… oder: Die große Clooney-Show
Als Alexander Sokurov seinen Goldenen Löwen entgegennahm, war George Clooney bereits in Toronto. George Clooney hat keinen Preis für einen seiner zwei Filme bei den Filmfestspielen in Venedig gewonnen. Sokurov hingegen den Goldenen Löwen für „Faust“, seine Version eines bekannten deutschen Stückes. Interessieren wirklich die weiteren Gewinner von Venedig? Interessiert tatsächlich der Gewinner des Goldenen Löwen Alexander Sokurov? George Clooney war der große Schatten, als Madonna mit ihrer Wallis Simpson Biografie „W.E.“ katastrophal scheiterte. Eigentlich eine schöne Schlagzeile wert, wäre eben George nicht gewesen.
Wer immer diesen Publicity-Stunt tatsächlich inszenierte, sollte auch Preise bekommen. Oder war alles nur ein irrwitziger Zufall? George Clooney hält 2011 zwei Filme für sein Publikum parat. Einer nennt sich „Die Iden des März“ und wird den Interessierten vorläufig ab dem 22.12.2011 zur Verfügung stehen, wahrscheinlich unter einem vollkommen anderen, dafür idiotischen Titel. Und dann ist da „The Descendants“, der im Januar anlaufen wird und auch noch keinen deutschen Verleihtitel hat, aber auch da werden sie uns bestimmt nicht enttäuschen. Die Ironie sah vor, dass der von Kritikern wesentlich besser aufgenommene Film „The Descendants“ außer Konkurrenz lief.
„Descendants“ konnte keinen Preis gewinnen, und „Ides of March“ war dazu vielleicht nicht gut genug. Schon gut, aber nicht gut genug. Und bei diesem ganzen Hin und Her muss die ganz einfache Frage gestellt werden: Hat George Clooneys reine Anwesenheit auf dem Lido nicht sowieso alles relevant gemacht? Hat es. Er kam, strahlte und siegte. Mit den Filmfestspielen in Venedig begann der ganze Festivals-Zirkus. Es folgen Telluride, Toronto und so weiter, und so weiter. Das bunte Werben um die artistisch und intellektuell anspruchsvollsten Kinofilme des Jahres 2011 hatte begonnen. Bei diesen Festivals laufen die Filme, die im Blockbuster-Sommer-Programm kaum eine Chance haben, durch eine aufwendige und aggressive Berichterstattung aber genug Aufmerksamkeit entwickeln können, um während der Saison der Preisverleihungen wahrgenommen zu werden.
Ob BAFTA, Golden Globe oder der Academy Award. Wer hier Aufmerksamkeit erregt, wer hier eine Nominierung ergattert, der lockt auch Publikum ins Kino. Mit einem politischen Drama wie „Ides of March“ oder einer Familien-Zusammenführung wie „The Descendants“ lockt man nicht wirklich das zahlungskräftige Publikum. Wenn man im Vorfeld allerdings genug in den Schlagzeilen war, weil man sehr viel Aufmerksamkeit in Venedig, Telluride, oder Toronto erregte, dann ist der entsprechende Film auf einem guten Weg. Selbstverständlich ist das alles von den produzierenden Studios her sehr manipulativ, genauso wie von der schreibenden Kritiker-Zunft. Doch man darf sich nicht über die scheinbare Manipulation der Gunst des Publikums stören. Denn es ist unbestritten, dass diese scheinbare Manipulation einem unbedarften Publikum Filme näherbringen kann, welche dieses sonst überhaupt nicht wahrgenommen hätte.
George Clooney ist, wenn man Frauenstimmen glauben darf, ein ungeheuer attraktiver Mann. George Clooney ist der aufreizend lächelnde Lebemann, zumindest in vielen seiner Filme. George Clooney ist aber auch der Mann, der zwischen zwei unbeschwerten „Oceans“-Filmen ein Hirn-Stück wie „Solaris“ ins Kino brachte. George Clooney verfügt bei Auftritten, Werbefilmchen oder als Darsteller über so viel Charisma, dass schnell vergessen wird, dass „Michal Clayton“, „Up in the air“ und „The American“ ganz weit weg vom Mainstream und alles, nur keine Publikumsmagneten waren.
George Clooney ist derart positiv in der Öffentlichkeit verankert, dass seine schleichende Wandlung zum Mann mit politischer Motivation unreflektiert hingenommen wurde. Doch „Good night, and good luck“ und „Syriana“ spielten nicht wirklich eine Rolle, um seine Person einmal zwar nicht kritisch, aber dafür differenzierter zu betrachten. George Clooney wird in der Öffentlichkeit ein sehr akzeptierter Mann bleiben, seinen filmischen Ambitionen kommt das sehr entgegen. „Ides of March“ oder „Descendantes“ sind Filme, die allein durch die Mitwirkung des Herren Clooney ein Vielfaches mehr Aufmerksamkeit erhalten. Allerdings verdienen sie diese Aufmerksamkeit auch. Und da ist der unlautere Wettbewerb mit dem hintersinnig lächelnden Werbeträger Clooney allemal recht.
Venedig ist das älteste Filmfestival der Welt. Das weiß kaum jemand, und genauso weiß kaum jemand, dass es auf der Kippe steht, weitergeführt zu werden. Der langjährige Leiter Marco Müller ist dieses Jahr das letzte Mal am Start gewesen, und wegen nicht näher zu beschreibender politischer Aspekte möchte die italienische Regierung keine Verlängerung für Marco Müller in Venedig, dafür seinen Einstieg ins konkurrierende Festival von Rom. Das sind sehr dramatische Nachrichten, wenn man weiß, dass sich das Filmfest nur mit Subventionsgeldern halten kann und diese Gelder mit dem Weggang von Marco Müller ebenfalls wegfallen sollen. Doch dafür hat die Öffentlichkeit kein Ohr oder Auge. Denn George Clooney war am Lido.
Er kam, strahlte und siegte. Während Madonna gnadenlos floppte und Glenn Close sich in einer neuen, aufsehenerregenden Rolle präsentierte, war er allgegenwärtiger als alle anderen. Er weiß, was er seinen Filmen schuldig ist, weil er weiß, dass sie kaum eine Chance auf das ganz große Publikum haben. Dafür ist es auch nicht wichtig, dass „Iden des März“ keinen Preis bekam und „Descendants“ außer Konkurrenz lief. Sie wurden zur Kenntnis genommen, und die Chance auf ein größeres Publikum ist ebenfalls größer geworden. Und unermüdlich taucht er dann werbend und winkend in Telluride auf, verschüchtert andere Festival-Teilnehmer, weil die um Georges wirksame Auftritte in Venedig wussten. Und ehe die Journalistenscharen berichten können, steht Herr Clooney schon lächelnd auf dem Toronto International Film Fest, zeigt sich von seiner charmantesten Seite, gibt gerne Autogramme, beantwortet selbst lästigste Fragen.
Der Festival-Zirkus ist im vollen Gange. Hier werden Oscar-Anwärter geboren oder erkoren. Im Business ist es für die Kleinen das Größte. Viele tolle Momente geschehen dort. Aufregende, beeindruckende Filme werden gezeigt, auf die man sich freuen darf, die man unbedingt gesehen haben sollte. Ob Venedig, Telluride, Toronto oder wo sie eben stattfinden, alle haben sie bisher ihre eigene Magie versprüht, haben etwas Besonderes gehabt. Aber sie hatten eben auch George Clooney, der über jede noch so magische Besonderheit einen leichten Schatten warf. Oder weiß jemand, dass Michael Fassbender in Venedig als bester Schauspieler für seine Rolle in „Shame“ ausgezeichnet wurde? Interessiert das überhaupt jemanden? Egal, „Shame“ ist jedenfalls auch ein Film, auf den man sich freuen darf, den man unbedingt gesehen haben sollte. Und natürlich die anderen zwei, die mit dem Clooney.