Prime: LITTLE FIRES EVERYWHERE

Little Fires Everywhere 1, Copyright HULULittle Fires Everywhere
– Amazon-Prime Start 22.05.2020

Lebensplan und -einstellung. Lügen und Verdrängung. Reichtum und Armut, beides nur im Auge des Betrachters. Vermeintliches Glück und permanent unterschwellige Angst. Als 2017 Celeste Ngs Roman ‚Kleine Feuer Überall‘ erschien, konnte die filmische Verwertung gar nicht lange auf sich warten lassen. Ein präzises Abbild der in sich geschlossenen Gesellschaft einer Vorstadt. Hier erwächst Glück nicht aus einer natürlichen Struktur, sondern durch monotone Gestaltung von gleichgeschalteten Werten. Ein verführerisches Idyll, welches nur vor dem Haus, im Schulkomitee, bei Empfängen oder im Buchclub zu strahlen vermag. Das ist wahrlich nicht neu. Viele Bücher und genauso viele Filme und Fernsehserien haben sich dieser falschen Oberflächlichkeit schon angenommen. Weitgehend immer mit der unbarmherzigen Absicht, einer sich selbst belügenden Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, und mit bitterer Ironie zu spotten. So liest sich der Roman von Ng durchaus mit Spannung und treffsicheren Reflexionen, aber wirkliche Besonderheiten oder dramaturgische Überraschungen bleiben aus.

Wäre LITTLE FIRES EVERYWHERE eine Komödie, wären am Ende der Ereignisse die überprotektive Upper-Class Elena und die unkonventionelle Underdog-Künstlerin Mia beste Freundinnen. Dies wird keine Komödie. Die Mittvierzigerin Elena ist vierfache Mutter, und nichts geht über ihr perfekt durchgetaktetes Leben. Journalistin und Vermieterin ist sie nur, um ihrem Tagesablauf keinen Leerlauf zu ermöglichen. Von irgendwoher kommt Mia mit ihrer Tochter Pearl in das vornehme Städtchen. Bisher im Auto lebend, mieten sich die beiden in einem Appartement von Elena ein, wo Mia diszipliniert ihrem künstlerischem Schaffen nachgeht. Während die Eine sofort in vollen Beschützermodus schaltet, bleibt die Andere eher distanziert bis abweisend. Aber Mia muss sich schon aus finanziellen Gründen mit Elena auseinandersetzen. Wie Erde und Mond sind sie ständig um sich selbst in Bewegung ohne sich lösen zu können. Wer allerdings welche Rolle dabei übernimmt, kann der Zuschauer für sich in den insgesamt acht je einstündigen Episoden selbst erkunden.

Die Kinder beider Familie hingegen scheinen zuerst keine Berührungsängste zu haben. Sie verbringen die meiste Zeit miteinander, und Pearl wird auch in der Schule sofort akzeptiert. Während die Absichten und Verhaltensmuster der beiden Mütter zueinander stets unbestimmt und mysteriös bleiben, werden bei den fünf Kindern sehr schnell die kleinen Neurosen und Geheimnisse offenbar. Überall entstehen diese eben titelgebenden kleinen Feuer. So beginnt auch die erste Folge unvermittelt mit dem, was aus diesen kleinen Feuern werden wird. Es ist das eigentliche Ende der Geschichte, wo Elena vor der gewaltigen Kulisse ihres brennenden Hauses steht. Ein atemberaubendes Bild, einnehmend und erschreckend zugleich. Für den Rest der 460 Sendeminuten ist es aber auch das einzige Bild von Trevor Forrest und Jeffrey Waldron das heraussticht, in der sonst sehr konventionell aber stimmungsvoll gefilmten Serie. Da fallen dann die Aufnahmen mit ihren überzeichneten Kontrasten und stahlblauer Farbgebung für die Rückblenden sogar eher unangenehm auf.

Little Fires Everywhere 3, Copyright HULU
Die drei Regisseure lassen sich in ihrem Erzählrhythmus Zeit. Sie geben dem gesamten Ensemble genügend Freiraum sich zu entfalten, ihre Charaktere auch verständlich auszuspielen. Das ist gerade bei den Jungdarstellern wie der herausragenden Lexi Underwood und Megan Stott eine fesselnde Bereicherung. Bei Witherspoon und Washington sind die Akzente und Charakterzüge von Elena und Mia schnell und klar gesetzt. Zum Leidwesen von sieben der acht Folgen, kann Kerry Washington kaum an Intensität und Nuancierung mithalten. Zu sehr bemüht sie immer wieder überbetont ihre Mimik, und schafft es nicht allein mit ihrer Präsenz ihre emotionales Dilemma zu verdeutlichen. Was Reese Witherspoon tatsächlich in die Wiege gelegt worden zu sein scheint. Ihr ständig am Rande des Kontrollverlustes kratzender Charakter wird allein durch ihre eindringliches Charisma zu einer spannenden Tour de Force, neigt aber dadurch auch dazu, ihre Mitspieler unbeabsichtigt in den Hintergrund zu drücken. Äußerst erfreulich mit welcher Kraft sich diese Frau vom quirligen All-American-Girl aus ELECTION, über die gescheiterte Existenz aus WILD – DER GROSSE TRIP, hin zur gewissenlosen Selfmade-Ikone in THE MORNING SHOW, so übergangslos in eine spielende Altersgruppe gewuchtet hat, für welche die Filmindustrie sonst nur die kalte Schulter übrig hat.

Nach und nach greifen die vielen einzelnen Geschichten und Dramen in LITTLE FIRES EVERYWHERE ineinander. Da ziehen bestimmte Probleme andere einfach hinterher, oder verschmelzen zu einem noch größeren. Und oftmals müssen zutiefst verfahrene Situationen ignoriert werden, um neue Brandherde zu verhindern. Egal wie sich die Figuren immer wieder entscheiden, es bringt sie immer wieder zusammen. Ungewollt und unbeabsichtigt sind die Charaktere auch immer wieder der Wind, der die Flammen immer weiter anschürt. Erschreckend in der ganzen Kakophonie von Engstirnigkeit und Egoismus, dass wirklich keiner einem anderen wirklich weh tun. Autorin Celeste Ng hat das alles sehr raffiniert miteinander verwoben, was zu keinem Zeitpunkt erzwungen und aus der Logik gerissen wirkt. Man muss allerdings sagen, das die Ereignisse dennoch sehr konstruiert aufgebaut sind. Sehr feinfühlig, nachvollziehbar, und absolut schlüssig, aber doch merklich konstruiert.

Little Fires Everywhere 4, Copyright HULU
Die sechste Folge sticht etwas heraus, und bremst den Zieleinlauf. Sie besteht ausschließlich aus Rückblenden und erklärt mühsam und zu ausführlich Elenas und Mias Hintergründe und Motivationen. Da mag sich die ein oder andere Frage noch erklären. Der große Aha-Effekt bleibt allerdings aus, weil in weiten Teilen nur bestätigt wird, was der aufmerksame Zuschauer schon ausreichend Zeit hatte, selbst zu erkunden und sich zusammen zu reimen. Am Ende bleibt eine fragwürdige Moral, welche allerdings sehr spannend zu bewundern ist, und ein Schwarzweiß unmöglich macht. Das Ende fordert, und gibt nicht vor, was den Zuschauer nach 463 Minuten noch einmal zusätzlich belohnt. Nur die Frage bleibt ungeklärt, was immer wieder diese bösen, satirischen oder dramatischen Auseinandersetzung mit diesem Kleinstadtmilieu wirklich antreibt.

Little Fires Everywhere 2, Copyright HULU

 

Darsteller: Reese Witherspoon, Lexi Underwood, Kerry Washington, Joshua Jackson, Jade Pettyjohn, Megan Stott, Gavin Lewis, Rosemarie DeWitt, Lu Huang u.a.
Regie: Lynn Shelton, Nzingha Stewart, Michael Weaver
Drehbuch: Liz Tigelaar (auch Ausarbeitung), Shannon Houston, Harris Danow, Rosa Handelman, Attica Locke, Raamla Mohamed, Amy Talkington, Nancy Won
Nach dem Roman von Celeste Ng
Kamera: Trevor Forrest, Jeffrey Wladron
Bildschnitt: Tyler L. Cook, Amelia Allwarden, Phyllis Housen
Musik: Mark Isham, Isabella Summers
Produktionsdesign: Jessica Kender
USA / 2020
1 Staffel – 8 Episoden
463 Minuten

Bildrechte: HULU
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Fernsehen gesehen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar