THE CALL OF THE WILD
– Bundesstart 20.02.2020
Als 1903 Jack Londons Roman ‚Ruf der Wildnis‘ erschien, las sich die Geschichte wie man heute einen Jugendroman beschreiben würde. Kurz und auf den Punkt erzählt, und mit viel Freiraum für die Phantasie des Lesers. Es war kein analytisches Essay über die Welt, und keine Analogie über das Wesen des Menschen. Was allerdings Londons Erzählung vom heutigen Jugendroman unterscheidet, ist sein nüchterner Blick und die ungeschönte Realität. Da gehen ein romantisiertes Verlangen und brutale Wirklichkeiten unzertrennlich nebenher. ‚Ruf der Wildnis‘ handelt von einem Hund, der aus der Geborgenheit einer gehobenen Gesellschaft gerissen wird, und über quälende Schindereien als Schlittenhund, dem ursprünglichen Wesen eines freien Tieres folgt. Und auch wenn sich das als Abenteuerroman gehandelte Buch nicht als solches ließt, ist die Geschichte in ihrem Herzen eine autobiografische Auseinandersetzung mit einem Abschnitt aus Jack Londons eigenem Leben.
Buck ist ein Gigant, ein Mischling aus Bernhardiner und schottischem Schäferhund. Im Übrigen das erste Mal, dass Buck in einer Verfilmung so dargestellt wird, wie ihn auch London beschrieben hat. Und das sind mindestens neun Filme, welche sich direkt auf den Roman beziehen. Nicht zu reden von unzähligen Filmen und Serien, die lediglich Anleihen bei ‚Ruf der Wildnis‘ nahmen. Eigentlich hatten sich die Produzenten bereits für einen Berner Sennenhund als Vorlage entschieden. Als jedoch Jessica Steele-Sanders, die Frau des Regisseurs, während der Dreharbeiten ausgerechnet einen ‚Original Buck‘ aus einem Tierheim adoptierte, verwarf man die Idee umgehend. Buckley (!) wurde das optische Vorbild für den Filmcharakter.
Die Geschichte selbst wurde von Drehbuchschreiber Michael Green einer markanten Überarbeitung unterworfen. Herausgekommen ist eine weichgespülte Variante der nüchternen Realität des Romans, die einem Abbild jener rauhen Tage nicht gerecht werden kann. So wie Buck dem Ruf der Wildnis folgt, geht eben diese Variante des Stoffes auch ihrer eigenen Bestimmung nach. Und die dürfte eine Zielgruppe zwischen acht und vierzehn Jahren sehr erfreuen. Nicht zu vergessen, ein erwachsenes Publikum, welches eine lockere Abendunterhaltung mit viel Niedlichkeitsfaktor bevorzugt. Selbstredend mit der beruhigenden Gewissheit auf ausgleichende Gerechtigkeit am Ende der Erzählung.
Lange im Vorfeld hat es unschöne Kommentare darüber gegeben, dass Chris Sanders in seinem Film einen komplett animierten Hund die Hauptrolle überlassen will. Die ersten Eindrücke von Buck wirkten auch eigenartig bis befremdlich. Und man kann ohne schlechtes Gewissen behaupten, dass sich bei den ersten Eindrücken im Film nichts an diesen Empfindungen geändert hat. Doch wider Erwarten verflüchtigt sich der Gedanke an die sichtlich künstliche Figur ziemlich schnell, auch wenn Buck allzu oft versucht mit anthropomorpher Mimik und Habitus die Herzen zu erweichen. Das alle Tiere am Computer zum Leben erweckt wurden, kommt der gesamten Atmosphäre dann allerdings doch entgegen, selbst wenn nicht die Eleganz, Intensität und Perfektion gegeben ist, mit der KÖNIG DER LÖWEN den Standard gesetzt hat.
Selbst die für ältere Kinder getrimmte Fassung kommt in der Geschichte nicht völlig um die in der damaligen Zeit verwurzelten unverblümten Grobschlächtigkeit herum. Der aus reichem Haus verzogene Buck wird zuerst auf die brutale Wirklichkeit als Schlittenhund eingestellt, muss sich unterwerfen und wie alle anderen Hunde seinem Schicksal ergeben. Nicht so kalt und ausgeprägt wie im Roman, aber noch immer schmerzlich veranschaulicht, kommt der Film um die Darstellung von züchtigender Gewalt nicht herum. Letztendlich bildet sie auch den Kernpunkt in Bucks Erstarken, sich dem aufkeimenden Ruf der Wildnis zu öffnen und zu stellen. Dramaturgisch ist also ein Grad an Brutalität notwendig, welchen aber Kamera und Schnitt ganz hervorragend aufgelöst haben. So sieht man den Einsatz des Knüppels durchaus, ohne aber explizit zu werden. Die emotionale Wirkung frisst sich dennoch ins Gemüt. Ein wesentlicher Grund für Computer generierte Tiere lag in dem Anspruch, kein Tier den Stress und eventuellen Verletzungsgefahren bei Dreharbeiten zuzumuten.
Wie zu erwarten ist Harrison Ford genau der kantige Typ, der den Abenteurer mit unschöner Vergangenheit spielt, als hätte er ihn gelebt. Auch hier weicht das Drehbuch vom Roman ab, und gab diesen Jack Thornton einen bewegten Hintergrund, um ihn und Buck zusammen auf eine ähnliche emotionale Reise zu schicken. Fords schauspielerische Gegenpart war dabei Schauspieler Terry Notary, der eigentlich als Bucks Referenz-Double agierte. Nichtsdestotrotz entstand in den Szenen stets eine innige Interaktion zwischen beiden Darstellern, was Harrison Fords Spiel nur entgegen kommen musste. Als Schlittenführer können auch Omar Sy und Cara Green überzeugen, die sehr geschickt die widersprüchliche Beziehung zu Tieren in der damaligen Zeit für ihre Figuren aufteilen, um es gerade für jüngere Zuschauer verständlicher zu machen. Er verkörpert den fürsorglich nachsichtigen Menschen, während sie sehr nüchtern und rational das Schlittengespann als Hilfsmittel betrachtet. Nur mit Dan Stevens und Karen Gillan als dilettantische Glücksjäger, hat sich der Regisseur etwas vertan. Ihre Charaktere sind plumpe Abziehbilder von dramaturgisch notwendigen Gegenspielern auf anspruchslosem Niveau. Weder Stevens noch Gillan können dagegen anspielen, und inszenieren sich selbst als überzogene Stereotypen ohne Tiefe.
RUF DER WILDNIS ist ein durchaus akzeptabler Abenteuerfilm, der keine Längen aufweist, und angenehm straff inszeniert ist. Im Nachhinein ist es mühselig darüber zu sinnieren, wieviel mehr möglich gewesen wäre. Zweifellos ist da noch Raum nach oben, das macht aber aus dieser Adaption lange keinen schlechteren Film. Er unterhält und wird dem Roman in seinem Anliegen und Aussagen in weiten Teilen durchaus gerecht. Janusz Kaminski hat dazu alles in wundervolle Bilder gepackt, bei denen einem selbst der Lockruf ereilen könnte. Als zeitgeschichtlicher Abriss funktioniert der Film nur sehr bedingt. Aber als Familienunterhaltung kann er gar nicht enttäuschen.
Darsteller: Harrison Ford, Omar Sy, Cara Green, Dan Stevens, Karen Gillan, Bradley Whitford u.a.
Regie: Chris Sanders
Drehbuch: Michael Green nach Jack London
Kamera: Janusz Kaminski
Bildschnitt: David Heinz, William Hoy
Musik: John Powell
Produktionsdesign: Stefan Dechant
USA / 2019
100 Minuten
Bildrechte: 20th CENTURY FOX