In der wenig genutzten Form von reduzierter Biografie, kann Regisseur Rupert Goold dem bewegten Leben der Legende Judy Garland nur wenige Facetten abringen. Filme wie KINGS SPEECH oder auch THE QUEEN haben sehr eindrucksvoll anhand eines einzelnen bedeutenden Ereignisses im Leben der jeweiligen Person, ihren Charakter, die Schaffenskraft, Werdegang und gesellschaftliche Bedeutung darlegen können. Peter Quilter hat ein ebenso konzentriertes Bühnenstück für drei Personen geschrieben, welches die letzten Tage einer Sangesdiva erzählte. Erst später hat er sein Stück neu verfasst und die Hauptfigur in Judy Garland umgewandelt. Für fast 120 Minuten Film war das Ursprungsmaterial dann doch etwas zu spärlich, und hätte der schillernden Figur und ihrem gar nicht so glamourösen Leben nur Unrecht getan. Allen Bemühen von Autor Tom Edge und Regisseur Goold zum Trotz, ist es Aktrice Zellweger, die Garland ein Denkmal setzt. Allerdings verwittert und rissig.
Zentraler Punkt sind die letzten Auftritte von Judy Garland in London im Jahr 1968. Der ausgebrannte Stern wollte sich noch einmal in Erinnerung bringen, der Welt zeigen, wofür man sie eigentlich einmal geliebt und vergöttert hat. Gleich der Beginn springt erst einmal zurück in der Zeit. Hier ist nichts wie es sein soll, das Set von DAS ZAUBERHAFTE LAND – THE WIZARD OF OZ entpuppt sich als ernüchternde Kulisse, und entlarvt den Mythos als billige Fassade. Nichts was man sieht ist so wie es der Wirklichkeit entsprach, was sich gut auf das Leben der Legende Garland und auf die äußere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit übertragen lässt. Filmmogul Louis B. Mayer zwingt die erst Sechzehnjährige zu einem Dasein als Starlet, für welches sie noch viel zu jung und überhaupt nicht bereit ist. Dreißig Jahre später ist der verblasste Star ein Schatten ihrer selbst, Drogen und Alkohol abhängig. Die meisten ihrer wohlgemeinten Auftritte werden zum Desaster. Es ist ein endloses immer wieder probieren, und immer wieder scheitern. Judy möchte es unbedingt, doch ihre Vergangenheit lässt es nicht zu.
Immer wieder springt die Geschichte in der Zeit zurück, wo Judys eigene Mutter ihr Tabletten aufzwingt. Tagsüber gegen die Müdigkeit, Abends gegen die Schlaflosigkeit. Achtzehn Stundentage verschleißen die Jugendliche, für eine Karriere, die genau deswegen zerbrechen wird. In ihren nur 47 Lebensjahren hatte sich in Judy Garlands Lebenswandel nichts geändert, außer drei Kinder, fünf Ehemänner, welche ihr weniger zu bedeuten schien. Dafür kommt Alkohol als neuer Freund und steter Begleiter hinzu. Renée Zellweger geht dermaßen intensiv in ihrer Rolle auf, dass man sie nicht einmal mehr an ihren Gesichtszügen zu erkennen glaubt. All die dargebotenen Songs hat Zellweger selbst eingesungen. So eindringlich gebrochen sie den Menschen Garland verkörpert, umso schonungsloser kann sie in leider nur wenigen Szenen die fantastische Entertainerin gegenüberstellen.
Während sich die Inszenierung von Rupert Goold auf die stimmige Atmosphäre von Ole Bratt Birkelands auf jede Szene speziell ausgerichteten Kamerabilder verlassen kann, und Melanie Ann Oliver die Harmonie der Bilder in den Schnitt mit übernimmt, kommt die Komplexität der Lebensgeschichte etwas zu kurz. So wird Judys Tochter Liza Minelli reine Stichwortgeberin, um den zukünftigen Ehemann Nummer 5 einzuführen. Die Missbrauchsvorwürfe gegenüber Louis B. Mayer, kann man in den Szenen mit seinem viel zu jungen Starlet erahnen, sie werden aber nie körperlich oder in Worten konkretisiert. Das Judy Garland in homosexuellen Kreisen als Idol verehrt wird, ist kein besonderer Umstand, allein Erklärungen dafür sind nicht offen bekannt. Laut eigenen Aussagen war es der Sängerin vollkommen egal wer ihre Songs hörte und mochte, Hauptsache sie wurden gehört und gemocht. Das Drehbuch jedenfalls fügt eine nicht unwesentliche Sequenz in die Geschichte ein, in der ein schwules Paar Judy an die Seite gestellt wird. Deren Orientierung wird aber weder thematisiert noch ein möglicher Hintergrund dem unbedarften Zuschauern näher gebracht. Wie Liza Minelli werden dann auch die Charaktere Dan und Stan für den dramaturgischen Aufbau vollkommen irrelevant.
Wenngleich JUDY auch emotional sehr mitreißend ist, muss er sich den Vorwurf von gewissen Längen gefallen lassen. So sind einige Szenen viel zu ähnlich aufgebaut und aufgelöst, was mit der Zeit schon das Gefühl von Wiederholung mit sich bringt. Aber uninteressant wird JUDY dadurch keineswegs. Dafür sorgt schon allein das einnehmende Charisma und die atemberaubende Verwandlung der Hauptdarstellerin. Aber das erlösende Gefühl vom letzten Triumpf wird dann doch auf den Kopf gestellt. Wer glaubt die Geschichte zu kennen und den Höhepunkt zu erahnen, für den haben sich die Macher etwas ganz Besonderes ausgedacht. Noch bevor das Denkmal wirklich errichtet wurde, war es verwittert und rissig.
Darsteller: Renée Zellweger, Jessie Buckley, Finn Wittrock, Rufus Sewell, Michael Gambon, Richard Cordery u.a.
Regie: Rupert Goold
Drehbuch: Tom Edge
nach dem Bühnenstück ‚End of the Rainbow‘ von Peter Quilter
Kamera: Ole Bratt Birkeland
Bildschnitt: Melanie Ann Oliver
Musik: Gabriel Yared
Produktionsdesign: Kave Quinn
Großbritannien / 2019
118 Minuten