HARRIET – Weg in die Freiheit

harriet 3, Copyright FOCUS FEATURESHARRIET – Bundesstart 09.07.2020

Der Besprechung liegt der amerikanischen Blu-ray Fassung zugrunde.
Das vor fünfundzwanzig Jahren ein Produzent zu Autor Gregory Allen Howard gesagt haben soll, man müsste versuchen Julia Roberts für die Rolle der schwarzen Freiheitskämpferin Harriet Tubman zu besetzen, ist eine witzige Anekdote. Der Rechtfertigung jenes Produzenten, die Geschichte wäre so lange her, dass niemand den Unterschied merken würde, hebt das Ganze dann noch ins Absurde. Allein das in allen erdenklichen Quellen dieses Bonmot fast wortwörtlich gleich erzählt wird, keinem der Name des Produzenten bekannt ist, es nie eine Reaktion von Julia Roberts gab, sollte den Wahrheitsgehalt jenes Ereignisses selbst erklären. Dennoch trifft der Gedanke dieser Geschichte einen zentralen Nerv in der Industrie. Man sieht es an den Reaktionen, als HARRIET tatsächlich in Produktion ging, und mit Cynthia Erivo eine Britin für die uramerikanische Heldenfigur besetzt wurde. Der Protest war alles andere als bescheiden.

Der 1822 in die Sklaverei geborenen Minty, gelingt 1849 die Flucht nach Philadelphia, in die Freiheit. Doch die junge Frau, die ihren Sklavennamen abgelegt hat und nun nach Mutter und Vater Harriet Tubman heißt, ist mit ihrem freien Leben nicht wirklich zufrieden. Mit Unterstützung von einem Netzwerk von Fluchthelfern und geheimen Unterkünften, kehrt sie zurück und holt ebenso ihre Familie in die beschützte Freiheit. Selbst das genügt Harriet nicht. Mit dem Beginn des Bürgerkrieges, müssen flüchtende Sklaven nun bis über die Grenze von Kanada gelangen. Bisher hat Harriet und ihre Schützlinge eine Strecke von 100 Meilen durch gefährliche Ländereien zurücklegen müssen. Nach Kanada aber sind es nun 500 Meilen. Ein vollkommener Wahnsinn, wie jeder andere Fluchthelfer insistiert.

Die unverständliche Überreaktion auf die Besetzung von Cynthia Eviro wird mit ihrer Darstellung Ad Absurdum geführt. Das bekräftigen auch etliche Nominierungen für alle bedeutenden Darstellerpreise. Sie überzeugt als eingeschüchtertes, gepeinigtes Wesen ebenso, wie in ihrer kraftstrotzenden Rolle der gereiften, kompetenten und selbstbewussten Kämpferin. Was Regisseurin Kai Lemmons nicht gelingt, ist diese Wandlung homogen und emotional ansprechender zu inszenieren. Die Regie ist mehr darauf bedacht, den Pathos in angemessener Form zu pflegen. Nicht das es wirklich hinderlich wäre, oder übertrieben aufgesetzt wirkt. Ein Film mit diesem Thema, mit so einem Charakter, mit so einer Geschichte, die ist einfach dafür geschaffen auch pathetisch  zu sein. Man erwartet es, bekommt es, und es funktioniert. Eine Überraschung ist HARRIET demnach nicht, aber in seinen offensichtlich selbstgesteckten Absichten durchaus gelungen.

HARRIET ist kein perfekter Film, manchmal etwas holprig, nicht ganz sicher in seiner Erzählform. Auch hier wird  die Gelegenheit genutzt, flammende Reden gegen Unterdrückung und für Menschenwürde zu inszenieren. Mit bösen Zungen könnte man das sogenannte ‚Oscar- Momente‘ nennen, bewusst auf eine schlichte Emotionalität hin geschriebene Appelle für Gerechtigkeit und Versöhnung. Das sie innerhalb dieses Rahmen dennoch funktionieren, ist allein der Stärke der Darstellerin geschuldet. Auf der einen Seite ist es auch einmal gerne gesehen, dass ein Film nicht unbedingt auf explizite Gewaltdarstellung und dargestellte Erniedrigungen setzen muss, um die weitbekannte Ebene einer Erzählung zu legen. Doch an manchen Stellen, wäre die Form von möglichen Konsequenzen für die aufgezeigten Ereignisse auch dramaturgisch hilfreich und notwendig unterstützend gewesen. Mit jedem mal, wo Harriet wieder Richtung Süden aufbricht und mit befreiten Seelen zurückkehrt, scheint die Gefahr immer weiter zu schwinden. Das Risiko der Überführungen wird als solches vom Zuschauer nicht mehr wahrgenommen, sondern eher als flottes Abenteuer-Kino.

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HARRIET ist und bleibt ein sehr wichtiger Film. Die Erinnerung an jene unrühmliche Epoche muss weiter im Fluss gehalten werden. Und schließlich ist es ein längst überfälliges Gedenken an das Leben und Wirken einer bedeutenden Frau. Das es zu diesem Thema eindringlichere und zum Teil auch aufklärendere Filme gibt, muss man einfach so akzeptieren. So steht natürlich Harriet Tubman im Vordergrund, die Nebenfiguren und die Dringlichkeit ihres Zutuns bleiben allerdings nur Beiwerk, und meist auch nur oberflächlich skizziert. Zudem verfällt Terence Blanchard musikalisch zu sehr in sein obligatorisches Zwei-Ton-Thema, das für kontinuierliche Kinogänger einfach zu intensiv Erinnerungen an die letzten Spike Lee Filme weckt.

Es gibt so einige Merkmale, welche bei HARRIET besser, intensiver, oder innovativer umgesetzt sein könnten. Was der Film allerdings erhobenen Hauptes von sich behaupten kann, dass er keine Längen hat, technisch tadellos gestaltet ist, und wirklich sehr ansprechend unterhält. In allen führenden Positionen war die Produktion von Schwarzen besetzt. Das passiert vielleicht bei Komödien der Wayans-Brüder, die allerdings auch für ein afro-amerikanisches Publikum gemacht sind. Ein Film wie HARRIET sollte aber in erster Linie ein Film für ein weißes Publikum sein, aber von den richtigen Menschen erzählt. Und da hakt es ihn der Industrie noch gewaltig. Zum Glück hat Julia Roberts einen so straffen Terminkalender.

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Darsteller: Cynthia Erivo, Leslie Odom Jr., Joe Alwyn, Clarke Peters, Zackary Momoh, Vanessa Bell Calloway, Vondie Curtis-Hall,Omar Dorsey, Janelle Monáe u.a.
Regie: Kasi Lemmons
Drehbuch: Kasi Lemmons, Gregory Allen Howard
Kamera: John Toll
Bildschnitt: Wyatt Smith
Musik: Terence Blanchard
Produktionsdesign: Warren Alan Young
USA – China / 2019
125 Minuten

Bilderechte: FOCUS FEATURES
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