21 BRIDGES – Bundesstart 06.02.2020
Man kann sich ungefähr vorstellen, wie die Aufgabenverteilung beim Schreiben des Drehbuches gewesen sein muss. Adam Mervis hatte wohl eine pfiffige Idee, aber mit wenig Erfahrung im Action-Metier, während Matthew Michael Carnahan mit zum Beispiel WORLD WAR Z und THE KINGDOM die Leinwand zum kochen brachte. Carnahan hatte aber auch schon im politischen Thriller gut mitgemischt, wie VON LÖWEN UND LÄMMERN oder STATE OF PLAY eindrucksvoll vermitteln. Es ist dennoch reine Spekulation, dass Mervis vielleicht nur für ein grobes Gerüst mit vielversprechender Prämisse verantwortlich ist. So oder so, geht letztendlich nicht so richtig zusammen, was 21 BRIDGES eigentlich verspricht.
Die ersten Minuten sind der Definition von Officer Andre Davis‘ Charakter gewidmet. Mit stoischer Gelassenheit verkörpert Chadwick Boseman diesen schon im Kindesalter geprägten Mann. Eigentlich entspricht diese Figur einem längst überholten Stereotyp, aber Boseman hat diese Präsenz, welche seinem unerschütterlichen Helden die notwendige Glaubwürdigkeit abtrotzt. Diesem Andre Davis geht ein Ruf voraus, der Wahrheit und Legende nicht unterscheiden will. Im Laufe der Handlung muss der Zuschauer selbst herausfinden, in welche Richtung der Schatten der Vergangenheit bei Davis gefallen ist. Damit hat der Film einen Wesentlichen Grundstein für einen spannenden Ablauf gelegt, weil mit dem charismatischen Hauptprotagonisten alles möglich werden kann. Selbst wenn er die Polizeimarke sehr hoch hält, könnte er sie ebenso clever als Schutzfassade missbrauchen.
An Bosemans Seite agiert natürlich, und in ihrer persönlichen Art wie immer erfrischend uneitel, die stets im Understatement wnadelnde Sienna Miller. Niemand sollte leugnen, dass Millers Aussehen eine entscheidende Rolle für ihre Besetzungen spielt. Umso erstaunlicher ist immer wieder ihr unprätentiöses Auftreten, wie hier als Drogenfanderin Frankie Burns. Mit kaltschnäuziger Attitüde stellt sich Burns an die Seite des Einzelgängers Davis, egal ob die Zusammenarbeit erwünscht ist oder nicht. Sie will einfach nur Fälle erfolgreich abschließen, und das würde sie auch alleine schaffen.
Für eine Action orientierten Polizei-Thriller sind das zwei sehr sauber und glaubhaft ausgearbeitete Figuren. Tatsächlich führt deren eigentlich ablehnte Haltung zueinander, zu einem entscheidenden Etappenziel. Nach einem Massaker an Polizisten, weisen Spuren und ein zielsicherer Instinkt der Officers, den Weg der Täter nach Manhatten. Die Insel muss abgeriegelt und alle siebzehn Brücken sowie vier Tunnel gesperrt werden. Widerwillig aber einsichtig gibt der Bürgermeister den Polizisten die vier Stunden bis zum Sonnenaufgang die Genehmigung. Die Jagd beginnt, wo auf der Fährte so einiges nicht zu sein scheint, wie es sollte. Und von da an, zirka 30 Minuten in den Film hinein, zerfällt so nach und nach das außergewöhnliche und eindrucksvolle Szenario.
Es ist noch sehr spannend anzusehen, wenn die Zu- und Einfahrtswege abgeriegelt werden. Das ist der Situation entsprechend imposant inszeniert. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt dabei fast selbstredend Henry Jackman und Alex Belchers finster opulente Musik. Während der Ermittlungen gönnt Kameramann Paul Cameron dem Zuschauer immer wieder Zwischenschnitte der gesperrten Brücken in Panorama Überflügen, und die schinden wirklich Eindruck. Allerdings kann Cameron bis zum Ende des Filmes mit keinem Bild soviel zum Film beitragen, wie er es mit einer Einstellung ganz am Anfang schafft. Es ist ein grandioser Schuss von oben, und zeigt bei einer Beerdigung den Salut von hunderten von uniformierten Polizisten. Nur wenige Sekunden die ohne Fingerzeig rein optisch vorwegnehmen, gegen welche Kräfte Andre Davis später einmal angehen muss.
Was stark beginnt, verliert sich schließlich in Bedeutungslosigkeit. Die Auswirkungen der Isolation von Manhatten wird nach der Abriegelung überhaupt nicht mehr thematisiert, weder in Bild noch in Dialog. Bei einer Einwohnerzahl von über 1,6 Millionen Menschen, ist den Filmemachern das reizvolle Szenario scheinbar über den Kopf gewachsen, und hat sich stattdessen dafür entschieden es nicht tiefergehend zu beschreiben. Am Ende verliert sich der ‚Lockdown‘ in der Bedeutungslosigkeit, und wirft die Frage auf, ob er tatsächlich für die Handlung notwendig gewesen wäre.
Dafür kann man 21 BRIDGES bescheinigen, ein grundsolider Polizei-Thriller zu sein. Auch wenn er seine überraschenden Wendungen schon im Vorlauf nicht ganz verheimlichen kann. Immerhin kann Regisseur Brian Kirk über die gesamte Laufzeit die Spannung halten. Charakterentwicklung und weiterführende Hinweise haben Buch und Regie unpathetisch, dafür umso eindringlicher in den treibenden Handlungsverlauf eingewoben, ohne den Rhythmus unterbrechen zu müssen. Die Schusswechsel sind erwartungsgemäß brutal umgesetzt, aber nicht ausschweifend blutig. Als unbedarfter Laie würde man der gezeigten Gewalt einen gewissen Realismus zusprechen, ohne effektheischende Überzeichnung.
Was 21 BRIDGES laut Titel und Ausgangssituation nicht halten kann, macht er wenigstens mit unaufdringlichem und sorgsam einfließenden Tiefgang wett. So ist die Rassenfrage kein offensichtliches Thema, aber immer wieder spürbar. Die Charaktere könnten anfänglich einem Rollenklischee entspringen, zeigen dann aber doch die ein oder andere unerwartete Facette, wo sich selbst die kaltblütigen Mörder als unsichere, verängstigte Menschen mit einem Rest von Gewissen entpuppen. Eine zusätzliche Spannungskurve erreicht der Film mit Davis‘ Notwendigkeit, mindestens einen Täter lebend zu fangen. Aber der gesamte Polizeiapparat vertraut auf den falschen Ruf, Andre Davis würde erwiesene Kriminelle grundsätzlich erschießen, bevor er sie verhaften müsste. Und mit diesem Irrglauben stehen in diesem Fall hunderte von Streifenpolizisten bei der Fahndung an Davis‘ Seite, gleichzeitig aber auch im Wege, weil jeder stets den Finger am Abzug hat.
Wenn man die Erwartungen um einiges in eine andere Richtung lenkt, bekommt der Zuschauer einen sehr guten Action-Film mit exzellenten Thriller-Elementen. Es gibt einen anderen Film, der die angebotene Prämisse wesentlich realistischer und unangenehm beängstigender umgesetzt hat, aber man kann 21 BRIDGES seinen kraftvollen und durchweg spannenden Unterhaltungswert nicht absprechen. Ein sehr überzeugender Film, auch wenn er an THE SIEGE – AUSNAHMEZUSTAND nicht rühren kann. Aber auch nicht muss.
Darsteller: Chadwick Boseman, Sienna Miller, J.K. Simmons, Stephan James, Taylor Kitsch u.a.
Regie: Brian Kirk
Drehbuch: Adam Mervis, Matthew Michael Carnahan
Kamera: Paul Cameron
Bildschnitt: Tom Murrell
Musik: Alex Belcher, Henry Jackman
Produktionsdesign: Greg Berry
USA / 2019
99 Minuten