THE GOOD LIAR – Bundesstart 28.11.2019
Viel zu selten lässt sich das Mainstream-Kino darauf ein, einem älteren Publikum gefällig zu sein. Noch seltener ist der Versuch, die Effekte heischende, kommerziell relevante Zielgruppe vom Vorteil, der Kunst und dem Charme altgedienter Charakterköpfe zu überzeugen. Und so hat sich auch Bill Condons THE GOOD LIAR in die Arthouse Kinos zurück gezogen, wo Filme für ein junges Publikum immer den irrigen Glauben versprühen, auf die Silberscheiben-Auswertung warten zu können. Aber gerade mit Ikonen wie Helen Mirren und Ian McKellen werden kleine Filme immer wieder zu ganz großem Kino. Gerade unter der Regie von Bill Condon werden Filme selten zu Enttäuschungen, der sich vom Horrorfilm zu hoch sensiblen Dramen, vom Musical zu populären Vampir Schmonzetten, vom Independent-Film zur großen Studio Produktion zu behaupten versteht. Da kommt Nicholas Searles Roman ‚Das Alte Böse‘ gerade recht, um Condons Erfahrungsfeld erneut zu erweitern.
Man kann kaum spoilern, weil sich THE GOOD LIARs Prämisse schon in den ersten Szenen offenbart. Der weit in die Jahre gekommene Roy Courtnay ist ein Schwindler und Trickbetrüger. Seine Erfolge begründen sich hauptsächlich darauf, dass ein Mann in diesem hohen Alter wohl kaum noch irgendwelche bösen Absichten hegen sollte. Über eine Dating-Plattform findet er die fast gleichaltrige, etwas unbedarfte Betty McLeish, welche über ein nicht unerhebliches Vermögen verfügt. Doch das auserkorene Opfer erweist sich als zäher Brocken, weil Betty in ihrer erfrischenden aber auch teilweise naiven Art, die sorgsam gelegten Fallstricke und Köder von Roy einfach nicht erkennen will. Es entwickelt sich ein für beide Seiten unbewusstes Katz und Maus Spiel, an dem Roy langsam verzweifelt, dabei aber auch Bettys unbekümmerte Aufmerksamkeit mehr und mehr zu schätzen weiß.
Es ist eine wahre Freude, McKellen dabei zu beobachten wie er sich vor der Kamera immer wieder vom gütlichen Altersweisen zum genervten Hochstapler und zurück verwandelt. Dazwischen laviert eine über alles erhabene Helen Mirren mit übergreifender Lebenslust und entwaffnendem Charme. Und von dem Moment an, wo man als Zuschauer glaubt die Situation überblickt zu haben, macht sich auch schon Unbehagen breit. So einfach kann es nicht sein, für den Zaungast im Kino wird klar, und die Inszenierung lässt daran auch keinen Zweifel, das da noch etwas kommen muss. Da wäre zum Beispiel ein unvermittelt auftauchendes früheres Opfer von Roy, oder auch Bettys abweisender Enkelsohn, der seine Abneigung gegenüber Roy offen zur Schau stellt. War der Zuschauer stets zufriedener Beobachter, zwingt ihn die Geschichte nach und nach dazu, einen Part im Katz und Maus Spiel zu übernehmen.
Besondere Aufmerksamkeit sollte man Condon Stammkameramann Tobias Schiesslers Bildern und Virginia Katz‘ Schnitt schenken, die sehr unaufdringlich aber gerade dadurch manipulativ kleine Gesten und entlarvende Mimik in Szene setzen, um diese im Schnitt schnell wieder zu relativieren. Oftmals werden so Reaktionen auch in Frage gestellt. Condon inszeniert flott, immer aufmerksam gegenüber den entscheidenden Situationen, welche man erst als solche erkennt, wenn sie ausgespielt werden. Die Inszenierung ist aber auch darauf ausgelegt, den fantastischen Darstellern immer genügend Spielraum zu lassen. Die Erwartung des kniffligen Ganovenstücks erfüllt der Film von Anfang an, und wird auch Gefallen bei jenen finden, die diesem Sub-Genre nicht zwanghaft zugetan sind. Und so wunderbar sich das alles anhören mag, so viel Freude man dabei auch haben möchte, ohne Makel ist THE GOOD LIAR bei weitem nicht.
Es gibt eine Szene in der Halbzeit, die so gar nicht stimmig mit dem Ton und dem Fluss des Filmes einhergeht. Diese Szene wird nicht mit Raffinesse und Originalität aufgelöst, sondern mit frontaler Kaltblütigkeit. Das wird die meisten Zuschauer zuerst einmal aus der angemessenen Atmosphäre reißen, bevor der Film gleich wieder in die wollig spannenden Gefilde zurückkehrt. Letztendlich folgt am Ende die Offenbarung der Absichten von den betroffenen Figuren. Und das passt in dieser Form überhaupt nicht zu den vorangegangenen 90 Minuten. Die Stimmung wird viel zu düster, die Handlung nimmt fast unangenehme Züge an. Zuerst ist es ein Bruch im Fluss des sonst clever inszenierten Films. Innerhalb dieser Auflösung gelingt es Condon nur mühsam zum ansonsten lockeren Ton von GOOD LIAR zurück zu finden. Die letzten Szenen allerdings, die etwas unbarmherzig wirken, können im Kontext gesehen, einen unfreiwilligen Schmunzler nicht verhindern und sind in ihrer Form sogar wieder zwangsläufig. THE GOOD LIAR entlässt einen eben nicht aus dem allgemeinen Wohlfühlkino, sondern zeigt sich konsequent. Der einen Seite gebührt Schadenfreude, der anderen bleibt dennoch nicht überwundener Schmerz.
Darsteller: Helen Mirren, Ian McKellen, Russell Tovey, Jim Carter, Mark Lewis Jones, Laurie Davidson u.a.
Regie: Bill Condon
Drehbuch: Jeffrey Hatcher
Kamera: Tobias A. Schliessler
Buildschnitt: Virginia Katz
Musik: Carter Burwell
Produktionsdesign: John Stevenson
USA / 2019
109 Minuten