UNHINGED – Bundesstart 16.07.2020
Hand aufs Herz, hat nicht jeder insgeheim die ersten 45 Minuten von FALLING DOWN genossen. Die Zeit, in der noch nicht klar war, dass Michael Douglas‘ Figur schon immer ein pathologischer Soziopath war. Die Zeit, in der er nur der Typ von nebenan war, der endlich das tat, was wir uns alle tief im Innersten wünschen, selbst einmal tun zu wollen. Der klumpige Burger, der überhaupt nicht aussieht wie der Cheeseburger auf der Verkaufsanzeige. Oder mit der Panzerfaust eine Stau verursachende Baustelle auflösen, auf der scheinbar überhaupt nicht gearbeitet wird. Bei UNHINGED spiegelt sich sogar so ein Moment. Auf der einen Seit ist da der Blödmann vor einem, der bei Grün einfach nicht losfährt, und dann gibt es den Vollidioten hinter einem, der umgehend mehrmals die Hupe betätigt, weil es ihn nicht interessiert, ob bei dir vorne etwas nicht in Ordnung ist. Caren Pistorius ist hinten und hupt genervt, und vorne steht Russell Crowe, der sofort angepisst reagiert. Was man vielleicht zu bekommen erhofft hat, wird in der ersten Minute in Frage gestellt, und zerschlägt sich nach zwanzig Minuten endgültig.
Wie immer, ist Rachel zu spät. Dieses mal, als sie ihren Sohn Kyle in die Schule bringen will. Und unterwegs kündigt ihr auch noch die beste Kundin, wegen Unpünktlichkeit. Und dann verpennt der Trottel vor ihr auch noch die Grünphase. Wir wissen, dass dies ein Fehler war. Wir haben in den ersten Bildern gesehen, was diesen Tom gedanklich so abschweifen lässt, und wozu er fähig ist. Es wird kein sehr schöner Tag für Rachel, und kein Fest der Schadenfreude für den Zuschauer. Es wird ein Thriller, der sich sehr absehbar entwickelt und fast schon kompromisslos geradlinig erzählt wird. Das ist keineswegs ein Kritikpunkt, der zwangsläufig einen schlechten Film ausmachen muss. Das begierige Zielpublikum weiß es sogar sehr zu schätzen, wenn man ihm nichts vormachen will, sondern sich auf das Wesentliche konzentriert wird. Aber auch das schafft UNHINGED trotz der Vermeidung aller Umwege nicht. Besonders zu Anfang nimmt sich die Geschichte aus, wie eine moralisierende Märchenstunde. Rachel ist immer so unpünktlich. Rachel ist immer so verantwortungslos. Und wenn Rachel das nicht wäre, … ja dann …
Bevor die Geschichte schließlich mit Tom Cooper im wahrsten Sinne des Wortes Fahrt aufnimmt, dreht sich eigentlich jeder Dialog nur um Rachels verantwortungslose Unpünktlichkeit. Das schlägt schnell auf die Nerven, denn so dumm sollte man seine Zuschauer nicht einschätzen. Das bringt den Film auch in eine nicht sehr angebrachte Schräglage. Denn Rachel ist keine liebenswerte Person, keine für die man Verständnis aufbringt, oder für die man letztendlich sogar votiert. Derrick Borte gibt ihr in seiner Inszenierung keine Möglichkeit, über sich selbst zu reflektieren. Stattdessen kokettiert jeder, und sie selbst am meisten, mit ihrer unmöglichen Attitüde, welche sie in manchen Teilen sogar unmündig erscheinen lässt.
Noch viel weniger hat sich Autor Carl Ellsworth in seinem Buch Gedanken über Crowes Charakter des schwer gestörten Psychopathen gemacht. Auch er kann beim Publikum nicht wirklich punkten. Obwohl Crowe mit einigen Pfund mehr am Leib schon eine beeindruckende Figur abgibt, und für eine bedrohliche Atmosphäre keinerlei Spielereien in Dialog oder Inszenierung notwendig hat. Aber auf der Jagd nach Rachel vergeht er sich unentwegt an Unbeteiligten. Als Regisseur hätte Derrick Borte merken müssen, dass man so keinen Zuschauer für die dunkle Seite gewinnen kann. In einem Film mit zwei offenen Fronten sitzt man dann da, und wartet einfach ab, was als nächstes passiert. Bei einem guten Thriller sollte man aber irgendwie Sympathien entwickeln, für die eine oder andere Seite. Sonst wird aus dem Thriller ein belangloses Spektakel.
Und das den Kreativköpfen mehr am Spektakel als an einer in sich plausiblen und ehrlichen Geschichte gelegen war, erkennt man an einigen wirklich atemberaubenden Stunt-Sequenzen. Da hat sich Koordinator Mike Smith mit seinem Team an Fahrern mächtig ins Zeug gelegt. Auch wenn man davon ausgeht, dass vieles überzogen ist, hat man doch den Eindruck, dass die Stunt-Truppe sehr viel Wert auf einen realistischen Ablauf legte. Die spektakulären Karambolagen lassen kaum zu wünschen übrig, werden nicht über beansprucht, versetzen einen aber für diesen Moment mitten hinein.
Hätten die Macher bei der Ausarbeitung der eigentlichen Handlung auch so viel Wert auf Glaubwürdigkeit gelegt, wäre UNHINGED um einiges reicher gewesen. Doch man hat sich lieber dazu entschieden unentwegt Dinge geschehen zu lassen, die zum einen nicht nachvollziehbar sind, und zum anderen nur passieren, weil sie für eine Weiterführung passieren müssen. Nichts davon würde so im wirklichen Leben geschehen. Der Grund, warum Tom überhaupt Rachel immer wieder aufspüren kann ist schlichtweg Unsinn, weil es zeitlich überhaupt nicht möglich wäre. Und als ob dies nicht schon alles ärgerlich genug wäre, setzt der Aspekt mit der Polizei und ihrer Erreichbarkeit hanebüchen noch eines drauf.
UNHINGED ist kein guter Film. Er hat seine guten Momente, diese stehen allerdings für sich alleine. UNHINGED hätte aber ein guter Film werden können. Und wenn man die Zeit auch noch opfern will, ein wenig darüber nachzudenken, stellt man fest, dass es für einen besseren Film gar nicht so viel gebraucht hätte.
Darsteller: Caren Pistorius, Russell Crowe, Gabriel Bateman, Jimmi Simpson, Anne Leighton u.a.
Regie: Derrick Borte
Drehbuch: Carl Ellsworth
Kamera: Brendan Galvin
Bildschnitt: Michael McCusker, Steve Mirkovich, Tim Mirkovich
Musik: David Buckley
Produktionsdesign: Freddy Waff
USA / 2020
90 Minuten