Eine Neuverfilmung gegen das Original aufzuwiegen, das weiß auch der Laie, ist meist unfair. Eine subjektive Beurteilung ist schon allein durch die Gegebenheiten beeinflusst. Kann es die unvoreingenommene Unterhaltung geben, oder dominiert die analytische Auseinandersetzung. Analyse hätte etwas wissenschaftliches, bloße Unterhaltung eine gewisse Ignoranz. Beides muss nicht sein, kann aber genauso viel Spannung erzeugen.
„Ich habe geträumt, dass dort wo einst unsere Zufahrt war, ein dunkler unnatürliche Dschungel wuchs. Die Natur hatte sich ihre Recht zurück geholt, und doch, das Haus stand noch da. Manderley.“ – Mrs. de Winter 2020
Der verwitwete Maxim de Winter lernt in Monte Carlo eine junge Gesellschafterin kennen, die namenlos bleiben wird. Schon sehr bald kommt sie als frisch vermählte Mrs. de Winter mit ihrem hingebungsvollen, aber nach wie vor geheimnisumwitterten Gatten auf dessen englischen Landsitz Manderley. Was wie ein wahr gewordenes Märchen beginnt, wird bald zu einem psychologischen Albtraum. Überall auf Manderley hängt der Schatten der verstorbenen ersten Mrs. de Winter, Rebecca. Besonders die Haushälterin Mrs. Danvers scheint besessen davon, die Erinnerung an Rebecca aufrecht zu halten.
Man kann Alfred Hitchock nicht absprechen einen Klassiker inszeniert zu haben. Anders als zum Beispiel CITIZEN KANE, war er umgehend zum Kultfilm avanciert. Treibende Kraft waren dabei nicht die elf Oscar-Nominierungen, sondern diese waren eine Folge des allumfassenden Erfolges. Das Markenzeichen Hitchcock darf aber durchaus mit Vorsicht benutzt werden. Denn Produzent David O.Selznick hat den Engländer für seine erste amerikanische Produktion nach Hollywood geholt. Und Selznick hat Zeit seines Lebens keinen Regisseur freie Hand gelassen.
Der unzufriedene Tycoon erstellte nach den ersten Testvorführungen selbst die endgültige Schnittfassung, und er bastelte mit Archiv-Material noch an der Musikuntermalung. Das Verhältnis Selznick-Hitchcock war kein gutes, und zwei weitere Filme verbesserten die Beziehung nicht (ICH KÄMPFE UM DICH & DER FALL PARADIN). Da war es um Ben Wheatleys künstlerische Unabhängigkeit bei REBECCA 2020 besser bestellt, denn eine Netflix-Produktion setzt grundsätzlich auf die Freiheiten der kreativen Kräfte.
Freiräume nutzte Wheatley auch, für eine typische Netflix-Produktion, wie man so schön sagen kann. Vermeintlich aufwendig, mit starken Namen, die Wahrnehmung durch gesetzte Vorlagen, und wesentlich weniger Substanz als der Film vorgibt. REBECCA 2020 ist eine starke Romanze, welche durch die charismatischen Hauptdarsteller funktioniert. Aber nicht durch den raffinierten Handlungsaufbau. Seine Atmosphäre schafft er mit sonnendurchfluteter Opulenz. Zweifel an der Innigkeit zwischen Maxim de Winter und seiner neuen Frau kommen gar nicht erst auf.
Die bewusste Desorientierung für den Zuschauer, Maxims charakterliche Schwankungen, oder Mrs. Danvers stoische Emotionslosigkeit, wird viel mehr zur emotionalen Bindung zwischen Mr. und Mrs. de Winter und dem Zuschauer genutzt. Hitchcock hingegen inszenierte 1940 eine psychische Tragödie die lange unbestimmt bleiben soll, und immer wieder das Verhältnis der frisch Vermählten in Frage stellt. Als Kind seiner Zeit, wird 1940 die Beziehung in einen komplett anderen Kontext gesetzt, bei dem die Liebe nicht vorrangig scheint.
Will man den Vergleich bemühen, wie soeben geschieht, hat Hitchcock ohnehin einen ganz anderen Film inszeniert. Nun von einem Remake im traditionellen Sinne zu sprechen ist also nicht möglich. Auch wenn sich beide Filme sehr streng an Daphne du Mauriers 1938 erschienen Roman halten, soweit es eben eine filmische Dramatisierung zulässt. Aufgrund des Moralkodex für die Filmindustrie, konnte Maxim de Winter 1940 nicht mit dem Mord an Rebecca davon kommen. Ziemlich ungeschickt, weil unglaubwürdig umgesetzt, machte man einen Unfall daraus.
Allerdings ein glücklicher Unfall, weil er Maxim nur vor einem moralisch verwerflichen Mord bewahrte. Was man 2020 ignorieren durfte. Der Mord ist selbstverständlich noch verwerflich, die Motivation dahinter allerdings nachvollziehbar. Das ist aber auch den Zeichen der Zeit geschuldet, was letztendlich den wesentlichen, weil charakteristischen Unterschied zwischen beiden Verfilmungen ausmacht. Es ist ganz schlicht und ergreifend das Frauenbild welches beide Filme vertreten. Und da ist Selznicks Version mittlerweile vollkommen außerhalb vertretbarer Akzeptanz.
Zeitgenossen mögen bezeugen, dass Laurence Oliviers überheblich, herablassende Gehabe für diese Zeit absolut legitim waren. Und auch Joan Fontaines verunsicherte unterwürfige Darstellung als weibliches Dummchen ohne einen Hauch von Selbstvertrauen mag damals als normal empfunden worden sein. Und da mag REBECCA von 1940 ein noch so hoch dekorierter und anerkannter Klassiker sein, was ihm auch keiner nehmen kann und darf, aber die Inkarnation der weniger privilegierten Frau ist heute nur schwer bis kaum zu ertragen.
Warum dieses Rollenbild selbst im zeitlichen Kontext nicht mehr funktioniert, ist der handlungsbedingten Konzentration auf Fontaines Charakter geschuldet. Was bei anderen Filmen dieser Ära mit Nachsicht wahrgenommen wird, ist hier zu bedeutend als Grundlage der Geschichte angelegt. Da können sich Lily James und Armie Hammer schon entspannter den aktuelleren Konventionen anpassen. Man wäre versucht das Attribut von weichgespülten Drama zu verwenden. Womit man nicht so falsch liegen, aber Ben Wheatleys Interpretation nicht gerecht werden würde.
Bei James und Hammer stimmt die Chemie, die perfekte Basis für eine opulente Romanze. Die Offenbarung um das finstere Geheimnis von Maxim de Winter geht viel zu schnell mit dem glücklosen Versuch eines Spannungsaufbaus einher. Traumhafte Bilder und makellose Figuren stellen nicht die Frage nach den Verfehlungen des Hausherrn, sondern wie beständig die frische Beziehung zwischen den Liebenden gegen die Widrigkeiten gewachsen ist. Das Fundament der Erzählung ist bei weitem nicht neu, oder gar originell, aber in seiner Struktur und Handhabung durchaus gelungen, ansprechend und rundherum sehenswert.
Da hat die Hitchcock/Selznick Koalition einen beängstigend anderen Ansatz gewählt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Gothic Horror war bisher dem Gruselfilm der reinen Fantastik untergeordnet (Ausnahmen gab es). Gerade deswegen inszenierten die Macher den Spannungsroman REBECCA geschickt in Aufbau, Ausstattung und Atmosphäre mit den Stilmitteln des Gothic Horror der einem geneigten Kinopublikum bisher nur durch die Universal Monster bekannt war.
Die ausladenden, aber finsteren opulent ausgestatteten Hallen und Zimmer von Manderley. George Barnes nutzt das für Bilder und Einstellungen, die vielmehr Unbehagen und Desorientierung sorgen, als für die Atmosphäre eines einladenden Zuhauses. Das Flackern eines Filmprojektors, worauf eigentlich ein fröhlicher Film laufen soll, wird zum Augenlicht der Protagonistin. Das ist keineswegs subtil, sondern wirklich furchteinflößend, wie dieses Bild die Stimmung des eigentlichen Anlasses konterkariert. Was an Zeichnung und Inszenierung der Charakter lange überholt und nicht mehr zeitgemäß ist, funktioniert atmosphärisch und in seiner Gangart noch immer ganz hervorragend.
Dabei wurde Mrs. Danvers noch nicht erwähnt. Das Medium zwischen Manderley und den Menschen die es bewohnen. Man muss trotz der vielen unterschiedlichen Eigenschaften beider Versionen zugestehen, dass sich bei einer Gegenüberstellung Judith Anderson und Kristin Scott Thomas wirklich nichts schenken. Beider stoische Unnahbarkeit und darstellerische Kälte funktionieren heute wie damals. Nur ihr unausweichliches Schicksal differiert. Und hier habe beide Filme für sich einen ganz eigenen Kniff gefunden, welche von der Vorlage abweichen, aber dem Kern des Buches gerecht werden.
1940 war die unheimlich undurchsichtige Hauswirtschafterin eine Inkarnation von Manderley selbst, wo sie in den Gemäuern auch ihrer Bestimmung entgegen geht. 2020 ist Mrs. Danvers zum Schatten von Rebecca geworden. Mit der neuen Mrs. de Winter, war für die Vergangenheit kein Platz mehr auf Manderley, und so tötet Mrs. Danvers Rebecca endgültig. Dem Zuschauer ist auferlegt für sich selbst zu entscheiden, muss aber zugestehen, das beide Versionen schlichtweg genial die Geschichte zu einem Schicksal mit unausweichlichem Ende und reichlich Nervenkitzel führen.
„Die Natur hatte sich ihre Recht zurück geholt, und doch, das Haus stand noch da. Manderley. Selbst die Zeit konnte der perfekten Symmetrie dieses Gemäuers etwas anhaben, auch nicht dem Grund selbst. Ein Juwel in der hohlen Hand.“ Daphne de Maurier 1938
Wie getreu man einer literarischen Vorlage folgen kann, die Interpretationsmöglichkeit aber extrem breit gefächert sind, zeigen diese beiden Filme sehr eindrucksvoll. Die selben Versatzstücke machen nicht den gleichen Film, aber beide sehenswert.
Darsteller: Lily James, Armie Hammer, Kristin Scott Thomas, Ann Dowd, Tom Goodman-Hill, Sam Riley u.a.
Regie: Ben Wheatley
Drehbuch: Jane Goldman, Jow Shrapnel, Anna Waterhouse
nach Daphne De Maurier
Kamera: Laurie Rose
Bildschnitt: Jonathan Amos
Musik: Clint Mansell
Produktionsdesign: Sarah Greenwood
Großbritannien / 2020
124 Minuten
Bildrechte: NETFLIX
Darsteller: Laurence Olivier, Joan Fontaine, Judith Anderson, George Sanders, Reginald Denny, Florence Bates u.a.
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: Robert E. Sherwood, Joan Harrison
nach Daphne Du Maurier
Kamera: George Barnes
Bildschnitt: W. Donn Hayes (ohne Credit)
Musik: Franz Waxman
Produktionsdesign: Lyle R. Wheeler, William Cameron Menzies
USA / 1940
130 Minuten