THE PHOTOGRAPH
– Bundesstart 20.09.2020
In den letzten Jahren hat kaum ein Film einen so effektiv eingebundenen Soundtrack auf die Kinolautsprecher gebracht wie THE PHOTOGRAPH. Der instrumentale Hip-Hop-Jazz von Robert Glapser und mehr als 20 Songs hauptsächlich aus dem Soul-Bereich offenbaren sich als sehr geschmeidige Erzählebene, die nicht einfach nur manipulative Untermalung darstellt, sondern eine integralen Struktur für die emotionale Textur bildet. Der Soundtrack gibt die Gefühle nicht vor, sondern unterstützt sie. Diese verschmolzene Einheit aus verschiedenen Komponenten kann Filmemacherin Stella Meghie für THE PHOTOGRAPH sehr gut nutzen, um die gröbsten Brüche in ihrem beabsichtigten Handlungskonzept unwichtig erscheinen zu lassen. Denn so gut und sympathisch sich diese Romanze mit Auslegern zum Drama auch ausnimmt, ist sie in ihrer Konstruktion inkonsequent.
Der Journalist Michael Block stößt auf ein ihm bisher fremdes Bild der Fotografin Christine Eames, über die er einen Artikel verfassen möchte. Es ist ein markantes Bild, welches den Gemütszustand von Eames eingefangen hat, und gleichzeitig eine Brücke zu ihrer Tochter Mae bildet. Ein Gespräch zwischen Michael und Mae mündet im zaghaften Versuch zu einer Verabredung. Beide Anfang Dreißig, würden eine eventuelle Beziehung eher gemächlich angehen. Mae ein klein wenig von Bindungsangst erfüllt, Michael kurz nach einer Trennung, sind beide erwachsen genug, um die Widrigkeiten neuer Beziehungen durchaus realistisch einzuschätzen. Parallel dazu erzählt Stella Meghie auch Christine Eames‘ Geschichte, die es aus den verarmten Verhältnissen von Louisiana in die schillernde Metropole New York zieht. Unter der Ruhelosigkeit und dem egoistischen Lebenswandel von Christine leidet viele Jahre später auch noch Mae, die selbst nach dem Tod ihrer Mutter nicht mit derer eigennützigen Vergangenheit umzugehen weiß.
Es gibt einige Merkmale in THE PHOTOGRAPH, welche diesen Film von ähnlich romantischen Geschichten wohlwollend abheben. Ganz vorne dabei steht ein klares Zielpublikum von Dreißig aufwärts. Dann umgeht Macherin Meghie alle klischeebeladenen Stolpersteine von künstlich erzwungenen Dramen. Tatsächlich gibt es trotzdem diesen ‚Warum hast du nichts gesagt, wann wolltest du mir das erzählen‘-Moment, aber es tut so gut wie Meghin diese Situation darstellt und auflöst, befreit von jeder Art dramatischer Überspitzung. Es wird auch nie ein unerwartetes Kaninchen aus dem Drehbuch gezaubert. Selbst als sich eine entscheidende Wendung in Maes Leben vollzieht, hat der Zuschauer schon längst die kommenden Ereignisse erkannt, weil man erst gar nicht versuchte, durch faule Tricks eine absehbare Überraschung zu basteln. Issa Rae und LaKeith Stanfield machen beide aber auch den Eindruck, als hätte man ihnen das Drehbuch auf den Leib geschrieben. Sie schenken sich an Natürlichkeit und Authentizität nichts. Issa Rae besticht mit einem steten Wechsel zwischen Unsicherheit und Neugierde, während LaKeith Stanfield überzeugt, wie er seine forsche Annäherung vorantreibt, aber dies auch immer wieder mit seinem eigentlichen Lebensziel abwägt. Erstaunlich wie spannend ein Film durch seine unprätentiöse Ehrlichkeit sein kann.
Woran Stella Meghie in ihrer Geschichte scheitert, ist das Anliegen die beiden Handlungsstränge einander ergänzend zusammen zu führen. Auch wenn man beide Geschichten in ihrer Beziehung nicht trennen kann, fügen sie sich nicht zu einer gegenseitig stimulierenden Auflösung. Ob Christines Charakter für Mae ein mahnendes oder inspirierendes Vorbild sein soll, verliert sich ohne Erklärung. Auch wenn eine elementare Entscheidung in der Vergangenheit markanten Einfluss auf Maes Leben nimmt, wird das Schicksal von Christine selbst irrelevant, bleibt also unbefriedigend. Das Konstrukt des parallelen Aufbaus zerfällt am Ende, weil ihm dieser spezielle dramaturgischen Kniff fehlt, der an dieser Stelle doch angebracht gewesen wäre. Auch wenn die Erzählung davor so harmonisch und glaubwürdig ohne emotionale Tricksereien auskommt, braucht jedes Narrativ eine ins sich geschlossene Vollendung, die hier verloren geht. Es gibt nicht ganz ausgereifte Ansätze die zwei unterschiedlichen sozialen Schichten zwischen Christine Eames und ihrer Tochter Mae in den Fokus zu rücken. Was sich allerdings dadurch aufhebt, weil der komplette emotionale Raum von der sich entwickelnden Beziehung zwischen Mae und Michael eingenommen wird.
Für einen Film der mit einem schwarzen Team und fast ausschließlich schwarzen Darstellern umgesetzt wurde, ist THE PHOTOGRAPH erstaunlich unpolitisch und kommt ohne irgendwelche Anklänge von vermuteter Sozialproblematik aus. Die einzige weiße Sprechrolle ist mit Chelsea Peretti besetzt. Das wäre der einzige Punkt den man als sozipolitischen Kommentar verstehen könnte. Nicht etwa das ein Film mit einer komplett schwarzen Cast und Crew gemacht wird, sondern das genau dieser Umstand für einen ansprechenden und unterhaltsamen Film vollkommen irrelevant ist. THE PHOTOGRAPH hat merkliche Schwächen in seiner Handlungsstruktur, aber er hat zwei unglaublich harmonisch interagierende Protagonisten. Deren einnehmende Attraktivität ist nicht von ihrem äußerlichen Erscheinungsbild gezeichnet, sondern von ihrer charismatischen Natürlichkeit, in glaubwürdigen und nachvollziehbaren Begebenheiten.
Darsteller: Issa Rae, LaKeith Stanfield, Chanté Adams, Y’lan Noel, Kelvin Harrison Jr., Lil Rel Howry u.a.
Regie & Drehbuch: Stella Meghie
Kamera: Mark Schwartzbard
Bildschnitt: Shannon Baker Davis
Musik: Robert Glasper
Produktionsdesign: Loren Weeks
USA – China / 2020
103 Minuten