das Äußerliche bewusst über den ‚Helden im Geiste‘ hinwegtäuscht.
Doch dabei darf das gesamte Ensemble an Nebendarstellern nicht in den Hintergrund gedrängt werden, die für ihre Rollen wie geboren wirken. In jeder dieser Figuren erkennen wir jemanden, den man auch im wirklichen Leben kennt.
Es ist ein leiser, unverfänglicher Film der einfach Spaß macht, den man durch und durch genießen kann. Und mit einer eleganten Wendung wird THE LETTER ROOM am Ende dann noch aufgebrochen, und entzieht sich dem Verdacht Elvira Lind wollte am Ende doch nur bedeutungsloses Gutmenschentum feiern. Was auch nur kontraproduktiv gewesen wäre. Hängen bleibt das Bedürfnis, noch weiter in Richards Welt einzutauchen.
Darsteller: Oscar Isaac, Alia Shawkat, Brian Petsos, Eileen Galindo, Tony Gillan, Michael Hernandez u.a.
Regie & Drehbuch: Elvira Lind
Kamera: Sam Chase
Bildschnitt: Adam Nielsen
Musik: Paulo Stagnaro
Produktionsdesign: Sharon Lomofsky
USA / 2020
33 Minuten
Pingback: Kino: Der Briefwechsel (The Letter Room) am 20. November