Für den Cineasten gibt es nichts Schlimmeres als eine eingefallene Horde von Popcorn essenden und ständig schnatternden Jung-Pärchen. Aber es gibt für den Cineasten auch nichts Schöneres als genau dieses Publikum, wenn es sich bei Filmen wie „Insidious“ die Seele aus dem Leib schreit. Und so etwas passiert bei Horrorfilmen, die ihr Handwerk verstehen. Wenn das männliche Publikum den Film vorgibt, werden die weiblichen Begleiter zum Indikator für manipulative Inszenierungsklischees. Sollte das aufgeschreckte und begruselte Publikum lauter quietschen als der dem Film eingemischte Toneffekt, dann hat ein Film wie „Insidious“ schon gewonnen.
Es ist eine Tour de Force des Hand-vor-das-Gesicht-halten. Schon die erste Einstellung setzt den Ton für das, was kommen soll. Damit nicht genug, denn der folgende Titelvorspann ist einer der wirkungsvollsten und passendsten der letzten Jahre. Einfache Stills mit Innenansichten des Hauses. Aber hat sich da nicht im letzten Moment die Lampe bewegt? Moment, war da vielleicht ein Schatten? Dieser Vorspann ist schon ein brillantes Spannungselement für sich.
Wan und Whannell als Regisseur und Autor haben schon die Reihe um den Jigsaw-Mörder initiiert, haben also, was Gänsehaut angeht, längst den Bogen raus. Das merkt man diesem exzellenten Grusel-Thriller auch sofort an. Und dabei lassen sie nichts aus. Von der an den Nerven zerrenden Stille bis hin zum laut quietschenden Toneffekt, wenn etwas (erwartet) unerwartet ins Blickfeld springt. In der ersten Hälfte gehen die Macher keine Kompromisse ein. Was früher gut war, funktioniert noch heute. Und so beginnt der Film vom ersten Bild an, die Nerven zu strapazieren, und dabei werden eben jene Nerven ohne Verschnaufpause wie von einem irren Gitarristen gezupft und angeschlagen.
Das Ehepaar Lambert bezieht mit seinen drei Kindern ein neues, traumhaftes Haus. Traumhaft schon deshalb, weil es viele Zimmer, verwinkelte Ecken, unerforschte Dachböden und unendlich lange Flure gibt. Kinogänger kennen diese Häuser, und die Familie Lambert lernt sie zu unserem grusligen Vergnügen ebenfalls kennen. Zuerst sind es nur offene Schränke oder unscheinbare Schatten, bis sich später die spukenden Geister immer heftiger manifestieren. Ziel der Attacken ist der kleine Dalton, der bei einem besonders wüsten Geistertreiben ins Koma fällt.
Unglaublich, wie effektiv und effektiv einfach James Wan seine Inszenierung hält, ohne den Zuschauer von der Leine zu lassen. Whannell hat sogar eine der klischeebehaftetsten Szenen hineingeschrieben, in der Renai Lambert ihren Mann Josh von den unheimlichen Vorkommnissen erzählt und er mit der Du-bist-nur-gestresst-Nummer kommen möchte, weil er immer bis spät arbeiten muss. Nur um im selben Moment genug Unheimliches zu erleben, dass er einem Umzug sofort zustimmt. Und in einem genialen Schachzug erfahren wir später, warum Josh als Lehrer bis so weit in die Nacht hinein arbeiten muss.
Doch da ist der Film längst zerfallen. Ab der Hälfte bricht alles auseinander, was den Film bis dahin atemlos spannend, gruselig und zu einem mörderischen Vergnügen machte. In einem sehr missglückten Versuch, dem Geisterhausthriller etwas Neues hinzuzufügen, scheitern die Macher auf ganzer Linie. Für die Hintergründe und Motivation der Schreckensherrschaft zieht man einen esoterischen Hokuspokus aus dem Hut, der weniger wie ein Horrorfilm aussieht, sondern mehr den Charakter eines verfilmten Videospiels ohne Überraschungen hat. Mit einem Mal verfliegen die stimmungs- und wirkungsvollen Spuk-Klischees. Innerhalb dieses Bruchs kommen noch zwei Filmfiguren hinzu, die jeden Realismus, den Rose Byrne und Patrick Wilson im Spiel aufbauen konnten, wie von Geisterhand verschwinden lassen. Der Film arbeitet nur noch auf sein Ende zu, das aber weder Überraschungen noch ordentlichen Grusel zeigt.
„Insidious“ hätte das Zeug gehabt, einer der besten Geisterhausthriller zu werden, wären Wan und Whannell nicht zu sehr bemüht gewesen, innovativ zu sein. Nur das Beste zu kopieren und diesem Besten eine persönliche Note zu versehen, hätte vollkommen gereicht. Was gibt es denn für den Cineasten Schöneres, als ein Publikum, das sich bei Filmen wie „Insidious“ vor Schrecken die Seele aus dem Leib schreit? Der Schrecken des Cineasten kommt dann aber ab der zweiten Hälfte, wenn Geschnatter, polternde Toilettengänge und laut raschelnde Popcorntüten die Macht zurückerobert haben.
Darsteller: Patrick Wilson, Rose Byrne, Lin Shaye, Ty Simpkins, Barbara Hershey, Leigh Whannell, Angus Sampson u.a.
Regie & Bildschnitt: James Wan – Drehbuch: Leigh Whannell – Kamera: David Brewer: Musik: Joseph Bishara – Produktionsdesign: Aaron Sims
USA / 2010 – zirka 101 Minuten