PIECES OF A WOMAN

Pieces Of A Woman 1 - Copyright NETFLIXNetflix ab 07.01.2021
PIECES OF A WOMAN

Wir wissen, dass die Filmautoren Kata Wéber und Kornél Mundruczó ihre persönliche Krise vielleicht nicht überwunden haben, ihre Beziehung aber retten konnten. Es heißt aus unterschiedlichen Quellen, fünfzig Prozent der Partnerschaften würden nach dem Verlust eines Kindes auseinander brechen. Wéber und Mundruczó als Filmemacher wie privat ein Paar, gehen auf ihr persönliches Schicksal nicht sehr genau ein. Letzten Endes ist es auch irrelevant. Auf alle Fälle schien es unabänderlich, dies filmisch zu verarbeiten. Nach 126 Minuten fiktiven PIECES OF A WOMAN, mag man sich die realen Umstände gar nicht ausmalen müssen. Hier heißen sie Martha und Sean, die mit einer Geburtshelferin zuhause sehr gefasst, gut vorbereitet und fast analytisch die ersten Wehen durchleben. 30 Minuten später hat man als Beobachter die schmerzhaftesten 30 Minuten der jüngsten Filmgeschichte durchgemacht.

Spoiler-Warnung sollte unnötig sein, denn es wäre geradezu absurd, nicht zu wissen was in PIECES OF A WOMAN geschehen würde. Und gerade das macht den Film und seine jetzt schon ikonische Anfangssequenz so schwer zu ertragen. Es ist kein ausgeklügeltes Slasher-Szenario oder überzogener Terror-Thriller. Martha und Sean sind ein Team, sie sind eingespielt, sie haben alles im Griff, und was sie zu Recht erhoffen passiert gerade tausendfach auf der ganzen Welt.

Die Filmemacher, offiziell aufgeteilt in Mundruczó für Regie und Wéber am Drehbuch, behalten den Protagonisten vor, was der Beobachter längst weiß. Und genau das macht es so unerträglich. Auf eine seltsame Art allerdings, gewinnt man dadurch einen ganz anderen Bezug zum weiteren Verlauf der Geschichte. Das Psychogram beginnt nach diesem Prolog, wie man ihm im Sinne des dramaturgischen Aufbaues nennen muss. Der Verlust verändert das Paar, und beeinflusst deren gesamtes Umfeld.

Die ersten dreißig Minuten bestechen durch die filmtechnische Umsetzung und manipulativ einbindende Erzählweise, die in einer einzigen Einstellung gedreht wurde. Anschließend löst sich der Film weitgehend von allen konventionellen Restriktionen. Die Autoren möchten keine Stellung mehr beziehen, sondern den Zuschauer frei in seiner emotionalen Entscheidung wissen. Jede der Figuren fühlt sich um sein Glück betrogen, fühlt sich allein gelassen. Wo man sich braucht, ist man allein gelassen.

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Im Zentrum selbstredend Martha, aber auch Sean, oder ihre Mutter. Langsam aber unabänderlich triften sie auseinander. Wéber und Mundruczós nüchterne und reale Sicht auf die Dinge verweigert eine klare Stellungnahme. Es ist eine unstete Phase die egoistische Verzweiflung genauso verständlich macht, wie das emotionale Unvermögen zum Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit.

Es steht immer im Vordergrund, was man selbst tun würde, wie man reagieren sollte. Aber als Zuschauer kommt man in der Konfrontation mit diesen Fragen selbst nicht weiter. Das unausweichliche an dieser Geschichte ist das immer wiederkehrende Verlangen, Stellung beziehen zu wollen. Doch man wird für sich keine moralische Basis finden, was die scheinbare Irrationalität der Charaktere nur noch nachvollziehbarer macht.

Das PIECES OF A WOMAN auf seinem beschwerlichen Weg auch immer wieder einmal in die Klischee-Falle tappt, ist fast schon verständlich. Das fängt mit den auffallenden Sinnbildern wie den keimenden Apfelkernen an, und macht dann auch einmal vor unnötigen Affären nicht halt. Was im Sinne der ohnehin nicht zentrierten Dramaturgie sogar begrüßt werden darf, um die Psychologie der Figuren für den Zuschauer wenigstens in einem gewissen Grad zu leiten.

Nur in den letzten zwanzig Minuten kippt die Erzählung in ein absonderliches Versatzstück, das weder dem allgemeinen Ton, noch der bisherigen Konsequenz gerecht wird. Auch wenn die Geburtshelferin eine signifikante Rolle im Geschehen einnimmt, verwundert der inszenatorische Umgang mit ihrem Charakter. Dass die Macher gerade in den letzten Minuten unbedingt auf ein überholtes Stilmittel von Schuld und Sühne zurück gegriffen haben, war unnötig und generiert nur den Anschein auf die Möglichkeit eines versöhnlichen Endes.

Wie man PIECES OF A WOMAN auch drehen und wenden will, bleibt es ein enorm fesselnder Film. Allein mit seinen drei herausragenden Hauptdarstellern, Kirby, LaBeouf und Burstyn, gewinnt die ohnehin schon schonungslos offene Geschichte eine unglaubliche Intensität. Flankiert von den exzellenten Namen Shlesinger, Parker, Snook und Safdie, die als glaubwürdige und festigende Stützen dem Kern von Geschichte und Aussage mehr Gehalt geben. Leichter wird der Film dadurch nicht, einfacher erst recht nicht. Aber er ist eine seltene und sehenswerte Erfahrung.

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Darsteller: Vanessa Kirby, Shia LaBeouf, Ellen Burstyn, Iliza Shlesinger, Molly Parker, Sarah Snook, Benny Safdie u.a.
Regie: Kornél Mundruczó
Drehbuch: Kata Wéber
Kamera: Benjamin Loeb
Bildschnitt: David Jancso
Musik: Howard Shore
Produktionsdesign: Sylvain Lemaitre
Kanada – Ungarn – USA / 2020
126 Minuten

Bildrechte: NETFLIX
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