RICHARD JEWELL – Bundesstart 25.06.2020
Basierend auf einer wahren Geschichte: Er passt einfach in das Profil des ‚einsamen Bombers‘. Mittleres Alter, männlich, alleinstehend, wohnhaft bei Mutter, übergewichtig, und auffallend geltungssüchtig. Wie oft wurde diese Geschichte schon erzählt, dass sich die Bürokraten aus politischen Druck heraus für den Weg des geringsten Widerstandes entscheiden. Dazu braucht es manchmal nur, einen kleinen Hinweis zu streuen. Vielleicht ein Andeutung gegenüber einer Erfolg versessenen Reporterin. Sehr schnell greift vieles ineinander, was sich dann nicht mehr aufhalten lässt. Versagen der Behörden, Sensationsjournalismus, und letztendlich eine Öffentlichkeit, welche zuerst einen Helden feierte, und sich dann getäuscht sah, womit sich eine mediale Hetzjagd ihren Weg brach. Sogar CNN verlas umgehend und ungefiltert die ersten Verdächtigungen in voller Länge, welche das Blatt ‚Atlanta Journal-Constitution‘ unbedingt als exklusiven Knüller bringen wollte. Genauso schnell wurde auch klar, dass er es nicht gewesen sein konnte. Doch da war nichts mehr aufzuhalten. Alle Gegendarstellungen verliefen im Sand der öffentlichen Meinung. Eine wirkliche Rehabilitation hatte es nie gegeben. Gesundheitliche Schädigungen, die über elf Jahre anwuchsen, da verstarb Richard Jewell.
Schon mit SULLY hat Großmeister Clint Eastwood die Geschehnisse um einen unverhofften Helden verfilmt, dem man versucht seine Integrität abzusprechen. 2009 notwasserte Captain Chesley Sullenberger mit seinem Co-Piloten Jeff Skiles seine vom Absturz bedrohte Maschine auf dem Hudson River, und rettete damit ohne menschliche Verletzungen oder Verluste 155 Menschenleben. Nur die verantwortlichen Behörden und zuständigen Versicherungen sahen sich in Ansehen und finanzieller Hinsicht gefährdet, und wollten, zum Glück erfolglos, dem Piloten menschliches Versagen unterstellen. Das kann Clint Eastwood, Heldenverehrung ohne aufdringlichen Pathos. Man könnte seine Filme heute tatsächlich ‚altersweise‘ beschreiben. Doch ganz so stringent und auf den Punkt wie bei SULLY, will es dem Regisseur mit RICHARD JEWELL nicht gelingen.
Richard Jewell ist, dass muss man eben so zugeben, ein übergewichtiger, weißer, alleinstehender Mittdreißiger, der von einer Polizeikarriere träumt, es aber nur zum Wachmann schafft. Zum Beispiel während der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta. Während eines Konzertes entdeckt er eine Bombe, informiert die Polizei, hilft den Platz weitgehend zu evakuieren. Durch seinen Übereifer und sein beherztes Streben stirbt bei der Explosion nur ein Mensch, 111 werden verletzt. Man ist sich einig, dass durch seine überschwängliche Hilfsbereitschaft hunderte von Leben gerettet wurden. Atlanta hat einen Helden, aber keinen Täter. Also könnte es doch auch sein, das der vermeintliche Held aus Geltungssucht selbst die Bombe gelegt hat.
Gleich vorweg, ist die gröbste Anklage von Kritikern gegen den Film auch sein schwächstes Glied in der Inszenierungskette. Olivia Wilde spielt die narzisstische Journalistin, die nur für die Titelseite Köpfe rollen sehen möchte. Olivia Wilde hat einfach zu viel Freiraum in ihrer Rolle, wirkt durchweg nur überdreht, und funktioniert lediglich als Katalysator für die folgenden Ereignisse, anstatt eines greifbaren Charakters. Mit unverblümt sexuellen Avancen gegenüber FBI-Chefermittler Tom Shaw, kommt sie an geheime Ermittlungsdetails. Jon Hamm ist grundsätzlich sehr souverän in seinem Charakter, immer sichtbar schwankend zwischen professioneller Vernunft, aufkeimendem Zweifel, und trotziger Überreaktion. Doch die Verführungsszene in der Bar geht nicht auf. Sie ist als plumpes Klischee inszeniert und ist im Ganzen einfach unglaubwürdig. Zudem macht sie auch keinen Sinn, weil nicht bekannt ist, wer der echten Journalistin Kathy Scruggs tatsächlich die Informationen zukommen ließ. Entsprechend ihre Reaktion, wie sie im Film dargestellt wird. Tom Shaw hingegen ist eine Zusammenlegung verschiedener Figuren um die Ermittlungen zum Bombenanschlag.
Waren während der Vorproduktion noch Jonah Hill und Leonardo Di Caprio als Jewell und sein Anwalt und späterer Freund Watson Bryant angedacht, änderte sich das subjektiv betrachtet zugunsten des Filmes in Paul Walter Hauser und Sam Rockwell. Souverän bleibt Rockwell seinen Darstellungen des lockeren, nicht auf den Mund gefallenen, und selbstgerechten aber stets loyalen Typus treu. Aber RICHARD JEWELL profitiert als auf eine Person bezogenes Drama durch Hauser. Allerdings traf Eastwood die fragwürdige Entscheidung, Richard Jewell von Anfang an klar als Opfer zu inszenieren, während der Charakter in dieser Zeit tatsächlich im tatsächlichen Rahmen eines Täterprofils agiert. Ein gewisses Spannungselement geht für den Zuschauer damit verloren. Selbst wenn die Ereignisse einen bekannten Ausgang nehmen, wäre es auch für das Publikum möglich gewesen, die Schritte und Mutmaßungen von FBI, den Medien und der Öffentlichkeit nachzuvollziehen. Es wäre eine erweiterte Ebene gewesen, auch die Zuschauer wenigstens für geraume Zeit zu gedanklichen Mitttätern zu machen.
Weniger nachvollziehbar gestaltet es sich nach Beginn der Ermittlungen, wo Richard Jewell unvermittelt wie einen leicht minderbemittelter Simpel inszeniert ist. Ständig plaudernd, den Ernst der Lage nicht erfassend, ständige Fehlentscheidungen erst viel zu spät registrierend. Da wird das Unschuldslamm zu stark als solches präsentiert. Dramaturgisch hätte Clint Eastwood den Charakter wirklich fordernder in Beziehung zu seinem Publikum bringen können. Was bleibt ist ein Film, der hinter seinen Möglichkeiten bleibt, aber immer noch spannend genug ist, um die Geschichte angemessen zu erzählen, und dieser auch gerecht zu werden.
Das machen aber auch die vielen kleinen, zuerst unscheinbaren Details. Die konfiszierte Tupperware von Richards Mutter, sein Bildnis in Polizeiuniform an der Wand, die von ihm stets bereitgestellten Getränke für höher gestellte Kollegen, fragende Seitenblicke anderer Charaktere, sogar die Liedtexte aus dem Kenny Rogers Konzert vor dem Anschlag. Aber in erster Linie das Spiel eines tadellos besetzten Ensembles, wo Minenspiel und verräterische Blickwechsel Gesagtes oder Erkenntnisse konterkarieren oder eine weitere Ebene verleihen. Bis auf die zu Recht gescholtene Bar-Szene, ist RICHARD JEWELL ein interessantes, spannendes, glaubwürdiges und schlussfolgernd sehr sehenswertes Drama, dessen wenige Inszenierungsschwächen man leicht tolerieren kann.
Darsteller: Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Jon Hamm, Olivia Wilde, Mike Pniewski, Ian Gomez, Kathy Bates u.a.
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Billy Ray
nach einem Artikel und dem Buch von Marie Brenner, Kent Alexander, Kevin Salwen
Kamera: Yves Bélanger
Bildschnitt: Joel Cox
Musik: Arturo Sandoval
Produktionsdesign: Kevin Ishioka
USA / 2020
131 Minuten