Netflix – MANK

Mank 1 - Copyright NETFLIXMANK
– Netflix – 04.12.2020

Um was es gehen würde, hatte man David Fincher gefragt. Schließlich sind seit seinem letzten Spielfilm sechs Jahre vergangen. Allerdings ist in Wirklichkeit so, dass MANK 20 Jahre zu spät kommt. Bereits nach THE GAME 1997 sollte das Drehbuch seines Vaters für den Regisseur das nächste Projekt werden. Wie schon bei seinem Erstling ALIEN³ hatte David Fincher ganz konkrete Vorstellungen von der visuellen und strukturellen Umsetzung. Und wie bei ALIEN³, fand die Vision des noch nicht ganz etablierten Wunderknaben keinen Befürworter, sprich Produzenten. Trotz seiner spektakulären Beiträge zum modernen Kino, musste David Fincher tatsächlich zwanzig Jahre auf die Verwirklichung von MANK warten. Welch eine Ironie, dass ausgerechnet ein Streaming-Unternehmen das ungewöhnliche Projekt um eine kinematografische Legende mit offenen Armen empfing.

In kurzen Worten, hieß es im Vorfeld immer, es ginge um den Streit, wer für das Drehbuch und letztendlich auch den Erfolg von CITIZEN KANE verantwortlich ist. Es ginge um den Streit zwischen Autor Herman J. Mankiewicz und Regisseur Orson Welles. Doch so ganz trifft die Beschreibung nicht. Fincher, der Ältere, behandelt in seiner gesamten Abhandlung Mankiewicz faktisch als geistigen Urheber. Erfinder von Geschichte, Struktur und Subtext. Nur in den letzten Sekunden spricht Fincher, der Jüngere, jenes die Filmwelt bewegende Zerwürfnis als fast nebensächlichen Epilog an.

Nach einer seiner zahllosen Alkoholexzesse, wird Autor und Journalist Herman J. Mankiewicz auf der entlegenen Kember Campbell Ranch in Victorville, California einquartiert. Kaum bewegungsfähig, mit Gipskorsagen ans Bett gefesselt, soll er ein Drehbuch für die neue Hollywood Verheißung Orson Welles schreiben. Ohne Zuhilfe von Alkohol. Nur um ihn vom Theater weg nach Hollywood zu bewegen, sagt RKO dem Regisseur die uneingeschränkte Stoffwahl und absolute Kreativkontrolle zu. Und dessen Autorenwahl fiel auf den unangepassten Mank. Wie er gerne genannt werden will.

Der Film ist witzig, eher absurd als dramatisch, und durchweg spannend. Doch vor allem will er zu keiner Zeit schlauer sein, als seine Zuschauer. Man kann MANK durchaus als äußerst unterhaltsam und lehrreich gleichermaßen beschreiben. Und dann natürlich dieses Killer-Ensemble. Es ist fast erschreckend, wie sich die Darsteller mit so wenig Makeup, optisch derart überzeugend ihren realen Vorbildern angleichen konnten. Ganz zu schweigen von ihrem überragenden Spiel. Hut ab.

Gedreht wurde MANK mit einer Monochrome Red, somit ist das Ausgangsmaterial schwarzweiß, ohne Möglichkeit auf eine Farbfassung. Aber das ist auch gut so, denn die gesamte atmosphärische Gestaltung ist darauf ausgelegt, und das im vollen Umfang. Schwarzweiß wird zur optischen Erweiterung der Erzählung. Licht und Schatten sind keine Spielerei, unterschiedliche Kontrastentwürfe kein bloßes Gimmick, und die Wahl der individuellen Schärfentiefe eine emotionale Komponente.

Es versteht sich fast von selbst, dass Bildgestalter Erik Messerschmidt seine visuelle Konzeption an CITIZEN KANEs Gregg Toland anlehnte. Das funktioniert nur in Teilen, trotz aller guten Absichten kann MANK optisch nicht leugnen digital gedreht worden zu sein. Zudem inszenierte Fincher den Film im Format 2,2:1, welches streng genommen erst 13 Jahre später etabliert wurde. Ob Zugeständnis, oder bewusste künstlerische Freiheit, ist nicht festzumachen, aber auffallend.

Das Gary Oldman in einem leidenschaftlichen Dialog als Beispiel das Jagdflugzeug Messerschmitt anführt, muss man einfach als Anerkennung für MANKs Kameramann sehen. Aber auch die Elektro-Musiker Raznor und Ross ließen sich ihre Art von Huldigung nicht nehmen. Ihre Soundtrack ist ausschließlich für zeitgenössische Instrumente aus den 1940ern komponiert und orchestriert.

Mank 3 - Copyright NETFLIX

 

Die kammerspielartige Schaffensphase des an das Bett gefesselten Mankiewicz wird immer wieder mit Rückblicken aufgerissen. Bis sich schließlich die Gewichtung der Erzählung fast vollständig auf die Ereignisse legt, von denen der Autor seine Inspiration zieht, und damit auch seine Dämonen bekämpft. Marion Davies, Randolph Hearst, David Selznick, Irving Thalberg, und natürlich Studiomogul Louis B. Mayer. Als sehr kluge Entscheidung erweist sich die sehr sparsame Einbindung des Charakters Orson Welles.

Dadurch, dass Welles eine fast nebensächlichen und sehr geringen Teil zugesprochen bekommt, festigt MANK noch zusätzlich die Ansicht, dass das Drehbuch die alleinige Leistung von Mankiewicz war. Es ist natürlich eine detailverliebte Annäherung und Verquickung der historischen Figuren, und auch ein intelligente Analyse durch dramaturgisch verzerrten Fakten. Wer glaubt das MANK lediglich ein reflektierender Abriss eines kulturellen Ereignisses ist, irrt sich gewaltig.

Die Dialoge sind geradezu waghalsig, durchzogen mit Metaphern und weltpolitischen Ansichten. Fast jeder Satz wiegt bedeutungsschwer, und jeder Wortwechsel hat Substanz. Und auch wenn es vordergründig immer um die kreative Schaffenskraft und das Filmemachen geht, verbirgt sich dahinter weit mehr. In Wirklichkeit sind es Unterhaltungen und Monologe um politische Umwälzungen, und totalitäre Strukturen. Da werden Studiobosse und Medienmogule bloßgestellt, die unvermittelt als Beispiele für gesellschaftliche und kreative Umbrüche herhalten.

In einer besonders absurden, aber gar nicht so weit hergeholten Szene, bejubeln arbeitslos gewordene Statisten ihren Heil bringenden Studiochef, der sie eigentlich zuvor noch mit offensichtlichen Lügen erst brotlos gemacht hat. Auf wirklich eindringliche Weise nutzt MANK die Erzählform von CITIZEN KANE. Hier wie dort, entwickelt sich die Geschichte viel tiefer und vielbedeutender als sie zu erzählen vorgibt. Wo MANK inhaltlich aber kein Kind jener Zeit bleibt, sondern geschickte Verbindungen und Denkanstöße für das Heute veranschaulicht. Früher war nicht alles schlecht, aber heute ist es nicht viel besser.

Mank 2 - Copyright NETFLIX

 

Darsteller: Gary Oldman, Lily Collins, Tom Pelphrey, Amanda Seyfried, Sam Troughton, Arliss Howard, Charles Dance, Tuppence Middleton, Toby Leonard Moore, Ferdinand Kingsley, Monika Gossmann u.a.
Regie: David Fincher
Drehbuch: Jack Fincher
Kamera: Erik Messerschmidt
Bildschnitt: Kirk Baxter
Musik: Trent Raznor, Atticus Ross
Produktionsdesign: Donald Graham Burt
USA / 2020
131 Minuten

Bildrechte: NETFLIX
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