I CARE A LOT

NETFI Care A Lot 1 - Copyright NETFLIXLIX 19.02.2021

Wichtig ist zuerst, dass man sich gedanklich von der deutschen Gesetzeslage über gerichtlich angeordnete Vormundschaften verabschiedet. Erst dann entfalten die ersten 10 Minuten von I CARE A LOT ihre volle emotionale Wucht. Und es gehört nicht viel dazu herauszufinden, dass davon nichts für eine filmische Dramatisierung überzeichnet wurde. Weitere 10 Minuten später hat einen der bisherige Verlauf der Handlung, um es sehr milde auszudrücken, sehr wütend gemacht. Marla Grayson gibt mit selbstgerechter Arroganz vor, dem Staat einen Gefallen zu tun, wenn sie sich um für unmündig erklärte Menschen kümmert. Gleichzeitig erklärt sie dem Zuschauer, sich geschworen zu haben verdammt reich zu werden. Rosamund Pike kann das, sie kann das mit hassenswerter Perfektion, dem Richter ihre wohlwollende Unterstützung zusagen, und im selben Moment der Kamera und dem Zuschauer zu verstehen geben, dass es ein weiterer Schritt zu einem selbst prophezeiten Vermögen ist.

Das Lebensmotto von Marla Grayson lautet, dass Fairplay nur ein erfundener Witz von Reichen ist, um alle anderen arm zu halten. Regisseur und Autor J Blakeson hat für den Anfang seiner Erzählung ein tadelloses Gespür, um Stimmung und Atmosphäre zu erzeugen. Er lässt bei seiner Protagonistin erst gar nicht den Verdacht aufkommen als würde sie fair spielen wollen. In perfekt sich ergänzenden Schnittfolgen und mit einer überaus dynamischen Kamera wird das System erklärt. Eigentlich alle System, und wie ineinandergreifen.

Ein Arzt erklärt einen hauptsächlich älteren Patienten wegen geistiger oder körperlicher Beeinträchtigungen in eigenen Belangen für nicht mehr handlungsfähig. Das Gericht bestellt daraufhin einen Vormund als gesetzlich Bevollmächtigten. Im Film passiert dann, was nicht für dessen Spannungsbogen erfunden werden musste, sondern sich auf reale Vorkommnisse und Gepflogenheiten stützt.

Das J Blakeson eine schwarze Komödie im Sinn hatte, macht er mit bösem und rücksichtslosem Eifer klar. Nur stellt sich der Film dem eigenen Konzept selbst in den Weg. Wenn Marla Grayson als gesetzlich bestimmter Vormund mit überheblicher Gleichgültigkeit ahnungslose Menschen mit Polizeiunterstützung einweisen lässt und sich deren Hab und Gut unter den Nagel reißt, dann ist vom schwarzen Humor der Humor schnell verflogen.

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Den Effekt, den der Filmemacher erreichen will, den erreicht er mit einer in der Rolle vollkommen aufgehenden Rosamund Pike. Ihr gesamter körperlicher Ausdruck und die unfassbar beherrschte Mimik werden zum Sinnbild einer verrohten Struktur, welche vorgibt Sorge zu tragen, aber kriminelle Absichten legitimiert. Pike wird mit Grayson zu einer verhassten Figur, und J Blakeson kann oder will auch nichts daran ändern.

Die aktuelle ‚Kirsche‘, das sind ältere und betuchte Menschen ohne irgend einen Verwandten oder bekannte Freunde, wird für Marla Grayson zum Problem. Es wird der Gegenpart, den der Zuschauer benötigt, um einen befriedigenden Abstand zum eigenen Gefühl der Ohnmacht zu bekommen. Diese Befriedigung bleibt allerdings aus, die Handlung schafft einfach keine Distanz zu der Unmöglichkeit, welche die Figur Grayson darstellt, und mit ihr die verbundenen Handlangern. Ein involvierter Heimleiter, oder einer beteiligte Ärztin. Es ist fast schon erschreckend, welch Genugtuung man beim Ableben einer dieser Personen verspürt. Es hat etwas befreiendes, weil es der Film auf anderer Ebene nicht erreicht.

Letztendlich zerfällt aber I CARE A LOT wegen seines zentralen Handlungsstranges, was in einem glücklosen Versuch endet, dem verhassten Treiben etwas ebenso zynisches und abgrundtief Unmoralisches entgegen zu setzen. Der von Peter Dinklage verkörperte Verbrecher agiert mit der gleichen Kaltschnäuzigkeit wie Marla Grayson. Zwei unsympathische Figuren, die sich gegenseitig aufheben, anstatt als Katharsis zu funktionieren.

Wäre J Blakesons Geschichte genauso konsequent wie die Inszenierung seiner Figuren, hätte der Film ein rasches Ende erreicht. Aber vor dieser Konsequenz drückt sich die Handlung, und lässt seine verbitterten Feinde mit unbefriedigenden Ausflüchten und unglaubwürdigen Settings keine logische Auflösung finden. Was der Film im Einstieg an emotionaler Energie aufgebaut hat, macht er mit der Wandlung zum vermeintlichen Psycho-Thriller zunichte.

Aus der bitterbösen Satire wird ein zynisches Spektakel, dass sein eigentliches Anliegen ablegt, sobald dieses den Zuschauer erreicht hat. Die einzige Konsequenz die bleibt, ist die unerschütterliche Überheblichkeit seiner Figuren. Das diese nicht einmal im Ansatz einen Wandel in ihrem Gewissen erkennen lassen, erfüllt einen nach und nach mit Resignation. Und dann wird aus dem zynischen Spektakel nur eine Abfolge von konstruierten Wendungen, bei denen der Löwin alle Zähne gezogen wurden. Das Ende ist dann nicht der angedachte Paukenschlag, sondern nur die Bestätigung eines absehbaren Finales.

I Care A Lot 2 - Copyright NETFLIX

 

Darsteller: Rosamund Pike, Peter Dinklage, Eiza González, Dianne Wiest, Chris Messina, Isiah Whitlock Jr. u.a.
Regie & Drehbuch: J Blakson
Kamera: Doug Emmett
Bildschnitt: Mark Eckersley
Musik: Marc Canham
Produktionsdesign: Michael Grasley
Großbritannien / 2020
118 Minuten

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