2 GIRLS ON DIFFERENT TRAINS

Girl On Train 1 - Copyright NETFLIXTHE GIRL ON THE TRAIN
NETFLIX – 26.02.2021

GIRL ON THE TRAIN -Original
Bundesstart – 27.10.2016

Jeden Tag fährt eine junge Frau um die selbe Zeit, die selbe Bahnstrecke. Sie ist traurig, scheinbar einsam. Auf dieser Fahrt hat es ihr ein Haus besonders angetan. Sie nennt es ihr Lieblingshaus, ab und zu sieht sie die jungen Besitzer, mal bei der Gartenarbeit, oder verschmust auf dem Balkon, auch mal am abendlichen Lagerfeuer. Es entsteht eine einseitige, aber emotionale Bindung. Für die junge Frau im Zug ist es wie ein Zufluchtsort, ein Traumgespinst. Diese scheinbar glückliche Beziehung, etwas das sie offensichtlich im eigenen Leben vermisst. Doch unvermittelt wird dieses Gefüge von heiler Welt und Wunschvorstellung auseinander gerissen. Was die junge Frau sehen muss, darf nicht sein, es zerstört ihr perfektes Bild eines ihr verwehrten Idylls. Und es zieht eine Kette von schrecklichen Verstrickungen nach sich. Denen allerdings auch leidenschaftliche Ereignissen voraus gehen.

THE GIRL ON THE TRAIN ist ein cleverer Mix, der sich als anfängliches Drama zum mysteriösen Krimi entwickelt, um sich am Ende als packender Psychothriller zu präsentieren. Ganz getreu der literarischen Vorlage von Paula Hawkins, ist die filmische Adaption einer der wenigen Spannungsfilme, die das Genre geschickt auf den Kopf stellen. Mit gleich drei weiblichen Hauptrollen, richtet er sich auch thematisch an ein weibliches Publikum. Ohne allerdings die männlichen Zuschauer zu kurz kommen zu lassen.

Soweit ist natürlich die Rede von Tate Taylors 2016 veröffentlichten THE GIRL ON THE TRAIN. In dem durfte Emily Blunt die Alkohol süchtige, desillusionierte Rachel spielen die jeden Tag den Zug nimmt. Vier Jahre später heißt sie Mira Kapoor und wird von Parineeti Chopra gespielt. Netflix als maßgeblicher Produzent, hatte ein Bollywood-Remake angekündigt, und so ist tatsächlich weitgehend alles auf indisch getrimmt.

Das diese Filmversion dann auch noch mit einer Bollywood üblichen Gesangs- und Tanznummer beginnt, verwundert dann nicht. Es wirkt in Anbetracht der Geschichte und des Genres nur sehr verwunderlich, um nicht zu sagen daneben. Was im indischen Kino durchaus legitim und traditionell sein mag, wirkt in der westlich geprägten Filmlandschaft dann weniger ansprechend. Als internationale Plattform will Netflix natürlich länderspezifische Produktionen fördern und präsentieren, aber bei Mord und Thriller-Atmosphäre können wehende, bunte Gewänder und aufgeladener Gesang doch wenig Verständnis erwarten.

Ist man als geneigter Zuschauer noch in der Lage dies wohlwollend als Zugeständnis abzutun, wird es mit dem eigentlichen Rest des Filmes ungemein schwerer. Bei einem Remake nur vier Jahre nach dem Original, können eigentlich nur neue Perspektiven und differenzierte Interpretationen diese Neuauflage rechtfertigen. Regisseur Ribhu Dasgupta hat da mit Co-Autor Viddesh Malandkar einiges an Veränderungen vorgenommen, aber rechtfertigen können sie damit wenig.

Die Originalgeschichte verbindet drei Frauenschicksale auf dramatische und sehr unglückliche Weise miteinander. Was anfänglich wie ein klarer Krimi beginnt, entfaltet nach und nach die einzelnen Hintergründe der Protagonistinnen und ihre Verflechtungen untereinander. Diese verstrickten Beziehungen sind die eigentliche Basis für dasThriller-Element. Dasgupta und Malandkar haben erst einmal einen dieser Charaktere komplett eliminiert und andere im Einfluss stark beschnitten.

Girl On Train 3 - Copyright NETFLIX

Die Handlung ist sehr viel geradliniger umgesetzt. Alles in allem gehen dabei einige elementare Aha-Effekte der Geschichte verloren. Im Original war am Anfang die Frau im Zug so offensichtlich als Täterin beschrieben, dass man als Zuschauer sofort erahnen musste, sie konnte es nicht sein. Erst nach und nach, als sich diverse Offenbarungen zu komplexeren Bildern formten, wurde wieder alles möglich. Dieses raffinierte Muster verwehrt sich THE GIRL ON THE TRAIN in der indischen Version. Warum auch immer, macht es doch den eigentlichen, tieferen Kern der Geschichte aus.

Eigentlich geht es um Abhängigkeit, Missbrauch und Depression, sehr feinfühlig über die drei Frauenrollen skizziert. Ribhu Dasgupta will dies alles in einer Figur vereinen, dass gelingt nur im gut gemeinten Ansatz. Dafür dies glaubwürdig und dramatisch zu transportieren, fehlt Parineeti Chopra als Mira Kapoor nicht nur das Charisma, sondern auch das notwendige Talent. Zudem wird bereits in der Musikeinlage zu Beginn das Rollenverhältnis von Mann und Frau klar beschrieben. Was nicht nur zusätzlich verwirrt, sondern entgegen der aufsteigenden Spannung des Romans steht.

Genauso wenig ist nachvollziehbar, warum man die eigentlich indische Variante in London spielen lässt, dem Handlungsort in der Romanvorlage, und dennoch auf englischstämmige Figuren weitgehend verzichtet. Die Atmosphäre wird auch nicht besser, wenn Charaktere innerhalb geschlossener Dialoge von Englisch in Hindi wechseln, oder umgekehrt. Das Kameramann Trubhuvan Babu Sadineni auch noch verschiedene Einstellungen und Motive eins zu eins aus der Filmvorlage kopiert, macht das gesamte Rätsel um die Notwendigkeit einer Neuauflage nur noch kryptischer.

Wenigstens für einen gelungenen humoristischen Beitrag ist gesorgt, wenn Mira Kapoor die Hälfte des Filmes mit einer unbehandelten offenen Wunde am Kopf herumläuft. Im direkten Gegenüber nehmen die ermittelnden Polizeibeamten keine Notiz davon, geraden aber in helle Aufregung, wenn sie die Wunde viel später auf einem Überwachungsvideo entdecken.

Wahrscheinlich als extravagant künstlerische Abgrenzung und zugleich Rechtfertigung, haben sich die zwei Autoren eine zusätzliches Gimmick einfallen lassen. Ist die ohnehin sehr unbefriedigend umgesetzte Geschichte beendet, wartet die Inszenierung mit einer unvorhergesehenen Überraschung auf, die sich offensichtlich als explosive Wendung verstanden wissen will. Diese funktioniert schon aus zweierlei Hinsicht nicht. Ab diesem Zeitpunkt ist es dem Zuschauer einfach nur noch egal. Und zudem macht dieses erweiterte Ende überhaupt keinen Sinn, weder inhaltlich noch spannungstechnisch.

Ribhu Dasgupta hat einen Film gemacht, der nur Wasser auf die Mühlen derjenigen gibt, die Remakes und Neuinterpretationen für überflüssig und falsch halten. Und einem unvoreingenommenen Publikum gibt er nicht einmal Diskussionsgrundlage.

Girl On Train 2 - Copyright NETFLIX

 

Darsteller: Parineeti Chopra, Aditi Rao Hydari, Kirti Kulhari, Avinash Tiwary, Tota Roy Chowdhury, Nisha Aailya u.a.
Regie: Ribhu Dasgupta
Drehbuch: Ribhu Dasgupta, Viddesh Malandkar
Dialoge: Gaurav Shukla, Abhijeet Khuman
Nach dem Roman von Paula Hawkins
Kamera: Tribhuvan Babu Sadineni
Bildschnitt: Sangeeth Varghese
Musik: Gilad Benamram, Chandan Saxena
Songs: Sunny and Inder Bawra, Vipin Patwa
Produktionsdesign: Sunil Nigvekar
Indien/ 2021
120 Minuten

Bildrechte: NETFLIX

Girl On The Train 3 - Copyright UNIVERSAL STUDIOSDarsteller: Emily Blunt, Haley Bennett, Rebecca Ferguson, Justin Theroux, Édgar Ramírez, Luke Evans, Allison Janney u.a.
Regie: Tate Taylor
Drehbuch: Erin Cressida Wilson
nach dem Roman von Paula Hawkins
Kamera: Charlotte Bruus Christensen
Bildschnitt: Michael McCusker, Andrew Buckland
Musik: Danny Elfman
Produktionsdesign: Kevin Thompson
USA / 2016
112 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL STUDIOS

 

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